Junge Held*innen | | von Stefan Stiletto
Wut im Bauch
Amelie aus „Amelie rennt“ (Tobias Wiemann, 2017)
Manche Filmfiguren geraten schnell wieder in Vergessenheit. Andere brennen sich ein. Etwa Amelie. Die Titelheldin aus "Amelie rennt" ist kein Mädchen, das man als Freundin haben möchte. Trotzdem wird sie zu einer eindrucksvollen Protagonistin, der man mit all ihren Schwächen gerne folgt.
Ein Junge versucht, sich mit einem coolen Spruch über das 13-jährige Mädchen lustig zu machen. Doch dieses kontert auf Augenhöhe und weist ihn dermaßen in die Schranken, dass er vor seinen Freunden das Gesicht verliert. Eins zu null und Bühne frei für Amelie, die rotzige Berliner Göre, über die man zwar lacht, mit der man aber ganz sicher nicht befreundet sein will. Amelie ist schwierig. Sie schimpft, sie mault, sie ist genervt. Von ihren Eltern, die getrennt leben und sich trotzdem miteinander verstehen, von ihrer Mutter, die die Wäsche in ihrem Zimmer parkt, wenn sie bei ihrem Papa wohnt, und vor allem von ihren Asthmaanfällen, die ihr das Leben zur Hölle machen. Amelie reagiert auf die Krankheit nicht mit Resignation, sondern mit Wut. Und das macht diese Figur aus. Dass sie Energie aus ihrem Ärger bezieht. Dass sie auch gegen sich selbst kämpft. Sie hat erst einmal kein Motiv. Sie ist einfach nur wütend. Das fesselt, das nimmt für sie ein, dadurch bleibt man an ihr dran. Später wird sie den Entschluss fassen, den Gipfel eines Berges in Südtirol zu erklimmen. Weil sie weg will, weil ihr das niemand zutraut und weil sie sich irgendwie beweisen will, dass sie es trotzdem kann. Rational gesehen ist die Wanderung ein Irrsinn. Weil es eine Kinogeschichte ist, folgt man dem Mädchen trotzdem. An ihrer Seite steht bald Bart, ein zwei Jahre älterer und meist vollkommen in sich ruhender Rotschopf, der in den Bergen aufgewachsen ist. Amelie liefert sich auch mit ihm raue Wortgefechte. Doch zu diesem Zeitpunkt ist längst schon klar, wie verletztlich Amelie hinter ihrer harten Fassade ist. Ihre Wut ist ihr Schild, mit dem sie sich vor der ständigen Angst vor dem Kontrollverlust über ihren Körper schützt. Wir spüren, wie sehr sie sich selbst hasst, weil sie krank ist, wie gerne sie normal wäre, dass sie ihre Schwäche einfach nicht zugeben will. Das ist es, was Amelie letztlich so sympathisch macht. Sie wirkt sehr real. Und was sie fühlt und wie sie über sich denkt, bietet über die konkrete Asthmaerkrankung hinweg, die sich auch nur als Metapher lesen lässt, viele Identifikationsmöglichkeiten.