Magische Momente | | von Kirsten Taylor

Wie man Sex nicht haben sollte

Eine Szene aus „How to Have Sex“ (Molly Manning Walker, 2023).

Ein Titel wie eine Gebrauchsanleitung. Und doch eine bittere Lüge. Denn Molly Manning Walkers Jugendfilm erzählt vielmehr darüber, wie Sex eben nicht sein sollte – schon gar nicht beim ersten Mal. Keine Magie dieses Mal, aber eine Szene, die lange nachhallt.

Filmstill aus How to Have Sex
"How to Have Sex" (c) Capelight, Nikolopoulos Nikos

Nachts am Strand. Eben noch Techno, tanzende Körper und Enthemmung pur. Jetzt ist da nur noch der Nachthimmel über Kreta, die Wellen, der Sand, der zwischen den Zehen kitzelt, auf der Haut klebt, sich überall breit macht. Tara ist mit Paddy hierhergekommen. Paddy, der mit seiner Clique in der Ferienwohnung gegenüber wohnt, der cool und nicht so laut ist wie der blondierte Badger mit seinem tätowierten Kussmund am Hals, mit dem Tara eben noch gefeiert hat, bis er – sturzbetrunken – sich vor den Augen der geifernden Meute auf ein Sexspielchen eingelassen hat. Nur noch weg, zurück in die Ferienanlage. Und dann ist sie Paddy begegnet: „Wollen wir zum Strand?“, hat er sie gefragt und sie ist mitgegangen. „Mir ist bisher nicht aufgefallen, wie hübsch du bist“, sagt er in die Dunkelheit hinein. Das könnte romantisch sein. Ist es aber nicht. Tara spürt seine Nähe, sein Wollen, seine Erwartung. Nackt schwimmen will er mit ihr, aber sie will nicht. Es ist ihm egal. Er hebt sie hoch und wirft sich mit ihr ins kalte Wasser. Tara zittert, sie fühlt sich sichtlich unwohl und sucht doch die Wärme seines Körpers. Und dann liegen sie im Sand. Ein Kuss. Noch einer. Und er fragt: „Ja?“ Und noch einmal: „Ja?“ Und sie schaut, zögert. „Ja.“

Diese durchaus ambivalent inszenierte Szene ist natürlich ganz und gar kein „magischer Moment“, aber eine Zäsur in Molly Manning Walkers Debütfilm „How to Have Sex“ (2023), der Tara mit viel Mitgefühl begegnet. Was vorher eine mitunter recht schrille Geschichte über drei Freundinnen war, die im griechischen Ferienort Malia den totalen Exzess suchen – Party, Saufen, Sex, und wenn das alles nicht klappt, stopfen die Mädchen eben Fritten mit Käse in sich hinein – entwickelt sich schlagartig zu einem Drama über das Erwachsenwerden und die Verstörung durch einen sexuellen Übergriff. Ausgerechnet Tara, die bei ihrer Ankunft in der Ferienanlage der Rezeptionistin ein Appartement mit Blick auf den Pool abgeschwatzt hat, die immer eine große Klappe hat, grölt, singt und lacht, kann in diesem Moment nicht für sich einstehen und ihre Grenzen klar machen. Es fehlen ihr die Worte, es fehlen ihr wahrscheinlich noch viel mehr der Mut und das Selbstbewusstsein und es zerreißt einem förmlich das Herz.

Filmstill aus How to Have Sex
"How to Have Sex" (c) Capelight, Nikolopoulos Nikos

Man möchte sie schütteln: „Mädchen, sag doch was! Du kannst auch jetzt noch nein sagen! Auch, wenn du eben noch zugestimmt hast!“ Aber in ihrem Hinterkopf haben sich Erwartungen eingenistet, ihre eigenen, aber auch die ihrer Freundinnen Skye und Em, die sie mehr oder weniger unter Druck setzen: Tara soll endlich ihr erstes Mal, den größten Spaß erleben! 16 Jahre alt und immer noch Jungfrau! Ein Makel, der beseitigt werden muss, und je mehr Skye stichelt, je öfter Tara mit großen Augen beobachtet, wie leicht sich im Pool oder im Club offene Münder finden, wie geflirtet und gebalzt wird, desto mehr steigt der Druck und die Anspannung und verliert das Mädchen offenbar das Gefühl dafür, was sie eigentlich selbst möchte und was nicht.

Was mag Tara in diesem Moment am Strand durch den Kopf gehen? Mehr Anerkennung, weil sie mit Paddy geschlafen hat, den Skye ziemlich heiß findet, während sie Badger als „Clown“ abwertet? Die Angst vor dummen Sprüchen, würde sie den jungen Mann abweisen? Wer will schon als Zicke oder gar als Spaßbremse gelten? Und vielleicht auch: Ist Sex immer so? Rein, raus und schon vorbei? Tara wird sich später nicht ihren vermeintlichen Freundinnen anvertrauen, sie verstummt, spielt das Spiel mit. Aber die Enttäuschung, die Scham, das Gefühl, benutzt worden zu sein, stehen ihr ins Gesicht geschrieben. Es hätte eine romantische Nacht am Strand werden können, ein Erlebnis, an das sich Tara noch Jahre später gerne erinnern würde. Aber es ist anders gekommen und sie teilt diese Erfahrung mit vielen anderen jungen Menschen.

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