Magische Momente | | von Ulrike Seyffarth

Familienessen

Eine Szene aus Sean Wangs „Dìdi“

Filmstill aus Didi
"Didi" (c) Focus Features, Talking Fish Pictures, Universal

Wohin gehört Chris? Bei einem Familienessen treffen Erwartungen, Wünsche und Selbstbilder von Menschen aus drei Generationen einer taiwanesischen Einwandererfamilie aufeinander. Mit Humor. Denn das macht die Identitätskrisen ein wenig leichter verdaulich.

In einer kalifornischen Kleinstadt findet sich die Familie zum Essen ein. Am Tisch sitzen der dreizehnjährige Chris, seine ältere Schwester Vivian, beider Mutter und Oma Nai Nai. Letztere befindet Chris als zu dünn und beginnt ihn mit den Stäbchen zu füttern, Widerstand zwecklos. Die Mutter blickt derweil wehmütig auf ihre fast erwachsene Tochter, die schon bald die Familie für ein Studium an der weit entfernten Uni von San Diego verlassen wird. Was Nai Nai veranlasst, Chris einzuschärfen, er möge später an der nahe gelegenen Elite-Uni Stanford studieren, damit sie ihn bekochen kann, für seine Gesundheit und männliche Muskeln. Was Vivian dazu bringt, belustigt anzumerken, dass ihr kleiner Bruder wohl kaum die Highschool überleben wird. Und schon geht’s rund am Tisch. Beschimpfungen fliegen zwischen den Geschwistern nur so hin und her: „Pickelfresse“, „Eidechse mit Arschekzemhaut“, „bitch“. Das mütterliche Veto („keine Schimpfworte!“) verpufft ungehört. Dann haut Nai Nai – winzig, runzlig und gefühlte hundert Jahre alt – auf den Tisch und lässt, sehr zum Vergnügen des Publikums, ihrerseits eine Tirade vom Stapel, die sich gewaschen hat.

Filmstill aus Didi
"Didi" (c) Focus Features, Talking Fish Pictures, Universal

Die Tischszene aus Seans Wangs „Dìdi“ (USA 2024) ist nicht nur exemplarisch für den temporeichen und frechen Humor des Films, sondern nimmt viele der Konflikte seiner Figuren vorweg. Drei Generationen taiwanesischer Immigranten sind hier versammelt: Oma Nai Nai (der heimliche Star des Films, übrigens gespielt von der Oma des Regisseurs) versteht weder Englisch noch die modernen Erziehungsmethoden ihrer Schwiegertochter und hält an alten Traditionen und Sitten fest. (Später wird sie eine weitere Kausalkette raushauen, die von der harmlosen Prügelei ihres Enkelsohns zum unausweichlichen Untergang der Familie führt. „Kinder sollen am Fluss mit den Grillen spielen, nicht sich prügeln!“) Chris‘ und Vivians Mutter kann sich recht gut auf Englisch verständigen, träumt von einer Karriere als Asian-American artist und isst Hamburger ganz „Asian Style“ mit Besteck. Chris und Vivian sind in den Staaten geboren, switchen mühelos zwischen den Sprachen und beherrschen darüberhinaus die Sprache der Jugend, inklusive der Codes der gerade aufkommenden sozialen Medien (es ist 2008).

Und doch erfährt Chris, mit Skateboard, YouTube, Handy und Hoodie in der US-amerikanischen Jugendkultur assimiliert, häufig Diskriminierung. Etwas wenn sein Schwarm Madi ihn eigentlich ganz süß findet – für einen Asiaten. Oder wenn man asiatische Kampfsportmoves von ihm erwartet. Umgekehrt erwartet seine Familie von ihm gute schulische Leistungen.

Drei Generationen, drei Sprachen, drei Kulturen am Tisch: Chris‘ Identität steckt irgendwo dazwischen. Bis er sie für sich gefunden hat, bleibt er „too Asian for the white kids“ und „too white for the Asian kids“ sowie für Oma Nai Nai.

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