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Intersektionale Perspektiven im Film

Nicht nur das Eine sein

 

Filme mit einer marginalisierten Hauptfigur erzählen oft nur eine Ebene von Marginalisierung. Die Behinderung zum Beispiel, das Schwulsein oder das Schwarzsein. Dabei wird das Zusammenspiel von verschiedenen Diskriminierungsformen außer Acht gelassen. Dieses Zusammenspiel heißt Intersektionalität und beschreibt konkret das Zusammenwirken von mehreren Unterdrückungsmechanismen bzw. Diskriminierungsformen. Der Begriff wurde von der amerikanischen Juristin und Professorin Kimberlé Crenshaw geprägt. Das englische Wort intersectionality wird von intersection abgeleitet, das so viel wie „Kreuzung“ oder „Überschneidung“ bedeutet. Angenommen, eine Straße steht für die soziale Kategorie von Geschlecht, eine andere für Ethnie. Auf beide Straßen können Unfälle im Sinne von Diskriminierung passieren. Doch wer in der Mitte der Kreuzung steht – eine Schwarze weibliche Figur zum Beispiel – hat ein höheres Risiko, durch einen Unfall verletzt zu werden. Nur von Sexismus oder Rassismus in diesem Fall zu erzählen, wäre wie, um im Bild zu bleiben, als würde der Krankenwagen erst gerufen werden, wenn klar ist, von welcher Straße das Unfallauto kam.

Wenn wir Filme wollen, die nicht am Leben der Menschen vorbei erzählen, brauchen wir Figuren, die intersektional sind. Filme, in deren Erzählung Intersektionalität jenseits von Klischees und Stereotypen einfließt und besonders gefeiert wird. Denn nur solche schaffen neue Narrative über marginalisierte Perspektiven. Narrative, die diesen Perspektiven gerecht werden. Die nachfolgende Sammlung präsentiert Beispiele für besonders gelungene Filme, die eine intersektionale Perspektive einnehmen.

Intersektional: Migration, Gender & Sexualität

Tieftraurige Geschichten, die betroffen machen – so sehen sie oft aus, die Erzählungen in Filmen über Figuren mit Migrationsbiografie. In solch defizitären Erzählungen – in denen das Migrantische weniger Identität als Schicksalsschlag zu sein scheint – sind Figuren obendrein zumeist traditionellen Geschlechterrollen unterworfen und sie können sich nur schwer von heteronormativen Lebensweisen lösen. Wenn sie das tun, dann erwartet sie garantiert ein schlimmes Ende, und zwar bereits innerhalb ihrer Familien. Diese Art der Erzählung stigmatisiert andere Kulturräume. Somit wird die Gesellschaft, die diese Migrant*innen aufgenommen hat, als ein offener, liberaler und damit auch besserer kultureller Raum aufgewertet.

Das Gegenteil zeigen die von uns ausgewählten Filme. Sie machen weder die Differenz oder die Erfahrungen mit Rassismus unsichtbar, noch verschleiern sie die Schwierigkeiten von queerem Lieben oder dem Aufbrechen von Geschlechterrollen. Sie feiern Migration, Gender und Sexualität gleichermaßen. Das erreichen sie mit Hauptfiguren, die die traditionellen Rollenbilder im binären Geschlechtersystem infrage stellen oder sie schlicht und einfach unterlaufen. In den nachfolgend vorgestellten Filmen sehen wir Mädchen, die rappen und tiefgreifende Fragen an das Leben und an die Gesellschaft stellen. Wir sehen wütende Mädchen und junge Frauen, die sich der traditionellen Frauenrolle nicht unterwerfen und eine transformative Kraft mit sich bringen. Wir sehen lesbisches und schwules Lieben, das nicht dramatisiert wird, das nicht tragisch endet. In allen Filmen gewährleistet die Verschränkung der Ebenen Migration, Gender & Sexualität, dass ein gegenseitiges Verständnis erwachsen kann: Denn wenn Menschen, die ansonsten vielleicht nicht viel gemeinsam haben, (Marginalisierungs-)Erfahrungen teilen, können sie sich in denen des jeweils anderen wiederfinden.

Filmbild aus "Besties"
"Besties" (c) Salzgeber

Besties

Frankreich 2021, Marion Desseigne Ravel

Der Blick vom Dach, der sehnsüchtig nach etwas sucht. Nedjma hat eine liebevolle Mutter, eine Clique, einen besten Freund. Doch dann taucht Zina aus Paris auf. Und dann ist das Dach auf einmal der Ort der erfüllten Sehnsüchte. Doch das Leben unten ist aus dem Gleichgewicht.

Filmbild aus "Norwegian Dream"
"Norwegian Dream" (c) Salzgeber & Co. Medien GmbH

Norwegian Dream

Polen, Deutschland, Norwegen 2023, Leiv Igor Devold

Vom Fischfiletieren hat Robert in Polen nicht geträumt. Wohl eher von einem Kuss ohne Angst. Die Arbeit in Norwegen ist hart, der antislawische Rassismus deutlich spürbar. Dass er in Norwegen zwar freier Küssen kann, aber als Arbeitsmigrant weniger Rechte hat, lernt der junge Mann auf die harte Tour.

Filmbild aus "Bande des Filles"
"Bande des Filles" (c) Peripher

Bande de Filles

Frankreich 2014, Céline Sciamma

Was bedeutet es, eine Frau sein? Eine Schwarze Frau? Eine arme Schwarze Frau in Frankreich? Marieme verweigert sich den für sie von Familie und Gesellschaft zugeschriebenen Rollen. Im Widerstand lotet sie die Grenzen ihrer Möglichkeiten aus. Auch wenn der Weg der Eigenständigkeit einsam ist.

Filmbild aus "Rot"
"Rot" (c) Disney/Pixar

Rot

USA 2022, Domee Shi

Die Erwartungen der eigenen, beherrschten Mutter als Jugendliche zu erfüllen ist schon hart. Aber diesen Erwartungen als emotionaler roter Panda zu entsprechen ist unmöglich. Aber Mei findet gemeinsam mit ihren Freundinnen und Ahninnen einen Weg, die Regeln neu zu definieren.

Filmbild aus "Freda"
"Freda" (c) Nour Films

Freda

Haiti, Frankreich, Benin 2021, Gessica Généus

In den politischen Unruhen von Haiti will Freda an positive Veränderungen für ihr Land glauben. In ihrer Rolle als Frau ist Freda angehalten, zu bleiben. In ihrer Rolle als studierte Frau, zu gehen. Freda bleibt und versucht, im Bleiben zu schauen, was geht: Als arme, gebildete Frau inmitten eines revoltierenden Landes.

Sisterqueens

Deutschland 2024, Clara Stella Hüneke

Jamila, Rachel und Faseeha treffen sich regelmäßig im interkulturellen Zentrum für Mädchen und junge Frauen „Mädea“. Der Film feiert Sisterhood, indem er sie über drei Jahre begleitet, sie Rap als bestärkendes Instrument erlernen, immer kritischer auf die Gesellschaft schauen und immer wohlwollender auf sich.

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