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Ein Zirkus für mich allein

Entdeckt beim „Schlingel‟: Zu viel Klamauk, zu viel Freiheit. Die Tochter eines Clowns sehnt sich nach einem geordneteren Leben.

So ein Spaß. Kind eines Clowns zu sein, bedeutet Freiheit, ständig auf Tour und so wenig Regeln wie möglich. Im Wohnwagen leben, abends Lagerfeuer und einen Vater, der immer einen Witz reißt und nichts ernst zu nehmen scheint. Aber Laura will das nicht mehr. Denn so selbstbestimmt und idyllisch, wie es klingt, ist dieses Leben nicht.

Laura ist jetzt 13 Jahre alt, ohne Mutter aufgewachsen, und seit jeher bildet sie mit Papa Bill und dessen bestem Freund Mandeep die kleine Zirkusgemeinschaft. Alle haben dabei ihre feste Aufgaben: Laura kündigt als Fräulein Mattarazz den Clown Mr. Bill an und ist auf der Bühne seine Assistentin, außerdem hat sie den Tourneeplan im Kopf. Der stumme Mandeep, ein indisch aussehender Musiker mit Turban, begleitet die Vorführungen mit seiner Konzertina und hilft, wo er kann, fährt den Bus und kümmert sich mit Bill ums Equipment. Doch in Wirklichkeit dreht sich alles um Bill, der als Kopf der Truppe die Regeln vorgibt, von denen er glaubt, dass es keine Regeln sind.

Lauras Schule interessiert ihren Vater überhaupt nicht und alles was mit Religion zu tun hat, ist seiner Meinung nach zu verteufeln. Laura aber liebt die Schule.  Sie ist ein schlaues Kind und würde am liebsten auf eine Privatschule gehen, weil es da zum Beispiel einen Schachclub und andere Aktivitäten gibt, die ihr ihre Stadtteilschule nicht bieten kann. Ohnehin ist in dieser nicht einmal Geld da, um das Loch im Dach zu reparieren. Als Laura in ihrer Mathematiklehrerin eine Verbündete findet, die sie darin unterstützt, die Prüfung für die Privatschule zu schaffen, ist die Auseinandersetzung mit dem Vater unausweichlich.

„Ein Zirkus für mich allein“ erzählt den Konflikt leise. Bis auf einen großen Eklat setzt sich Laura stumm zur Wehr und zieht sich zunehmend zurück. Ihren Zirkuspflichten geht sie nur noch gelangweilt und widerwillig nach, während Bill einfach nicht aus seiner Haut kann. Daraus ergeben sich viele lustige Szenen, wenn er beispielsweise seinem Bankberater die „Ode an die Freude“ mit der Plastikblockflöte vorspielt – mit dem Nasenloch anstatt mit dem Mund. Spätestens hier wird deutlich, dass der Clown immer Clown bleibt und nie die ernsten Situationen erkennt. Als Bill das erste Mal überhaupt zu einem Elternabend in die Schule geht, wartet Laura mit bangem Herzen, was er jetzt wohl wieder angestellt haben mag. Und sie behält Recht – er mischt den ganzen Abend auf, Hauptsache er hat sein Publikum. Das ist wahnsinnig komisch, die Eltern, die Lehrerin, das Publikum im Kino biegt sich vor Lachen. Aber eigentlich ist es auch sehr traurig, weil Bill den Ernst der Lage verkennt und schließlich erst von der Lehrerin Lauras größten Wunsch erfahren muss. Sie selbst hatte ihren Vater nicht in ihren Traum von der Privatschule eingeweiht.

„Ein Zirkus für mich allein“ ist nicht im klassischen Sinne ein Zirkusfilm. Obwohl einige Vorstellungen zu sehen sind, die sehr viel Spaß machen, werden die Manege sowie die Requisiten nur sehr dezent genutzt. Auch Bill ist wenig clownesk geschminkt. Eine grandiose Szene ist die Beerdigung eines ganz Großen ihrer Zunft. Die Trauergemeinde ist in Schwarzweiß gekleidet, mit roten Clownsnasen als einzigem Zugeständnis an die komische Rolle. Ein weißer großer Vogel als Walking Act an Stäben geführt begleitet die Trauernden. Hier ist das Farbkonzept perfektioniert, das den ganzen Film bestimmt. Eine dezente Kolorierung von grafischer Perfektion lässt das Publikum in jede Szene gern eintauchen. Man fühlt sich auf magische Weise hineingezogen in die stimmige, aber unbekannte Welt der Schausteller*innen. Der Sound dazu ist verhaltene unaufdringliche Zirkusmusik.

Heimlicher Star dieser Welt ist übrigens Mandeep, der stumme Freund. Da er nur zuhören kann, kommentiert er umso mehr mit seinen Blicken das Geschehen. Die großen dunklen Augen, die unter dem gelben Turban hervorblitzen, können nicht lügen. Seine Gedanken sind mit einem kurzen Blick in sein Gesicht zu erkennen. Vielleicht sollte auch Bill öfter seinem Freund genauer in die Augen sehen, dann hätte er viel eher begriffen, was seine Tochter umtreibt. Auch Mandeep wird sich befreien von Bill und eines Tages mit einer stylischen Föhnfrisur aus der Stadt zurückkehren, ohne Turban. Wenn Bill dies nicht akzeptiert, wird er irgendwann allein auf den Brettern stehen, die seine Welt bedeuten. Er muss verstehen, dass sie nur eine Zukunft als Zirkusfamilie haben können, wenn sie sich jeweils so anerkennen wie sie sind.

Regisseurin Miryam Bouchard hat hier ihre eigene Geschichte verarbeitet. Sie lebte mit ihrem Clownsvater zeitweise auf Tournee und wurde durch diese Zeit geprägt. Ein untrügliches Gespür für den Rhythmus von Komik in Abwechslung mit Tragik hat sie aus dieser Zeit in jedem Fall gelernt. Auf dem 26. Internationalen Filmfestival Schlingel in Chemnitz hat der Film 2021 die Preise der FIPRESCI Jury und der Ökumenischen Jury gewonnen.

Katrin Hoffmann

© Schlingel-Archiv
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Spielfilm

Mon cirque à moi - Kanada 2020, Regie: Miryam Bouchard, Festivalstart: 16.10.2021, FSK: keine FSK-Prüfung, Empfehlung: ab 9 Jahren, Laufzeit: 100 Min. Buch: Miryam Bouchard, Martin Forget. Kamera: Ronald Plante. Musik: Mathieu Vanasse. Schnitt: Valérie Héroux. Produktion: Attraction Images. Verleih: offen. Darsteller*innen: Jasmine Lemée (Laura), Patrick Huard (Bill), Robert Aubert (Mandeep), Sophie Lorain (Lehrerin) u. a.

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