Enola Holmes
Auf Netflix: Emanzipationsgeschichte mit junger Detektivin. So geht eine Sherlock Holmes-Variante im Jahr 2020.
„Deine Zukunft hast allein du in der Hand“ – mit diesem Credo wird Enola, die jüngere Schwester des legendären Meisterdetektivs Sherlock Holmes, von ihrer Mutter Eudoria erzogen. Und das im England des ausgehenden 19. Jahrhunderts, als Frauen sticken können und gut verheiratet werden, aber auf keinen Fall einen unabhängigen Geist haben sollen! So liest sich Enola durch die gesamte Bibliothek, macht gefährliche chemische Experimente, lernt mit bloßen Fäusten kämpfen und ihre Unabhängigkeit von allem und jedem zu behaupten.
Schon in Enolas Vorname – rückwärts gelesen wird aus diesem „alone“ – spiegelt sich die tiefe Überzeugung ihrer Mutter, dass sie immer gut alleine zurecht kommen wird. Das sehen ihre älteren Brüder, die alle strengen Sitten der Zeit verinnerlicht haben, jedoch anders. Einzig Enolas Bruder Sherlock ist weniger hartherzig und hat viel für die kleine, wilde Schwester übrig. Von ihm hat Enola die Lust aufs Rätsellösen geerbt – ebenso wie von ihrer Mutter, die vor allem Worträtsel liebt.
Enola Holmes, das ist Millie Bobby Brown, die als Protagonistin der Überraschungs-Erfolgsserie „Stranger Things“ (ab 2016) über Nacht zum Megastar wurde. Mittlerweile ist sie im jugendlichen Alter und gibt Enola alles, was die Rolle für das ebenso originelle wie zeitgemäße Drehbuch braucht: Rotzigkeit, Impulsivität, Verletzlichkeit, Humor. Immer wieder spricht Enola direkt in die Kamera und teilt ihre Gedanken in der direkten Ansprache mit den Zuschauer*innen. Ihre knappen Kommentare bringen hintersinnig und mit Ironie und Verve die abenteuerlichen Stationen ihrer mit Hindernissen gespickten Reise auf den Punkt. Enola hat bei aller Wehrhaftigkeit aber auch ein großes Herz.
Auf der Flucht vor ihren Brüdern, vor allem dem älteren Mycroft, der sie aus Erziehungsgründen in ein von strenger Hand geführtes Mädchenpensionat stecken will, und auf der Suche nach ihrer Mutter, die sie aus rätselhaften Gründen in der Nacht vor ihrem 16. Geburtstag verlassen hat, verschlägt es Enola nach London. Im Zug trifft sie auf den jungen Lord Viscount Tewksbury, der ebenfalls auf der Flucht ist, nämlich vor dem Korsett seiner Hochgeborenheit. Dabei weiß er nicht, dass er in Lebensgefahr schwebt. Ein finsterer Killer mit Melone trachtet nach seinem Leben. Und obwohl die Mutter ihr eingeschärft hat, sich bloß nicht an Männer zu binden, entkommt der Junge nur dank Enolas zupackendem Eingreifen. Tewksbury ist fasziniert von dem Mädchen, das alles kann, was Mädchen eigentlich nicht können sollten.
Während Enola sich wacker durch viele Turbulenzen schlägt, lernt sie nebenbei etwas über den Kampf fürs Wahlrecht und soziale Ungerechtigkeit und emanzipiert sich auch von der geliebten Mutter. Im Grunde ist sie auf der Suche nach sich selbst und ihrem Platz im Leben als junge Frau. Denn: wenn du auf der Welt gehört werden willst, musst du Lärm machen.
„Enola Holmes‟ beruht auf der gleichnamigen Buchreihe von Nancy Springer, die zum Filmstart auch auf Deutsch veröffentlicht wird, und profitiert von dem Erfahrungsschatz von Harry Bradbeer, der sich etwa als Serienregisseur von „Fleabag‟ (2016 und 2019) einen Namen gemacht hat. Tempo, Timing und Humor landen immer punktgenau.
Die Abenteuerkomödie hat alles, was einen guten Jugendfilm ausmachen sollte: einen unterhaltsamen, spannenden und humorreichen Plot mit einer ungewöhnlichen und starken Heldin, viele interessante und gut besetzte Nebenrollen, starke Filmbilder und eine temporeiche und zeitgemäße Erzählweise. Genderzuschreibungen werden auf den Kopf gestellt und People of Color haben einen selbstverständlichen Platz in der Handlung – wie etwa Susan Wokoma mit einem nachhallenden Nebenauftritt als Jiu Jitsu-Trainerin. Auch die liebevolle historische Ausstattung und die Settings des Londons der Jahrhundertwende können sich sehen lassen. Neben der fröhlich dahinjagenden Handlung gibt es viele positive Botschaften: sei du selbst, kümmere dich nicht um das, was andere von dir wollen, sei wachsam und hinterfrage, suche nach dem, was da ist, nicht was du sehen willst.
Christiane Radeke
Enola Holmes - USA 2020, Regie: Harry Bradbeer, Homevideostart: 23.09.2020, FSK: keine FSK-Prüfung, Empfehlung: ab 12 Jahren, Laufzeit: 123 Min. Buch: Jack Thorne, nach der Romanreihe „Enola Holmes“ von Nancy Springer. Kamera: Giles Nuttgens. Musik: Daniel Pemberton. Schnitt: Adam Bosman. Produktion: Legendary Pictures. Verleih: Netflix. Darsteller*innen: Millie Bobby Brown (Enola Holmes), Louis Partridge (Lord Viscount Tewksbury) Henry Cavill (Sherlock Holmes), Helena Bonham Carter (Eudoria Holmes), Sam Claflin (Mycroft Holmes) u. a.
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