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Interviews | | von Holger Twele

„Eine Mischung aus Tragik und verspielter Leichtigkeit“

Interview mit Erik Schmitt über seinen Film „Cleo“

Erik Schmitt war bereits mit seinen Kurzfilmen „Nashorn im Galopp“ (2013) und „Berlin Metanoia“ (2016) im Generation-Programm der Berlinale vertreten. In diesem Jahr eröffnet sein Langfilmdebüt „Cleo“, in dem es um die Suche nach einem sagenumwobenen Schatz, eine Reise durch die Berliner Geschichte und die Auseinandersetzung mit Schicksalsschlägen aus der Vergangenheit geht, die Reihe Generation/Kplus. Das Interview führte Holger Twele noch vor der Berlinale 2019.

Welche Idee stand am Anfang: einen guten Kinderfilm zu drehen, eine Hommage an Berlin oder wurden Sie etwa gar von „Indiana Jones“ inspiriert?

Am Anfang stand tatsächlich die Idee, einen wundersamen Film über Berlin zu drehen, der versucht, sich der ganz eigenen Geschichte dieser Stadt anzunehmen.

Die Protagonistin Cleo ist im Film nur kurze Zeit Kind und dann bereits eine Erwachsene. Handelt es sich in Ihren Augen dennoch um einen Kinderfilm?

Es ist nicht nur ein Kinderfilm, sondern eher ein Familienfilm, also ein Film, den sich Kinder zusammen mit den Erwachsenen und den Großeltern ansehen können. Genau in diesem Bereich arbeitet auch die Sektion Generation der Berlinale. Am besten lässt sich der Film als Arthouse Family Entertainment bezeichnen.

In ihrer Kindheit traumatisiert, leidet Cleo unter Panikattacken und ist ihrem Job daher nur bedingt gewachsen. Warum sollten junge Menschen gerade auch solche Figuren im Film sehen?

Jede Geschichte, die sich mit solchen Traumatisierungen auseinandersetzt, erzählt letzten Endes immer eine Geschichte vom Erwachsenwerden. Es geht nicht explizit um den Verlust der Eltern, sondern um den Verlust der Kindheit. Bei Cleo sieht man das an der fantasievollen Welt, die sie sich aufbaut, die sie dann schlagartig verliert und am Ende wiedererlangt. Junge Menschen können sich auf diese Weise damit auseinandersetzen, dass das Kind in ihnen immer Kind bleiben muss, selbst wenn sie erwachsen werden. Das ist nichts, was man abschneiden oder zerdrücken sollte. Die Naivität und den frischen Blick auf unsere Umwelt müssen wir uns bewahren. Und wenn wir ihn verlieren, müssen wir versuchen, diesen Blick wiederzubekommen.

Der Film besticht durch eine Fülle von optischen und dramaturgischen Einfällen. Wie gehen Sie bei Ihrer Arbeit vor? Waren diese Bilder schon beim Schreiben im Kopf oder überlegen Sie sich bei jeder Szene, wie sie sich aus einer ungewöhnlichen Perspektive drehen und gestalten lässt?

Ich habe versucht, bei jedem Schritt der Produktion diese Offenheit zuzulassen. Das war nicht immer einfach, denn ein Film wird von vielen Leuten gemacht, die koordiniert werden müssen, und dadurch verliert man an Spontaneität. Viele Bilder hatte ich tatsächlich schon von Anfang an im Kopf. Bereits während des Drehbuchschreibens habe ich aber auch einen praktischen Ansatz gewählt, bei dem ich Sachen gefilmt oder getestet und ausprobiert habe. Auf diese Weise sind verschiedene Kurzfilme entstanden, so auch die Berliner Kurzfilmtrilogie. Mein Gefühl ist, um auf neue Sachen zu kommen, muss man eine gewisse „Spielzeit“ haben, so wie Kinder ohne viel Druck einfach herumspielen können. Auch beim Drehen selbst gab es dafür Gelegenheit, um etwa mit den Schauspieler*innen zu improvisieren oder an drehfreien Tagen im Mini-Team ein paar Dinge mit der Kamera auszuprobieren. Dabei ist sehr viel Material entstanden. Der erste Schnitt war dreieinhalb Stunden lang, es war ein langer und interessanter Weg, auf 99 Minuten herunterzukommen.

Cleo (c) Johannes Louis

Jeder Drehtag kostet auch Geld. Wie ist es Ihnen gelungen, dennoch diesen spielerischen Freiraum zu ermöglichen?

Wir haben von Anfang an versucht, die Drehtage auf ein Maximum zu strecken, indem wir stets mit einem möglichst kleinen Team gearbeitet haben und versuchten, immer sparsam zu sein. Inklusive der Stop-Motion-Arbeiten hatten wir 50 Drehtage, das liegt weit über dem Durchschnitt. Daher gab es hin und wieder auch Platz für Experimente.

Die Begegnung mit den Geistern historischer Persönlichkeiten ist ein besonders schöner Einfall. Warum sind es gerade diese Figuren?

Bei den Recherchen über berühmte Berliner Persönlichkeiten entstand eine ganze Liste mit Figuren, die vielleicht sogar noch berlinerischer gewesen wären. Aber sie sind oft zu unbekannt und es gab keine Möglichkeit, sie im Film einzuführen oder gar zu erklären. Deshalb habe ich mich auf diejenigen konzentriert, die wirklich ikonisch und allgemein bekannt sind wie Albert Einstein und Marlene Dietrich. Nebenbei taucht auch der Archäologe Heinrich Schliemann auf, aber der gehört wohl leider schon nicht mehr zum Allgemeinwissen und wird nicht automatisch mit Berlin assoziiert. Noch kürzer sind Rosa Luxemburg und Friedrich der Große bei einem Begräbnis zu sehen. Gerade Rosa Luxemburg hatte in einer frühen Drehbuchversion eine viel größere Rolle, aber das musste am Ende stark gekürzt werden.

Cleo (c) Janine Marold

Ihr Film ist zugleich eine Liebeserklärung an die Stadt Berlin. Können Sie kurz zusammenfassen, was Ihnen an Berlin so sehr am Herzen liegt?

Keine Stadt hat so eine Geschichte erlebt wie Berlin. Es ging mir darum, einen Film zu machen, den nur diese Stadt erzählen kann, von den Bomben über Berlin, die traumatisiert haben, bis zur Teilung der Stadt mit der Mauer, die unzählige Familien getrennt hat, und Tunneln, die gebaut wurden. Wenn ich das woanders inszeniert hätte, würde jeder sagen, so etwas gibt’s doch nicht, das klingt wie ein Märchen. Gleichzeitig hat es Berlin in den letzten 20 Jahren geschafft, zum Symbol von Freiheit und Leichtigkeit zu werden. Genau das fasziniert mich so daran: eine weltoffene Stadt mit teilweise tragischen Geschichten. Im Film kommt das durch eine Mischung von Tragik und verspielter Leichtigkeit zum Ausdruck. Diese Erzählform wird der Stadt am ehesten gerecht.

In jedem Fall ist „Cleo“ ein besonderer Film und meines Wissens nach ein originärer Filmstoff. Wurde das Projekt daher für die Förderung „Der besondere Kinderfilm“ eingereicht oder war von Anfang an geplant, ihn unabhängig zu realisieren?

Es stand gar nicht im Fokus, einen Kinderfilm zu machen. Es sollte ein Familienfilm werden. Selbst wenn der Film jetzt bei Generation Kplus läuft, ist er nicht nur Kindern vorbehalten. Darum haben wir gar nicht darauf geachtet, ihn als Kinderfilm fördern zu lassen.

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