Wednesday (Staffel 2, Teil 1 & 2)
Auf Netflix: Lieber die Krähe in der Hand als den Zombie auf dem Dach? Staffel 2 ist düster, wild und verliert dabei fast ihren bissigen Fokus.
Wednesday Addams hat einen langen Weg zurückgelegt seit ihrem ersten Auftritt in den Cartoons von Charles Addams in den 1940er Jahren, und ist im Verhältnis dazu nur langsam gealtert. Für die Netflix-Serie „Wednesday“ haben die Showrunner Alfred Gough und Miles Millar sie mitten in die Teenager-Zeit und an die Nevermore Academy versetzt – die erste Schule, an der sie es mehr als ein Jahr aushält.
Das ist bedeutend, weil es nicht nur die Figur Wednesday ins Zentrum rückt – damit hatten insbesondere die Filme „Addams Family“ und „Die Addams Family in verrückter Tradition“ (Barry Sonnenfeld, 1991 und 1993) schon begonnen –, sondern zugleich die Dynamik und auch die Risse innerhalb der Familie. In allen vorherigen Inkarnationen waren die Addams eine feste Front gegen die skeptische bis feindliche Außenwelt, ein beglückend schwarz und morbid strahlender, aufrechter Leuchtturm der Liebe in einer Welt voller bigotter Egoisten und Pastelltönen.
Aber auch eine junge Addams trifft die Pubertät, trifft der Wille zur Ablösung, und in Nevermore, wo die „Outcasts“ wie Sirenen, Werwölfe oder Gorgonen zur Schule gehen, fühlt sich Wednesday überraschend wohl, obwohl es auch die Schule ist, an der ihre Eltern sich kennengelernt hatten. Schon die erste Staffel „Wednesday“ führte also ein wenig in die Addams’sche Familiengeschichte hinein, in Staffel 2 zieht Mutter Morticia sogar neben das Schulgelände, um auf Bitten des neuen Schulleiters (ein Job, der anscheinend auf Nevermore mit einer niedrigen Lebenserwartung verbunden ist) eine Gala für Eltern und edle Spender*innen auszurichten.
Der Tochter passt das gar nicht, sie ist schon nicht begeistert davon, dass ihr Bruder Pugsley nun auch nach Nevermore kommt; das eiskalte Händchen ist eh dabei, Onkel Fester taucht auch bald auf, dann sogar ihre Großmutter: Wednesday muss sich diesmal in Abgrenzung von ihrer Familie dauernd mit ihr auseinandersetzen, während sie gleichzeitig damit hadert, dass ihr die Kontrolle über ihre seherische Begabung entgleitet, aber alle Zeichen darauf hindeuten, dass ein Bösewicht auf Nevermore sie und ihre Freundin Enid ermorden will.
Die Gala hier, Drohbriefe dort, Enid hat Liebessorgen, der in Staffel 1 gefangen genommene Hyde Tyler ist auch nicht wirklich sicher weggesperrt, ein Zombie wankt durch den Wald, und was soll das eigentlich mit dieser Gala? „Wednesday“, das ist der Kern dieses schön schwarzen Pudels, will viel zu viel auf einmal zu erzählen, in die Handlungsstränge treten reichlich bekannte und einige neue Figuren hinein, aber dabei kommt der Serie ihr Fokus und ihr Gerüst weitgehend abhanden.
Die beginnende und ja durchaus schwierige Freundschaft zwischen Wednesday und Enid wird fast vernachlässigt und rückt nur in einer Folge für eine ziemlich clevere Wendung in den Mittelpunkt. Auch die Gemeinschaft der Schüler*innen wird ein wenig behauptet, aber kaum gezeigt oder ausgespielt. Und weil so viel passiert, bekommen auch die spitzen Dialoge weniger Raum.
Motive, die am Anfang groß platziert werden, flattern irgendwann ein wenig folgenlos davon (die Krähen!), und gelegentlich taucht eine Motte ex machina auf, um ein erzählerisches Problem zu lösen. Dabei sieht alles erwartungsgemäß großartig aus: Tim Burton führt wieder bei der Hälfte der Episoden Regie, seine Handschrift ist überall erkenn – und spürbar, die Musik von Danny Elfman gibt das Schauergefühl dazu – und eine animierte Sequenz zu Beginn der Staffel erinnert wohlig und wunderbar an Animationsfilme, an denen die beiden zusammengearbeitet haben, wie „Corpse Bride – Hochzeit mit einer Leiche“ (Tim Burton, Mike Johnson, 2005) und „Nightmare Before Christmas“ (Henry Selick, 1993).
Ein wenig entsteht der Eindruck, als kämpfe die Serie mit ihrem eigenen Erfolg: Die erste Staffel wirkte in vielem federleicht, verspielt und vor allem interessiert daran, wie sich ihre einzigartige Hauptfigur unter Gleichaltrigen und ähnlich Gesinnten bewegen würde. Drei Jahre später wirkt „Wednesday“ angestrengt damit beschäftigt, nichts am Rezept ändern zu wollen, und erzeugt dadurch unwillkürlich eine seltsam ungelenke, starre Geschichte. Verschwunden ist die politische Auseinandersetzung mit den engstirnigen „Normies“ da draußen, die Konflikte spielen sich innerhalb der „Outcasts“ ab – und sind da dann bestürzend menschlich.
Wednesday Addams selbst wirkt grimmiger, es geht ordentlich blutig zu, auch wenn man zum Beispiel dem Zombie nur aus der Entfernung bei der Nahrungsaufnahme zusieht, und selbst die Einblicke in die Familiengeschichte der Addams werden dunkler. Das Ende deutet an, dass auch die dritte Staffel – die schon im Juli 2025 angekündigt wurde – weiter in dieser Richtung graben wird. Es bleibt zu hoffen, dass die Protagonistin wieder etwas mehr Leichtigkeit finden wird, um uns Außenstehenden zeigen zu können, dass man Misanthropin und wunderbar zugleich sein kann.
Rochus Wolff
USA 2025, Serien-Idee: Tim Burton, Paco Cabezas, Angela Robinson, Homevideostart: 06.08.2025, FSK: keine FSK-Prüfung, Empfehlung: ab 16 Jahren, Laufzeit: 8 Episoden à ca. 60 Min., Buch: Alfred Gough, Miles Millar, Matt Lambert, Valentina Garza, Lauren Otero, Erika Vázquez, Siena Butterfield, Kayla Alpert, James Madejski, nach den Cartoons von Charles Addams, Kamera: David Lanzenberg, Stephan Pehrsson, PJ Dillon, John Conroy, Musik: Danny Elfman, Chris Bacon, Schnitt: Jay Prychidny, Ana Yavari, Paul Day, Dan Briceno, Produktion: Carmen Pepelea, Verleih: Netflix, Besetzung: Jenna Ortega (Wednesday Addams), Emma Myers (Enid Sinclair), Catherine Zeta-Jones (Moriticia Addams), Luis Guzmán (Gomez Addams), Steve Buscemi (Barry Dort)





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