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Artemis Fowl

Das zehnjährige Verbrechergenie aus den großartigen Romanen von Eoin Colfer als zahnloser Disney-Actionheld.

Artemis Fowl ist eine der faszinierendsten Fantasy- und Abenteuergestalten in der zeitgenössischen Jugendliteratur. Und das, obwohl dieses eiskalte Verbrechergenie im Körper eines (anfangs) Zehnjährigen alles andere als eine einfach nur „gute“ Identifikationsfigur ist. Vielleicht aber macht gerade das ihren Reiz aus: Der hyperintelligente, anmaßend selbstgefällige und überhebliche Junge lässt nur ganz langsam hinter die Fassade seines stets korrekt sitzenden schwarzen Anzugs blicken.

Der 1965 geborene irische Schriftsteller Eoin Colfer hatte die wundersamen Wege, Wandlungen und Entwicklungen seines jungen Helden gleich über acht rasante Romane voller überbordender Einfälle, Fabulierfreude und hinreißendem Sprachwitz verteilt. Ausgehend von Legenden und Figuren aus der irischen Mythologie folgt man Artemis Fowl und seinen illustren Weggefährt*innen durch aberwitzige Abenteuer, magische Unter- und verbrecherische Oberwelten, Zeit und Raum, Tod und Wiedergeburt. Nichts scheint dabei unmöglich: Elfen, Gnome und Zwerge tauchen aus dem Erdinneren auf, wo sie sich vor den Menschen mit Hilfe ihrer hochentwickelten Technik verbergen, die jede Science-Fiction- oder James-Bond-Fantasie blass aussehen lässt. Inmitten alldem agiert Artemis Fowl als Superschurke, der mit genial ausgetüftelten Verbrechen die Suche nach seinem verschollenen Vater finanzieren will, bis er entdeckt, dass Freundschaft, Respekt und Gemeinschaftssinn alle Welten zusammenhalten. Was bei ihm heftige Schuldgefühle und Persönlichkeitsveränderungen hervorruft – und was alles nur noch komplexer, raffinierter und verrückter macht.

Elegant und oft spektakulär erzählt Eoin Colfer mit vielen filmischen Mitteln, rasanten Ortswechseln, zeitlich parallel montierten Handlungen, weiten Bildpanoramen und akribischen Nahsichten auf die vielen Details. Was auf den ersten Blick wie die perfekte Steilvorlage für eine Kinoverfilmung erscheint, erweist sich aber als Hemmschuh: Colfers „visuelle Sprache“ ist alles andere als leicht in Filmbilder zu verwandeln. Am ehesten hätte der überbordende Stoff das Zeug zur Serie gehabt, und Disney spekulierte wohl auch auf Kino-Fortsetzungen. Vor allem aber wollte man wohl eines: ein massenwirksames und familienfreundliches Unterhaltungsstück der Marke „Disney“. Womit das Projekt eigentlich schon im Ansatz scheitern musste.

Unter der Regie von Kenneth Branagh, der mit kühlem Pragmatismus schon Disneys Realversion von „Cinderella“ (2015) in Szene setzte, bietet die Verfilmung zwar einige überwältigende Schauwerte, etwa von der unterirdischen Elfen-Metropole Haven City. Zugleich aber folgt sie einer kleingeistig und kalkuliert erdachten Handlung, die den Artemis Fowl der Romane mitunter regelrecht verrät. Artemis ist zwar immer noch ein Genie, jetzt aber gar kein Verbrecher mehr. Seinen Anzug trägt er nicht länger als Spiegel seiner Seele, sondern als harmlos-schicke „Men in Black“-Pose. Seine Mutter, die in den Romanen von großer emotionaler Bedeutung ist, ist tot und sein Vater kein Oberhaupt einer Gangster-Familiendynastie, sondern ein freundlicher Wissenschaftler, der das Elfenvolk vor der rachedurstigen Opal Koboi schützen will. Opal Koboi kommt zwar – viel differenzierter – auch in den Romanen vor, jetzt aber ist sie eine vermummte Schurkin, die Vater Fowl entführt, um Artemis zu zwingen, ein für das Elfenvolk wertvolles Artefakt namens Aculos zu beschaffen. Der kommt in den Romanen gar nicht vor und ist im Film ein arg schlapper MacGuffin, der kaum Spannung aufbaut.

Vor allem kann er nicht verbergen, dass die vielen Gnome, Zwerge und Elfen konturarme „Rassen“ wie aus dem Katalog handelsüblicher Fantasy-Standards sind. Und dass der Film viel zu viele Zugeständnisse an politische Korrektheit und Diversität macht: Commander Root, bärbeißiger Leiter der Zentralen Untergrund-Polizei ZUP und Ersatzvater der taffen Elfe Holly, ist jetzt eine Frau (immerhin gespielt von Judi Dench), Technik-Freak und Zentaur Foaly galoppiert als sanfter Sissy-Boy durch die Szenerie, und Artemis‘ Leibwächter Butler mutiert vom hünenhaften Eurasier zum dunkelhäutigen Sidekick, zuständig für kurze Momente des Comic Relief. Dabei bewegt er sich gefährlich nah genau an den Klischees und Vorurteilen, die man doch eigentlich vermeiden wollte.

Disneys „Artemis Fowl“ verklebt Handlungselemente der ersten drei Romane zum seelenlos-routinierten Action- und Fantasy-Patchwork, das allenfalls in Unkenntnis der Buchvorlagen halbwegs unterhält. Der diebische Zwerg Mulch Diggums führt als Erzähler durch mühsam gereihte Episoden, in denen man den Charakteren nie nahekommt. Es ist, als hätte man kein Vertrauen in den Stoff gehabt, der einfach mehr Fingerspitzengefühl bedurft hätte. Und vielleicht auch einen Hauch Magie. Doch wie formuliert es im Roman Commander Root einmal wehmütig und hellsichtig: „Der Fortschritt nahm allem den Zauber.“

Horst Peter Koll

© Disney+
12+
Spielfilm

Artemis Fowl - USA 2020, Regie: Kenneth Branagh, Homevideostart: 14.08.2020, FSK: ab 6, Empfehlung: ab 12 Jahren, Laufzeit: 95 Min. Buch: Conor McPherson, Hamish McColl, nach der Romanreihe von Eoin Colfer. Kamera: Haris Zambarloukos. Musik: Patrick Doyle. Schnitt: Matthew Tucker. Produktion: Disney. Streaming-Anbieter: Disney+. Darsteller*innen: Ferdia Shaw (Artemis Fowl), Lara McDonnell (Holly Short), Josh Gad (Mulch Diggums), Nonso Anozie (Domovoi Butler), Colin Farrell (Artemis Fowl Sr.), Judi Dench (Commander Root) u. a.

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