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Interviews | | von Holger Twele

„Mir als Filmemacherin geht es um die Demokratie.‟

Interview mit Julia von Heinz über ihren Film „Und morgen die ganze Welt“

Mit ihrem Jugendfilm „Was am Ende zählt‟ hat Julia von Heinz 2007 auf sich aufmerksam gemacht. Nun hat sie, inspiriert von ihrer eigenen Biografie, einen Film über eine engagierte Zwanzigjährige gedreht, die sich einer Antifa-Gruppe anschließt und zunehmend beginnt, die in dieser herrschende Akzeptanz von Gewalt zu hinterfragen. Anlässlich des Kinostarts von „Und morgen die ganze Welt“ am 29.10.2020, nur wenige Wochen nach der Weltpremiere im Rahmen der Filmfestspiele von Venedig, hat Holger Twele mit Julia von Heinz gesprochen.

"Und morgen die ganze Welt" (c) Alamode

Möchten Sie gerade junge Menschen, die ihre Zukunft noch vor sich haben, mit Ihrem Film ansprechen?

Ja, denn der ganze Film stand unter dem Anspruch, ihn gerade auch für junge Menschen unterhaltsam und spannend zu machen, so dass man sich hoffentlich nicht langweilt. In der linken Szene wird gerne unendlich lang über alles gequatscht. Wir haben uns hier bewusst zurückgenommen und auf das eine oder andere Argument in dieser Szene verzichtet, um mehr Aktivität, Spannung und sogar Action zu bieten.

Die Idee kam Ihnen vor 20 Jahren und die von Rechtsextremen ausgehende Gefahr gibt es schon lange. Warum erst jetzt dieser Film?

Seit vielen Jahren höre ich immer wieder, ob das Thema nicht zu aktuell oder nächstes Jahr schon wieder Schnee von gestern sei. Stattdessen haben wir erlebt, wie es jedes Jahr schlimmer wurde. Wir haben den Film geschrieben und ihn gedreht. Und kaum saßen wir im Schnitt, wird ein Walter Lübcke mit einem Kopfschuss getötet, werden neun Menschen in Hanau in einer Shisha-Bar ermordet, hält in Halle an der Saale nur die Holztür einer Synagoge davon ab, dass dort Juden ermordet werden. Es scheint ein Problem zu sein, das die deutsche Gesellschaft nicht in den Griff bekommt, immer mehr in die Mitte der Gesellschaft wandert und hoffähiger wird. Daher bin ich froh, dass wir diesen Film machen konnten, um im Kinobereich auf das Problem aufmerksam zu machen. Und natürlich hoffe ich, dass es nicht der letzte Film sein wird, der in diese gesellschaftliche Realität eintaucht. Er kommt zwar zur richtigen Zeit, aber wir haben selbst in unseren schlimmsten Albträumen nicht vorausgesehen, dass es so heftig kommen würde.

Sie waren früher selbst in einer Antifa-Gruppe aktiv. Im Film wirken die einen sehr idealistisch, andere sehen in Gewalt die beste Lösung. Hat sich daran etwas geändert?

Wir haben das deutlich gemacht und jeder Figur aus dramaturgischen Gründen eine eigene Haltung gegeben. Ganz so einfach ist es in der Realität nicht. Ich glaube vielmehr, dass der Zwiespalt in jedem einzelnen Menschen angelegt ist so wie bei unserer Hauptfigur Luisa, die mit verschiedenen Haltungen der anderen ihre Erfahrungen macht und ihnen in unterschiedlichen Stadien zustimmt. Die linke Szene diskutiert weiterhin über Militanz als Mittel gegen Rechts und ich bin der Meinung, auch wir müssen diese Diskussion führen, die wir nicht in der Antifa sind. Darum habe ich diesen Film gemacht.

Ultrarechte wie ultralinke Gruppierungen beanspruchen den Art. 20 GG für sich und wollen angeblich die Demokratie schützen. Geht es da noch um demokratische Grundwerte?

In der linken Szene habe ich selten oder gar nicht diesen GG-Artikel gehört. Mir als Filmemacherin geht es um die Demokratie. Deshalb habe ich im Film diesen Artikel in einer Jura-Vorlesung aufgegriffen, der später von der Protagonistin selbst gesprochen wird und in ihr nachhallt. Im Grunde genommen ist das meine Stimme als Filmemacherin, die sich fragt, wie wir unsere Demokratie schützen können. Wenn sich Rechte auf diesen Artikel berufen wie ein Student in der Vorlesung, oder die Reichskriegsflagge schwenken, finde ich das zynisch, denn dieser Paragraph ist aus einem ganz anderen Grund in unserem Grundgesetz verankert, um uns vor einem neuen Faschismus zu bewahren.

Sind Männer empfänglicher für die Durchsetzung der eigenen Ziele mit Gewalt? Und wäre die Protagonistin damit eher eine Ausnahme?

Ich glaube, grundsätzlich nicht. Denn wir erleben in vielen militanten Bewegungen Frauen, bei den Kurdinnen etwa. Es gab auch viele Partisaninnen, wie ich beispielsweise in einem Buch mit dem Titel ‚Frauen werden zuerst erschossen‘ gelesen habe. Frauen waren oft so mutig und unerschrocken, dass sie als besonders gefährlich galten und als erste ‚zur Seite geräumt‘ wurden. Ich glaube nicht, dass nur Männer Gewaltpotenzial in sich tragen. Ich glaube aber, dass Frauen mehr Angst vor Gewalt haben, weil sie schneller unterliegen können und weniger kräftig sind. Sie sind oft empathischer und sie können auch weniger Freude und Adrenalin aus Gewalt ziehen, eine Erfahrung, die ich auch persönlich gemacht habe.

"Und morgen die ganze Welt" (c) Alamode

Inwieweit spielt der sexuelle Übergriff, der als Flashback hervorgehoben ist, beim Sinneswandel der Protagonistin eine Rolle?

Er spielt natürlich eine Rolle, weil der Mann ihr so nahe kam und der sexuelle Übergriff sich in ihren Körper eingeschrieben hat. Sehr viele Frauen haben solche sexuellen Übergriffe schon einmal erlebt. Er war vielleicht nicht die Ursache für ihr Engagement, aber er hat in ihr eine Wut aufgebaut und die Bereitschaft, dem mehr entgegenzusetzen.

Die rechte Szene ist im Film leicht zu erkennen, allein schon durch ihr Outfit. Figuren wie einige aktive Poliitker aus dem rechten Spektrum kommen aber kaum vor. Warum nicht?

Ganz so ist es nicht. Am Anfang sehen wir den erzkonservativen Studenten, der rechtes Gedankengut äußert, aber sehr zivil aussieht. Und die Rednerin, die eine Sahnetorte ins Gesicht kriegt, sieht aus wie eine nette Nachbarin, taucht aber gleich mehrfach auf und sagt Sätze, die auch von rechtsextremen Politikern stammen könnten. In diesem Fall habe ich mich bewusst für eine Frau entschieden, damit nicht der Eindruck entsteht, allein Männer wären das Problem. Ich hoffe, dass ich die rechte Szene in ihrem ganzen Spektrum gezeigt habe. Die militante Szene selbst würde man genauso erleben wie ich sie im Film dargestellt habe, die Security etwa, die genauso aussieht wie im Film.

Der Film bringt zum Ausdruck, dass die rechte Szene von V-Leuten durchsetzt sein könnte. Warum haben Sie dieses Thema nur angerissen?

Zum Glück entstehen im Augenblick auch Spiel- und Dokumentarfilme über die rechte Szene, die diese genauer ausleuchten. Ich habe mich für eine filmische Ich-Perspektive auf Seite der Antifa entschieden. Da bekommt man nur vage Einblicke in die rechte Szene, die Nazis bleiben immer auf Entfernung. Ich habe sehr präzise darauf geachtet, was eine Luisa von diesen überhaupt mitbekommen würde. Daher konnten wir nicht stärker in diese Szene eintauchen. Ich hoffe aber sehr, das auch solche Filme weiter entstehen werden.

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