Interviews | | von Kirsten Taylor
Überleben, ohne mit dem Träumen aufzuhören
Interview mit Sebastian Schipper über seinen Film „Roads“.
Seine Regie-Karriere beginnt mit einem Film, der heute ein Klassiker ist: Mit „Absolute Giganten“ (1999) hat der damals 31-jährige Sebastian Schipper einen ikonischen Jugendfilm über Freundschaften, Abschiede, Aufbrüche und Ausbrüche gedreht. Und auch wenn er sich danach Filmen mit erwachsenen Protagonist*innen gewidmet hat, so sind die Figuren in diesen doch nie so richtig „vernünftig“ oder „reif“ gewesen, wie man es vielleicht erwartet hätte. Schippers Filme tragen vieles in sich, was typisch für Jugendfilme ist. Das spiegelt sich nun auch wider in seinem neuen Film „Roads“, einem Roadmovie, das zwei 18-Jährige mit ganz unterschiedlichen Lebenserfahrungen von Afrika nach Europa führt. Neu dabei ist die politische Komponente. Geblieben ist Schippers Gespür für die Sehnsüchte und das Lebensgefühl junger Menschen. Anlässlich des Kinostarts von „Roads“ hat Kirsten Taylor in Berlin mit Sebastian Schipper gesprochen.
Freundschaft und Jungsein spielen in ihren Filmen seit 20 Jahren, seit ihrem Regiedebüt „Absolute Giganten“, immer wieder eine große Rolle. Auch in Ihrem aktuellen Film „Roads“ geht es um zwei junge Männer, die sich anfreunden. Was fasziniert Sie daran, besonders am Thema Jungsein?
Mich interessiert die Perspektive, die junge Leute haben. Diese Perspektive haben wir eigentlich alle, nur glaube ich, dass wir die uns irgendwann abtrainieren, weil wir Realisten werden und plötzlich meinen, dass das, was man mit Solidarität, Freundschaft und Füreinander-da-sein verbindet, Träumereien sind. Wenn man jung ist und reist – und sei es durch die Nacht wie in „Victoria“ – dann ist man offen für das, was einem begegnet. Das kann einen auch in Gefahren bringen, aber für mich ist dieser Willen zur Offenheit, zur Neugier, zur Solidarität etwas ganz Menschliches. Ich habe oft den Eindruck, dass bei jungen Menschen die „Werkseinstellung“ zu diesen Werten noch intakt ist. Deswegen schaue ich gerne mit den Augen, den Köpfen und den Herzen dieser jungen Leute auf die Welt. Es macht mir Spaß, schwierige Themen damit anzugucken und ehrlich gesagt gibt es in allen Geschichten, die ich im Kino erzählt habe, immer eine sehr ernste Dimension. In dieser Beziehung war „Roads“ das Ernsteste und Komplexeste, dem ich mich je gewidmet habe. Selbst der One-Take von „Victoria“, von dem ich in gewisser Weise immer noch kreativ traumatisiert bin, steht als Herausforderung nicht auf Augenhöhe mit der von „Roads“.
Woran liegt das?
Weil das Thema so überwältigend ist. Die Geschichte von „Roads“ spielt in unserer heutigen Welt und spielt vor dem Hintergrund der Migration. Ich glaube, dass dieses Thema, das mit so viel Leid und mit so unglaublich viel Tragödie aufgeladen ist, uns alle überfordert, so dass wir gerne weggucken – ich auch. Ich habe die Möglichkeit, Filme zu machen und mit der Hilfe des Films gucke ich mir das an.
Wie kam es denn zur Idee von „Roads“, dieser Reisegeschichte von zwei jungen Männern?
Es gab viele Impulse: „The Shadow Line“ von Joseph Conrad, „Wo die wilden Kerle wohnen“ oder „Apocalypse Now“. Das sind alles Roadmovies, das heißt, eigentlich spielen alle drei auf einem Schiff. Bleiben wir mal bei „Wo die wilden Kerle wohnen“. Da ist dieser kleine bockige Max und der benimmt sich irgendwie schlecht, ist verzogen und dann fährt er in irgendein Land, wo alles drunter und drüber geht und wo er irgendwie erst Angst hat, und dann doch keine Angst hat und am Ende ist er zu Hause. Was ich daran mag, ist das Träumen, das Jungsein, das Angst-Haben und der Angst begegnen. Und dann fängt man an: ein Auto klauen finde ich erst mal eine sehr gute Idee (lacht) für einen Film, und dann wird es ein Wohnmobil, und dann ist man in Marokko. Roadmovies sind für mich ein Genre, das ich erst mal langweilig finde, weil sich dafür immer so Ziele ausgedacht werden. Ich habe mich gefragt, wie kann man durch die Welt fahren? Mit welchen Zielen? Irgendwann war dann William aus dem Kongo da, der eben ein ganz eindeutiges Ziel hat. Aber ihm geht es eben nicht darum, in Europa Asyl zu beantragen, sondern er will seinen Bruder suchen und finden. Das war für mich interessanter.
William nimmt sich auch nicht als Flüchtling wahr.
Genau. Er ist William, der seinen Bruder sucht.
Was verbindet in Ihren Augen William und Gyllen? Sie sind auf den ersten Blick sehr verschieden. Gyllen ist das Wohlstandskind aus London…
Genau. Gyllen steht für mich auch für uns alle. Er führt ein ganz privilegiertes Leben. Der kann ein Auto klauen und sonst was für Sachen anstellen und muss eigentlich relativ wenig Angst haben – außer vielleicht vor Terz mit seinen Eltern. Und dann begegnet er jemandem, bei dem es um Leben und Tod geht. Aber William aus dem Kongo hat eine Familie und die Familie zeichnet sich dadurch aus, dass man zusammengehört. Und das ist sehr, sehr berührend. Die Familie von Gyllen ist dagegen zerbrochen. Das trennt die beiden. Was die beiden verbindet, ist, dass sie 18 sind, dass sie einen Draht zueinander haben und sich gegenseitig interessant finden. Das ist das Geheimnis der Freundschaft.
Sind Gyllen und William wirklich Freunde oder ist das nur eine Begegnung?
Das sind schon wirklich Freunde. Der ganze Film zielt eigentlich nur auf diese letzte Umarmung und mir war wichtig, dass man das vom Gefühl her nachvollziehen kann.
Die Jungen und Männer trauen sich in Ihren Filmen, Gefühle zu zeigen. Das finde ich eher ungewöhnlich, ist aber ein schöner Gegenentwurf zu vielen Bildern, die aktuell jungen Männern präsentiert werden: hart sein, cool sein, ein Gangster sein...
Ja, das stimmt, aber für mich ist das überhaupt nicht ungewöhnlich. Für mich ist das eine Markierung von Freundschaft, dass man wirklich etwas miteinander zu tun hat. Unter Männern gibt es eben mitnichten nur so ein toxisches, besoffenes „Gegenseitig-auf-den-Rücken-Rumgehaue“. Natürlich habe auch ich das schon mal erlebt, aber das ist völlig uninteressant.
War es für Sie und ihren Co-Autoren Oliver Ziegenbalg schwierig, sich in diese Welt der 18-Jährigen hineinzudenken?
Ich habe da natürlich viel mit den Jungs drüber geredet. Ich habe Fionn zum Beispiel oft gefragt, wie er etwas sagen oder ausdrücken würde. Und Stèphane ist Franzose aus Paris. Seine Eltern sind Kongolesen. Daraus haben wir viel geschöpft und haben uns mit vielen Migranten in Tanger unterhalten und so ein Gefühl für deren Situation entwickelt. Aber eigentlich konnten Olli und ich uns da voll hineinbegeben, auch aufgrund unserer eigenen Emotionalität. Aber natürlich sind Gyllen und William Kunstfiguren. „Victoria“ war in dieser Hinsicht ja quasi schon dokumentarisch. Aber so wollten wir „Roads“ nicht erzählen. Wir wollten den Film in so einer Poesie erzählen, die einen inneren, ganz wichtigen Kern hat.
In Ihren Filmen, etwa in „Absolute Giganten“, aber besonders auch in „Roads“ ist eine große Melancholie zu spüren. Woher kommt die?
Die kommt durch meine Liebe zur Musik und dass Musik für mich immer melancholisch ist. Fröhliche Musik, also fröhliche Schlager, die kann man meines Erachtens nur hören, wenn man eigentlich alles schon aufgegeben hat. Melancholie gehört zu jedem guten Song dazu.
Hat diese Melancholie auch etwas mit dem Erwachsenwerden zu tun hat? Und vielleicht auch mit dem Blick zurück auf die eigene Jugend?
Na klar. Aber es hat mehr damit zu tun, dass ich davon überzeugt bin, dass man ohne einen gewissen Anteil von Melancholie gar nicht etwas über das Leben sagen kann. Wir haben mit „Roads“ keinen Problemfilm gemacht, aber wir wissen, dass in dem Film die Figuren viele Probleme haben.
Was macht für Sie das Erwachsenwerden aus?
Ich glaube, mit dem Erwachsenwerden geht einher, dass man die allergrößten Träume hat und auf das Leben trifft und dass man das überlebt, ohne dass man aufhört zu träumen.
Erfahren Gyllen und William dann auf ihrer Reise so etwas wie Desillusionierung?
Ja, aber die ist natürlich total notwendig, denn eine Desillusionierung befreit dich ja von einer Illusion und auf einer Illusion zu beharren tut meist nicht so richtig gut.
Haben Sie eine Vorstellung davon, wie es mit Gyllen und William weiter geht? Wo sie in zehn Jahren stehen könnten?
Ja, aber das ist nicht meine Aufgabe, das auszuformulieren. Da gibt es viele Möglichkeiten, was aus beiden wird, was aus beiden zusammen wird, was aus ihrer Freundschaft wird und was aus Ihnen einzeln wird. Einige sind gewiss tragisch, andere voller Hoffnung. Keine Ahnung, müssen wir mal gucken… (lacht).
Vielen Dank für das Gespräch.