Magische Momente | | von Stefan Stiletto
Wow!
Eine Szene aus Nicolas Roegs „Hexen hexen“.
Eine Frau, die sich die Haut vom Gesicht zieht und sich in eine Hexe verwandelt. In einem Kinderfilm, der die Grenzen des Zeigbaren ausgelotet hat. Zimperlich ist das nicht. Aber, ganz im Sinne Dahls, in seiner Freude an der Übertreibung auch nicht humorfrei.

Schon Roald Dahls Bücher sind ja bekanntlich nicht gerade zimperlich. So heißt es schon auf der zweiten Textseite von „Hexen hexen“ an die jungen Leser*innen gerichtet: „Eine echt Hexe kniet sich nämlich mit der gleichen Wonne in das Kinderzermalmen wie ihr in eine Portion Erdbeeren mit Schlagsahne.“ Nun gut. Dahl ist zwar grausam, aber auch nicht humorfrei. Wie kann ein Film diesen Spagat schaffen?
Nicolas Roeg, alles andere als kinderfilmerfahren, ist das 1990 in „Hexen hexen“ bei seiner Adaption des gleichnamigen Dahl-Romans gelungen. Der neunjährige Luke hat erfahren, dass in einem Hotel ein Hexentreffen stattfinden wird, und sich in den Versammlungsraum geschlichen. Und was er da sieht, und was das junge Publikum auch sieht, lässt sich nicht mal einfach so nebenbei weggucken. Unsympathisch ist die Frau zwar, die da zunächst auf die Bühne geht, aber eben noch eine Frau. Dann beginnt das Grauen. Die anwesenden Hexen dürfen ihre Schuhe ausziehen und ihre hässlichen Füße lassen sich erahnen. Sie dürfen ihre Perücken abnehmen. Und die Rednerin, die Oberhexe, geht noch weiter. Erst zieht sie sich nur ein bisschen die Haut von der Stirn Richtung Nase, dann immer mehr, bis darunter ihre wahre hässliche Fratze ans Licht kommt, grüne, manchmal blaue faltige Haut, ein spitzes haariges Kinn voller Warzen, eine lange Nase mit Warze, ein verformtes Ohr. Die Kamera schaut nicht weg, sie hält drauf. In Groß- und Nahaufnahmen fängt sie diese Transformation ein. Erst als die Oberhexe mit ihrer Ansprache an die mittlerweile kahlköpfigen, aber weitaus weniger hässlichen Zuhörerinnen beginnt, nimmt die Kamera ein wenig Abstand.

Es ist schon erstaunlich, was man sich da 1990 getraut hat. Schockeffekte aus der Horror-Schublade – handgemachte, wohlgemerkt – wurden hier konsequent in einem Kinderfilm eingesetzt. Was für ein Affront! Aber auch: Was für eine Herausforderung! Und ja doch, ganz im Sinne Dahls auch: Was für eine absurde, schräge, komische Vorstellung! Eine, bei der man nicht so recht weiß, ob man nun weggucken oder hingucken oder beides gleichzeitig soll, die faszinierend und eklig ist, neugierig macht und abschreckt. Die Hexen hier sind nicht süß und niedlich, nicht klein und nicht „Bibi Blocksberg“. Sie sind monströs und fies, richtig fies.
Ein wahrhaft „magischer Moment“ ist diese Szene, weil sie so konsequent die Grenzen einreißt und eine neue Welt zeigt. Man sollte nicht denken, dass diese Szene nach 35 Jahren weniger wirksam ist – ohnehin bemisst sich die Wirksamkeit und Wirkung einer Szene ja weniger am Entstehungsjahr oder der Qualität eines Films, sondern an den Erfahrungen, Gefühlen und Gedanken, mit denen ein Kind diese Bilder wahrnimmt und auflädt. Den gruseligen Effekten wiederum wirkt der junge Protagonist entgegen. Hätte Luke wirklich Angst, würde die Szene ganz anders wirken. Aber auch dieser Junge beobachtet die Verwandlung mit der augenzwinkernden Freude am Unbehagen und der Übertreibung, mit aufgerissenen Augen, fasziniert, aber nicht allzu eingeschüchtert. Das Hautabziehen kommentiert er ganz nüchtern: „Wow!“
Die Blu-ray von „Hexen hexen“ erscheint am 30.01.2025 bei Plaion Pictures.