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Aus Versehen Bestseller

Entdeckt beim SCHLINGEL: Nina will Schriftstellerin werden. Und lernt dadurch sowohl ihre verstorbene Mutter als auch ihre Gefühle besser kennen.

Wenn sie ihrem jüngeren Bruder Gute-Nacht-Geschichten erzählt, langweilt der sich nur. Ob Mama spannendere Geschichten zu erzählen gewusst hätte?  Vielleicht. Aber genau weiß Nina das nicht. Denn an ihre Mutter, die vor acht Jahren gestorben ist, kann sie sich nicht mehr erinnern. Bisher war das eigentlich kein großes Problem für die 13-Jährige: Die Geschwister bilden mit Papa ein prima Team und ihre Tante, die ab und zu vorbei schaut, füllt die Rolle einer weiblichen Bezugsperson gerne aus.

Nina liest viel und will von nun an ihre Gedanken und Erlebnisse aufschreiben, um Schriftstellerin zu werden. Sie ist fest entschlossen, ihrem Leben eine neue Wendung zu geben. Also geht sie zur betagten, erfolgreichen Schriftstellerin Lidia, die einen Schreibworkshop für ältere Damen aus der Nachbarschaft anbietet. Ob sie da mitmachen darf? Nein, natürlich nicht. Lidia ist überzeugt: Als junger Mensch habe Nina doch ganz andere Dinge zu erzählen als die alten, gelangweilten Rentnerinnen. Sie gibt Nina stattdessen den Auftrag, ihren Tag zu beschreiben und bietet an, ihr ehrliches Feedback zu den Texten zu geben. Nina willigt ein.

Mit dieser Abmachung beginnt ein fast schon therapeutisches Verhältnis zwischen den beiden, denn sie diskutieren auf Augenhöhe Ninas Schreibversuche, die sich ganz wesentlich um die Familie ranken. Die Leerstelle dabei bleibt die Mutter, die Nina nun zu fassen versucht, wobei sie immer mehr eine Sehnsucht nach ihrer Mama entwickelt. Oder ist es vielmehr ganz allgemein der Wunsch nach einer Mutter, die jetzt in diesem Moment für sie da sein soll? Nina begibt sich auf Recherche nach ihrer Mama, denn die hat sich nie fotografieren lassen und so ist nicht einmal eine visuelle  Annäherung möglich. Nina befragt frühere Kolleginnen, besucht  die alte Schule ihrer Mutter und backt mit der Tante Mamas Lieblingskuchen.

Ninas Schreibversuche macht der Film auch visuell sichtbar: Farbige, hauchdünne Papierbuchstaben und Wörter ploppen im Bild auf, Personen werden aus grafischen Schriftzeichen gebildet, um dann in sich zusammenzufallen. Wörter, die schon im Bild herumschwirren, werden wieder durchgestrichen, zum Beispiel das Wort „nice“. Denn eine der ersten Regeln, die Nina von Lidia lernt, ist, dass dieses Adjektiv keinen literarischen Wert hat. Nina spricht immer wieder direkt in die Kamera, um uns an ihren Gedanken teilhaben zu lassen. Ganz nebenbei lernen wir so die Terminologien und Regeln des kreativen Schreibens kennen. Cliffhanger, Perspektivwechsel, happy end versus tragisches Ende, Rückblenden und Charakterstudie – Das klingt theoretisch und nach trockener Materie, wird hier aber sehr unterhaltsam inszeniert.

In Ninas Schreibversuchen geht es auch um Detti, die neue Freundin des Vaters, und um ihre eigene erste Verliebtheit. Nina will sich eigentlich nicht verlieben, sich weder auf den netten Sportsfreund, noch auf die wirklich sehr sympathische Detti einlassen, denn beide Beziehungen werden – davon ist sie überzeugt – auf jeden Fall traurig enden. Das kennt man doch, man lässt sich auf jemanden ein und schon wird man wieder allein gelassen und verletzt. Auch in diesem Kontext kann die altersweise Lidia ihrer Schülerin eine andere Perspektive aufzeigen. Liebe ist ein starkes Gefühl, das es sich immer lohnt zuzulassen, sagt sie ihr. Selbst wenn diese irgendwann ein tragisches Ende nimmt.

Umgekehrt unterstützt Nina aber auch Lidia. Sie erklärt ihr zum Beispiel ein Computerprogramm und zeigt ihr, wie sie die Kamerafunktionen des PCs nutzen kann. Auch als Lidias alter Kater stirbt, ist Nina zur Stelle. Kein Wunder, dass Nina nicht nur angehende Schriftstellerin, sondern auch Hürdenläuferin ist. Ein stimmiges Bild für ihre Situation: Denn Aufgeben ist für Nina keine Option. Wenn sie schon die eine Hürde genommen hat, nimmt sie auch die nächste. Und ehe sie sich's versieht, hat sie einen ganzen Roman geschrieben.

Katrin Hoffmann

Diese Kritik entstand im Rahmen der Berichterstattung zur Aufführung des Films beim internationalen Filmfestival SCHLINGEL 2025.

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Véletlenül írtam egy könyvet, Internationaler Titel: I Accidentally Wrote a Book - Ungarn, Niederlande 2024, Regie: Nóra Lakos, Festivalstart: 28.09.2025, FSK: keine FSK-Prüfung, Empfehlung: ab 10 Jahren, Laufzeit: 98 Min., Buch: Nóra Lakos, nach der Romanvorlage von Annet Huizing, Kamera: Dániel Reich, Schnitt: Béla Barsi, Musik: Jacob Meijer, Alexander Reumers, Produktion: JUNO11 Pictures, BIND, Verleih: Beta Film, Besetzung: Villõ Demeter (Nina), Kati Zsurzs (Lidia), László Mátray (Papa), Bonca Hárs (Junior), Vivien Rujder (Detti)