I Kill Giants
Barbara weiß, dass die Riesen kommen werden. Sie ist die einzige, die sie aufhalten kann.
„Ich finde Riesen. Ich jage Riesen. Ich töte Riesen“. Was soll man von einem Mädchen halten, das solche markigen Sätze aus tiefer Überzeugung sagt und Hasenohren trägt, weil sie Kaninchen für ihr „Krafttier“ hält? Weder von ihren Geschwistern noch ihren Klassenkamerad*innen wird Barbara jedenfalls wirklich ernst genommen. Die 15-Jährige ist eine Außenseiterin, wie sie im Buche steht. Während Barbara akribisch erforscht, mit welchen Utensilien sich Riesen anlocken lassen, wird sie in der Schule zum Opfer einer mobbenden Klassenkameradin. Nur Sophia, die erst vor kurzem aus England in die USA gezogen ist, findet Barbara irgendwie interessant.
Eine schwermütige Stimmung liegt über dem Langfilmdebüt des Dänen Anders Walter, der 2014 gemeinsam mit Kim Magnusson für seinen Kurzfilm „Helium“ mit dem Oscar ausgezeichnet wurde und mit „I Kill Giants“ nun den gleichnamigen Comic von Joe Kelly verfilmt hat. Dabei beweist Walter sein gutes Gespür für dramatisch aufgeladene Orte. Ebenso fragil wie bedrohlich wirkt das Holzhaus von Barbaras Familie, das auf der felsigen Klippe über der Meeresbucht steht und so schon durch das Szenenbild veranschaulicht: Irgendetwas stimmt nicht mit Barbaras Zuhause. Was das jedoch ist, umschifft die Handlung, so gut es nur geht – und wirkt dadurch oft ein wenig arg konstruiert, weil sie um keinen Preis zu früh einen zentralen Plot Point preisgeben will.
Stärker sind daher die Szenen, die sich ganz auf Barbara konzentrieren, die in ihrer eigenen Welt zu leben scheint und die – daran lässt der Film keine Zweifel – sich Riesen nicht nur vorstellt, sondern diese wirklich sieht. Geradezu besessen ist Barbara von den mystischen Kreaturen. Als einzige ist sie sich der Gefahr bewusst, die von diesen Wesen ausgeht. Ihre Aufgabe ist es, den Riesen die Stirn zu bieten und sie aufzuhalten. Man mag dieses Mädchen, weil es so selbstbewusst daher kommt und zugleich so verletzlich ist. Was Barbara sagt und sieht, mag nicht immer der Realität entsprechen. Weniger wahr aber ist es dennoch nicht. So vermischt der Coming-of-Age-Film auf kluge Weise fantastische Einflüsse mit realen Sorgen und erzählt von der Wechselbeziehung der beiden Ebenen.
Je weiter die Handlung voranschreitet, desto problematischer wird jedoch eine Referenz, für die weder der Film noch die Comic-Vorlage etwas können. Ab einem gewissen Zeitpunkt nehmen die Déjà-vu-Momente zu und „I Kill Giants“ weist verblüffende Parallelen zu „Sieben Minuten nach Mitternacht“ (Großbritannien 2016) auf. In dem von J.A. Bayona inszenierten Film nach dem 2011 erschienen Roman von Patrick Ness ruft ein Baummonster einen Jungen und hilft ihm dabei, sich selbst besser zu verstehen, verdrängte Gefühle wie Schmerz, Wut und Trauer zuzulassen und sich letztlich dem Leben zu stellen. Genauso geht es Barbara. Auch sie braucht die Hilfe einer gefährlichen Kreatur, um sich ihrer Ängste bewusst zu werden. Ihre Fantasiewelt entpuppt sich als eskapistischer Alptraum, um dem Unvorstellbaren ein Gesicht zu geben. Obwohl das Thema perfekt zum Coming-of-Age-Film passt, scheint „I Kill Giants“ durch die Nähe zu „Sieben Minuten nach Mitternacht“ einfach zur falschen Zeit zu kommen, auch wenn die Comicvorlage von Kelly bereits aus den Jahren 2008 und 2009 stammt und die Frage, in welchem Verhältnis die beiden Stoffe zueinander stehen, sich nicht so leicht beantworten lässt.
Ein wenig anders verhält es sich, wenn „I Kill Giants“ unabhängig von Bayonas wuchtig-tragischem Film als Comicverfilmung gesehen wird. Stimmig gelingt es Walter, die von Joe Kelly geschriebene und von Ken Niimura gezeichnete Graphic Novel zu adaptieren und düstere Film-Bilder für die in kargen Schwarzweiß-Zeichnungen gehaltene Vorlage, die ästhetisch bisweilen an Mangas erinnert, zu finden. Die oft verkanteten oder asymmetrischen Panels finden ihre Entsprechung im Film in ungewöhnlichen Kameraperspektiven, zentrale großformatige Bilder des Comics werden ebenso übernommen und erreichen auch filmisch ihre Wirkung. Prägnant gesetzte Lieder von London Grammar oder Rasmus Walter wiederum laden ausgewählte Momente melancholisch auf und bringen die Atmosphäre auf den Punkt. Wenngleich Barbara im Film nicht ganz so rotzfrech ist wie ihr Comic-Vorbild, wirkt der Film keineswegs weichgespült. Kelly, der auch für das Drehbuch verantwortlich zeichnet, hat seine Vorlage vielmehr klug gekürzt und auf das Wesentliche reduziert. Ohne auf Pathos zu setzen, geht er dorthin, wo es wehtut. In den besten Szenen vermittelt der Film die Ängste von Barbara einprägsam durch fantastische Bilder, erzählt über die heilende Kraft abgründiger Fantasien und konfrontiert sein junges Publikum mit unangenehmen Gefühlen, ohne es zu überfordern.
Stefan Stiletto
I Kill Giants - Belgien, Großbritannien, USA 2016, Regie: Anders Walter, Homevideostart: 26.07.2018, FSK: ab 12, Empfehlung: ab 14 Jahren, Laufzeit: 106 Min., Buch: Joe Kelly, nach der Graphic Novel "I Kill Giants" von Joe Kelly und Ken Niimura, Kamera: Rasmus Heise, Schnitt: Lars Wissing, Musik: Laurent Perez del Mar, Produktion: Michael Barnathan, Chris Columbus, Kyle Franke, Joe Kelly, Kim Magnusson, Martin Metz, Adrian Politowski, Nick Spicer, Anbieter: Koch, Besetzung: Madison Wolfe (Barbara), Imogen Poots (Karen), Sydney Wade (Sophia), Zoe Saldana (Mrs. Mollé), Rory Jackson (Taylor) u. a.
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