Interviews | | von Barbara Felsmann
„Die Unmöglichkeit dieser Liebe ist etwas sehr Universelles.‟
Interview mit Norbert Lechner und Lea Freund über „Zwischen uns die Mauer‟
In der bereits traditionellen Veranstaltung „Blick in die Werkstatt“ beim Deutschen Kinder-Medien-Festival Goldener Spatz hat Regisseur Norbert Lechner zusammen mit seiner Hauptdarstellerin Lea Freund sein neues Filmprojekt „Zwischen uns die Mauer“ vorgestellt. Das war im Juni und Norbert Lechner steckte mitten in der Postproduktion. Barbara Felsmann hat sich mit ihm und Lea Freund unterhalten.
Wie kommt ein bayerischer Filmemacher auf ein Thema, das sich zuvorderst mit ostdeutscher Geschichte beschäftigt?
Norbert Lechner: Ich selbst hatte in den 1980er-Jahren mehrere Begegnungen mit der DDR. Ich war 1983 fünf Tage in Thüringen und Sachsen und mal einen Tag lang in Ostberlin und des Öfteren in Westberlin. Dorthin kam man nur über die Transitstrecke durch die DDR. Außerdem hatte ich einen Freund in Hof. Mit ihm bin ich zur Grenze gestiefelt und wir haben die Soldaten und die Wachtürme angesehen. Mir ist es richtig kalt geworden, die Begegnung mit so einem absoluten Apparat, mit dieser Diktatur hat mich richtig geschockt. Die Wende war dann für uns alle ein wahnsinnig emotionaler Moment, den ich nicht vergessen kann. 2006 bin ich auf den autobiografischen Roman „Zwischen uns die Mauer“ von Katja Hildebrand gestoßen und habe gedacht, das ist doch die Geschichte schlechthin, warum hat sie Hollywood noch nicht entdeckt? Zwei Menschen, die sich lieben und dies nicht dürfen.
Das ist mehr als zehn Jahre her...
Norbert Lechner: Ja. Ich habe mit Susanne Fülscher zusammen ein Treatment entwickelt, wir haben dann eine Drehbuchförderung von der FFA bekommen und eine erste Drehbuchfassung geschrieben. Die war Ende 2007 fertig und dann bin ich bei den Fernsehsendern hausieren gegangen. Mit wenig Erfolg. Und so habe ich das Projekt erst einmal in die Schublade geschoben. Nachdem mein letzter Kinderfilm „Ente gut! Mädchen allein zu Haus“ fertig war, habe ich mal wieder meine Schublade geöffnet und genau dieses Drehbuch von Neuem gelesen. Ich war richtig angerührt und dachte mir, okay, dieses Projekt musst du nochmal angehen. Autorin Antonia Rothe-Liermann, mit der ich bei „Ente gut“ bereits zusammengearbeitet hatte, konnte ich dann für das Projekt als Co-Autorin gewinnen. Der Roman ist ja aus der Sicht des Mädchens aus dem Westen geschrieben und die meisten Ereignisse, die ihrem Freund in Ostberlin passieren, sind über Briefe erzählt. Das hatte ich auch in meinem ersten Drehbuch so übernommen. Nun aber wollte ich für Philipp in Ostberlin einen eigenen Erzählstrang. Antonia Rothe-Liermann stammt aus Dresden, ist sehr gerne in das Projekt mit eingestiegen und hat den Erzählstrang von Philipp in Ostberlin auserzählt. Es war ein Experiment, dass sie als neu dazu gekommene Autorin dem bestehenden Drehbuch einen Erzählstrang hinzufügte. Antonia war zur Wendezeit erst zehn Jahre alt, aber sie hat sehr intensive Erinnerungen an ihre Kindheit und außerdem mit vielen Menschen gesprochen und Erlebnisse gesammelt. Und ich finde, das Experiment hat sehr gut funktioniert, es hat das Drehbuch viel intensiver und dichter gemacht.
„Zwischen uns die Mauer“ ist eine historische Geschichte. Was ist der Dreh- und Angelpunkt dabei, dass sich Jugendliche von heute für den Film interessieren?
Norbert Lechner: Das eine ist der politische Hintergrund und das andere ist die unmögliche Liebesgeschichte. Ich hoffe, dass darüber der Film bei Jugendlichen funktioniert. Weil die Unmöglichkeit dieser Liebe ja etwas sehr Universelles ist, wie bei „Romeo und Julia“. Allerdings ist „Zwischen uns die Mauer“ kein klassischer Jugendfilm, sondern er wendet sich auch an die Generation, die diese Zeit miterlebt hat.
Lea, Du spielst Anna, die in einer mittelgroßen Stadt in der BRD lebt. Du selbst bist nach der Wende geboren, deine Familie stammt auch aus dem Westen. Wie war es für dich, sich an diese Geschichte heranzutasten?
Lea Freund: Superspannend. Ich mag es sehr, mich mit historischen Stoffen zu beschäftigen, mich mit einer mir unbekannten Welt auf eine intensive Art zu befassen. Für diesen Film kannte ich ein paar Geschichten von meiner Mutter früher. Sie hat auch so einen Jugendaustausch nach Ostberlin mitgemacht. Außerdem haben wir im Vorfeld das Gefängnis in Hohenschönhausen besucht und uns lange mit der Journalistin Edda Schönherz unterhalten, die erst in Hohenschönhausen und dann im Frauengefängnis Hoheneck eingesperrt war. Bei der Führung durch die Gedenkstätte musste ich ständig weinen. Ich finde es wahnsinnig wichtig, dass man gerade jetzt in einer Zeit, wo wieder so viele Mauern wie zum Beispiel in Amerika errichtet werden, auch einen Blick auf diesen Teil der deutschen Geschichte wirft. Und mit dieser emotionsgeladenen Liebesgeschichte, glaube ich, kann jede Generation etwas anfangen.
Der geschichtliche Hintergrund ist die eine Seite, aber wie habt Ihr euch auf den Alltag, auf das Lebensgefühl der 1980er-Jahre vorbereitet? Was für Klamotten Jugendliche damals getragen haben, was für Frisuren, wie sie sich bewegt, wie getanzt haben?
Norbert Lechner: Es ist viel schwerer, eine Zeit darzustellen, die man selbst als junger Erwachsener miterlebt hat, als beispielsweise die Nachkriegszeit, die ja schon so weit weg ist. Ich habe mich oft gefragt, wie sahen die Telefone aus, wie die Möbel? Wie war das mit den Punks? Weil einfach die eigenen Erinnerungen zeitlich so zerfließen.
Lea Freund: Als ich wusste, dass ich die Rolle habe, habe ich erst einmal im Internet recherchiert. Aber dort findet man nur die Klischees aus den 1980ern wie Neon und Seitenzöpfe, dieses Partybunt. Da konnte ich mir überhaupt keine Vorstellungen darüber machen, wie es wirklich war. Für mich war es dann spannend, mit Leuten aus der Zeit zu reden. Wenn ich vom Drehbuch erzählt habe, haben sie oft gesagt: Oh ja, bei uns war es genauso.
Bücher und Fotobände, gehörten die weniger zu deiner Recherche?
Lea Freund: Als ich im Internet nichts Brauchbares gefunden hatte, haben wir das Museum im Tränenpalast an der Berliner Friedrichstraße besucht. Dort werden wahnsinnig gute Fotos, Originalbriefe und interessante Texte gezeigt. Ich habe mir private Fotos von der Familie und von Freunden angeschaut, zum Beispiel das Führerscheinfoto von meiner Mama. Unter den Sachen von meinem Opa, der vorletztes Jahr gestorben ist, habe ich ein dickes Buch über die komplette Mauerzeit entdeckt. Das habe ich mir sehr oft angesehen und gelesen.
Um authentisch zu sein, braucht man auch entsprechende Drehorte aus der Vergangenheit. Wie habt ihr sie gefunden?
Norbert Lechner: Für einen historischen Film hatten wir ein relativ geringes Budget und wir hatten wahnsinnig viele Drehorte. Zum Beginn der Vorbereitung bin ich kreuz und quer durch Ostberlin gefahren, in der Hoffnung, ein paar Ecken zum Drehen zu finden. Es war sehr ernüchternd. Irgendwann bin ich in einer Straße gelandet, die noch so ein bisschen Flair von Ostberlin hatte. Und dann merkte ich, dass ich in Moabit, im Westen gelandet war. Dann hat mir jemand den Tipp gegeben, nach Breslau (Wroclaw) in Polen zu fahren. Die Innenstadt dort ist komplett superrenoviert, aber in den Randbezirken findet man noch einzelne Straßenzüge, die dieses Authentische von damals haben. Auch in Liegnitz, heute Legnica, haben wir ein paar Straßenzüge zum Drehen gefunden. Außerdem haben wir in Berlin gedreht, am Tränenpalast, in der Untersuchungshaftanstalt in Hohenschönhausen und in einem Eisenbahndepot. Weiterhin in Niedersachsen und in Nordrhein-Westfalen, in Detmold. In dieser verschlafenen Kleinstadt haben wir Orte gefunden, die seit 30 Jahren komplett unverändert sind. Als wäre die Zeit eingefroren. Im Film spielt eine Szene in einer Westberliner Disko und da gibt es in Detmold einen Jugendclub, da ist seit 30 Jahren nichts verändert worden. Für Philipps Ostberliner Wohnung haben wir in Niedersachsen eine leerstehende ehemalige Kaufmannsvilla aus der Gründungszeit entdeckt. Die Wohnung darin war vom Schnitt her genau wie die Altberliner Wohnungen, mit weitläufigem Flur und diesen hohen Räumen.
„Zwischen uns die Mauer“ startet am 3. Oktober 2019 im Kino.