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Tschappel

In der ZDF-Mediathek: Carlo will weg aus Hintervorderbach. Oder doch nicht? Acht sehr lustige Serienfolgen übers Jung(s)sein auf dem Land.

Was, fragt man sich angesichts des Titels, ist eigentlich ein Tschappel? Ein Online-Wörterbuch des Schwäbischen hilft weiter: Jemand, der mit einer charmanten Mischung aus Naivität, Tollpatschigkeit und Leichtfertigkeit durchs Leben geht, selten klare Pläne oder Ziele hat. Und weil nicht nur Oberschwaben ZDFneo schauen, stellt auch die Serie von Marc Philip Ginolas und Carly Coco (nach einem Buch von Ginolas und Marius Beck) diese Frage in ihren ersten Minuten – und beantwortet sie mit ihrer Hauptfigur.

Der Tschappel hier heißt Carlo Brenner und feiert gerade in der schwäbischen Provinz sein Abitur. Der „Abiball“ fällt eher rustikal aus, und natürlich feiern die besten Freunde aus Hintervorderbach, Aydin und Blabla, mit, selbst wenn Blabla, wie er selbst sagt, nur das „kleine Abitur“ hat: Realschulabschluss und Tanzkurs. Einen klaren Lebensplan hat Blabla auch schon: Für immer auf dem Dorf bleiben, auf dem Hof seiner Familie. (Später wird dort während einer Hitzewelle die Güllegrube kurzzeitig als Pool fürs ganze Dorf dienen dürfen, aber das ist eine andere Geschichte.)

Carlo hingegen, sagt er, zieht es zu Work & Travel nach Australien. Womöglich hat das damit zu tun, dass Pia das machen will. Aber daraus wird nichts. Ein Autounfall mit dem geliebten, antiken Mercedes seines Vaters kommt dazwischen – damit ist Carlos Erspartes weg, und er darf in Papas Wirtschaft schaffen, bis die Reparaturkosten abgearbeitet sind. Und während das als Handlung leidlich interessant wäre, sind es das Wer und das Wie, die „Tschappel“ zu einer richtig lustigen Serie mitten aus dem (spielerisch überhöhten) deutschen Landleben machen.

Allein schon der Autounfall! Genau da, wo Carlo nicht langfahren durfte (wegen der vielen Wildunfälle) baut er den Unfall, weil er einem Reh ausweicht. Aydin und Blabla haben sofort einen Plan: mit Borsten eines Wildschweins aus dem Gehege eines Landwirts in der Nähe einen Unfall mit einem solchen Tier vortäuschen. Selbstverständlich an anderer Stelle! Also schieben Carlo und Pia den Mercedes durch die Gegend, während die anderen nicht nur Borsten, sondern ein ganzes Borstentier auftreiben, das zufällig gerade eines natürlichen Todes gestorben war. Alles ist arrangiert, als Carlos Vater und die Polizist*innen eintreffen.

Aber genauso fröhlich wie alle möglichen anderen Pläne in dieser Serie geht natürlich auch dieser Plan schief! Dafür muss man Carlo, Aydin, Blabla und den Menschen um sie herum eines lassen: Ihnen mangelt es defintiv nicht an Ideen. So bittet Carlos Tante Gabi ihren Neffen, sich als ihr Sohn auszugeben. Tante Gabi versucht wiederum Schadensbegrenzung zu betreiben, als Carlo versucht, seinen Eltern zu beweisen, dass er die Wirtschaft auch ohne sie im Griff hat. Freuen Sie sich auf interessante Kreationen – und viel Feuerlösch-Schaum in der ganzen Küche!

Das alles wird uns in zwar massentauglich reduziertem, aber doch deutlichem Dialekt präsentiert (die Nutzung der Untertitel sei wenigstens für Norddeutsche empfohlen), mit stellenweise glitzernden Dialogen („Kannst du einfach mal die Fresse halten, Blabla!?“ – „Merkschd grad selber, oder?“) und Augenblicken allergrößter Fremdscham. Allerdings laufen hier keine tumben Karikaturen durch die Landschaft, sondern lauter aufgeweckte junge und auch ältere Menschen, vom Stammpersonal in der Wirtschaft bis hin zu den Nebenfiguren am Currywurst-Stand.

Vor allem aber: Bei allen Verfehlungen, Schimpfereien und bei allem Chaos ist das alles durchdrungen von Liebe und Rücksichtnahme. Man streitet sich und verträgt sich, und weil alle schon ewig im Dorf sind, hat alles und haben alle hier Vorgeschichte. Das schweißt zusammen, macht das Leben besser.

Und „Tschappel“ witziger. Denn die Handlung wird durch Rück- und Einblendungen immer wieder ironisch kommentiert, wobei die Themen von Hodentorsion über Lebensträume bis hin zum würdigen Begräbnis mit Schnaps und Zigaretten reichen. Und natürlich geht es auch noch ein wenig um Pia. Ob sie wohl aus Australien zurückkommt? Sie erfahren es in dieser Geschichte, die – wie es in der letzten Folge heißt – wirklich bescheuert ist. „Aber irgendwie auch geil.“

Rochus Wolff

© ZDFneo
15+
Spielfilm

Deutschland 2025, Regie: Marc Philip Ginolas, Carly Coco, Homevideostart: 23.05.2025, FSK: ab 12, Empfehlung: ab 15 Jahren, Laufzeit: 8 Episoden à ca. 25 Min., Buch: Marius Beck, Marc Philip Ginolas, Kamera: Conrad Lobst, Musik: Die Hochzeitskapelle, Ton: Claudio Demel, Schnitt: Katja Beck, Produktion: Paul Beck, Marius Beck (Apollonia Film), Charlotte Groth, Maximilian Greil (LAX Entertainment GmbH), Besetzung: Jeremias Meyer (Carlo), Sebastian Jakob Doppelbauer (Blabla), David Ali Rashed (Aydin), Nina Gnädig (Gabi), Mina-Giselle Rüffer (Pia) u. a.

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