Liz und der blaue Vogel
Die emotional komplexe Geschichte zweier Freundinnen, mit poetischer Ruhe im Stil eines „Slice-of-Life‟-Animes erzählt.
In Animes hat sich eine Erzählrichtung etabliert, die auf Alltäglichkeit setzt, sich durch ihre genauen Beobachtungen von Details und ihre große Ruhe auszeichnet. „Slice-of-Life‟-Geschichten verzichten auf Action und äußere Dramatik, sondern lassen sich voll und ganz auf die Gefühlsebene der Figuren ein und suchen nach Bildern für diese. Nach diesem Muster funktioniert auch der neue Film von Naoko Yamada, die eine Geschichte um zwei Nebenfiguren der Anime-Fernsehserie „Sound! Euphonium‟ ausbaut. Schon seit ihrer ersten Begegnung fühlt sich die eher schüchterne und zurückhaltende Mizore zu Nozomi hingezogen. Mizore bewundert Nozomis forsches Auftreten, ihre Zielstrebigkeit, ihr Selbstbewusstsein, während Mizore selbst gerade überhaupt nicht weiß, was sie mit ihrem Leben anstellen soll. Wegen Nozomi ist sie in den Musikclub der Schule eingetreten, in dem sie nun gemeinsam mit Nozomi das auf einem Märchen beruhende Stück „Liz und der blaue Vogel‟ einstudiert – eine Geschichte über ein Mädchen, das sich mit einem magischen Vogel anfreundet, der die Gestalt eines Menschen annehmen kann, und lernen muss, diesen schließlich freizulassen.
Ganz nahe an den Figuren ist der Anime, der immer wieder den Blick auf scheinbar Nebensächliches wirft. Manchmal sind dies kleine Bewegungen, manchmal die farblich unterschiedlichen Strümpfe von Mizore und Nozomi, manchmal ihre Augen, in denen sich Anzeichen von Rührung erkennen lassen. Immerzu tragen diese Bilder zu einer ungemeinen Atmosphäre bei, während die Zeit stillzustehen scheint. Obwohl die Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen den beiden Jugendlichen künstlich wirken kann – der sportliche Pferdeschwanz hier, der eher biedere Pony dort, die luftig klingende Querflöte auf der einen Seite, die eher schwere, erdige Oboe auf der anderen – so gelingt es dem Anime dadurch doch auch, ein gutes Gefühl für die Figuren zu vermitteln. Bemerkenswert ist dabei, wie sich die Beziehung der beiden Jugendlichen zueinander im Laufe des Films verschiebt, wie Zuschreibungen in anderem Licht erscheinen und dabei klug und komplex über Zuneigung und Eifersucht, über Freiheit und Bindung, Nähe und Abschiednehmen erzählt wird.
Bislang ist die Anime-Branche zumindest im Spielfilmbereich in leitenden Positionen hauptsächlich von Männern dominiert. Naoko Yamada stellt eine Ausnahme dar. Nach „A Silent Voice‟ (2016) hat sie mit „Liz und der blaue Vogel‟ einen weiteren, in Stil und Ästhetik überaus eigenständigen Film vorgelegt. Nicht nur zeichnet sich ihr Film durch seine große Sensibilität aus. Auch die Bedeutung der Musik ist hier weitaus wichtiger als in anderen Filmen und wird – wie etwa in „The Piano Forest‟ (Masayuki Kojima, 2007) – zu einem tragenden Bestandteil der Geschichte, der diese auch weiterentwickelt. Nicht zuletzt durchbrechen experimentell anmutende Sequenzen, die in ihrer Gestaltung an den Pinselstrich von Aquarellbildern erinnern, die bekannte Anime-Ästhetik immer wieder und lassen die japanische Zeichentrickkunst in neuem Licht erscheinen.
Stefan Stiletto
Liz to Aoi Tori - Japan 2018, Regie: Naoko Yamada, Homevideostart: 20.09.2019, FSK: ab 6, Empfehlung: ab 14 Jahren, Laufzeit: 90 Min. Buch: Reiko Yoshida, nach der Buchreihe „Sound! Euphonium‟ von Ayano Takeda. Kamera: Kazuya Takao. Musik: Kensuke Ushio, Akito Matsuda. Schnitt: Kengo Shigemura. Produktion: Shinichi Nakamura, Eharu Oohashi, Shigeru Saitô, Riri Senami, Yoshifumi Yarimizu. Anbieter: Universum
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