Ich sehe was 2025-9: Filme gegen Rechts!
Extreme Körper
Körperlichkeit und Rechtsextremismus im Jugendfilm
von Rochus Wolff
Die Darstellung von Körperlichkeit ist politisch, erst recht in Jugendfilmen zum Thema Rechtsextremismus. Mal folgen die Bilder der Riefenstahl-Tradition und verzichten zugunsten klarer Zuordnungen auf Mehrdeutigkeiten, mal brechen sie Stereotype auf – auch wenn die Versuchung bleibt, dem schönen Körper eine Bühne zu bereiten.

Wir wissen alle, wie Neonazis aussehen. Bestimmte Bilder sind ins kulturelle Gedächtnis, nicht einmal das unbewusste, eingegangen, und werden sofort aufgerufen: Stereotype der politischen Körperlichkeit. Die Konturen und Details dieser Körper sind freilich keineswegs ganz und gar eindeutig.
Am einen Ende der Spannbreite steht ein idealisiert athletischer Körper. Leni Riefenstahl setzt gleich zu Beginn von „Olympia – Fest der Völker“ (1938) eine Überblendung, bei der die antike Statue eines Diskuswerfers langsam in die Gestalt eines lebenden Sportlers übergeht. Indem sie das klassische Schönheitsideal in die Sportler*innen der Gegenwart überträgt, schlägt Riefenstahl einen Bogen von der Antike hin zum Ideal „arischer“ Schönheit. (Nicht ganz so weiß wie der Marmor, von dem man erst später mit Gewissheit erfahren durfte, dass er ursprünglich meist bunt bemalt war.) Als Neonazi-Körper kennt das kollektive Bildgedächtnis diese Figur dann vor allem als Skinhead; in seiner stereotypen Form jung, männlich, gerne mit freiem Oberkörper und einschlägigen Tätowierungen.
Am anderen Ende des Bilderspektrums dann jene Fotografie von den menschenfeindlichen Pogromen in Rostock-Lichtenhagen, das einen etwas grobschlächtig und untersetzt wirkenden Mann im Trikot der Fußball-Nationalmannschaft zeigt, die Haare etwas unfrisiert, Bartschatten und unfokussierter Blick, ein großer Urinfleck vorne an der Hose, die rechte Hand (ganz unzweifelhaft) zum Hitlergruß erhoben. „Der hässliche Deutsche“ in so reiner Form, dass dagegen selbst die Karikaturen von Manfred Deix in ihrer Zuspitzung harmlos wirken.
Der Skinhead als kinematografische Kurzschrift
Es verwundert kaum, dass Jugendfilme, die sich mit Rechtsextremismus beschäftigen, eher den jugendlicheren Typus dieser zwei Modelle in den Mittelpunkt rücken – die muskulösen Körper der Skinheads haben dazu – eine der vielen Ambivalenzen, denen sich die Filme stellen müssten – auch noch den Vorteil, dass sie sich den vorherrschenden Schönheitsvorstellungen in vielerlei Hinsicht eng anschmiegen. Zugleich ist der Skinhead aber auch ein riskantes Mittel, kinematografische Kurzschrift gewissermaßen: Er signalisiert sofort mögliche Themen des Films, positioniert die Hauptfigur – und lässt dabei Mehrdeutigkeiten verschwinden. Das kollektive Bildgedächtnis ist womöglich etwas einseitig.
„Oi! Warning“ (Dominik und Ben Reding, 1999) ist dafür ein bemerkenswertes Beispiel. Der Film beginnt mit zwei Nahaufnahmen von Haut (einmal Tätowierungen, die von einer Zunge abgeleckt werden, dann werden drei Narben in einem Dreiecksmuster gezielt mit dem Skalpell gesetzt), und zeigt dann eine Szenerie, die mehr als nur ein wenig an Riefenstahl erinnert. Dass der Film ganz in Schwarzweiß gedreht ist, verstärkt diesen Eindruck noch. Ein nackter Skinhead steht im Wald und bewegt sich langsam auf der Stelle, offenbar seine eigenen Körper und seine Muskulatur spürend und präsentierend. Die Kamera macht eine langsame Kreisbewegung um ihn und seine Freundin, die in etwa zwei Meter Entfernung vor ihm steht und von dem Anblick offenbar begeistert ist. In weiß gekleidet, steht sie wie in einer Säule von Licht, während er näher kommt, sie umarmt und dann anscheinend eine Handgranate in seiner linken Hand entsichert.
Die kurze Szene, die möglicherweise Teil eines besoffenen Traums der Hauptfigur Janosch ist, etabliert eine ganze Reihe von Themen und Dynamiken, die in Filmen immer wieder mit Skinheads und Neonazis verknüpft werden: Die Feier und Präsentation des jungen, muskulösen Männerkörpers, das jederzeit mögliche Abkippen in Bedrohung oder Gewalt. Zugleich auf den Körper gerichtetes Begehren und eine auch physisch in Erscheinung tretende Geschlechterhierarchie.
Ein Neonazi ist dieser Skinhead namens Koma allerdings nicht. „Oi! Warning“ beschäftigt sich mit der Oi-Skinhead-Szene und mit Punks als Teil der Jugendkultur der 1990er-Jahre, als Aufbegehren gegen eine hier wirklich als erdrückend fade dargestellte Bürgerlichkeit. Die Uneindeutigkeit des Signifikants „Skinhead“ buchstabiert mit historischem Rückgriff auf die frühen 1980er – Großbritannien unter Margaret Thatcher steht gerade im Falklandkrieg – etwas später „This Is England“ (Shane Meadows, 2006) aus. Allerdings statt durch assoziative Bilderwelten durch ein klar narrativ orientiertes Konstrukt.
Erzählt wird davon, wie der zwölfjährige Shaun in einer Gruppe von Skinheads Sicherheit und Schutz vor den Hänseleien anderer Mitschüler*innen findet. Die vollständige Aufnahme in die Gruppe wird über die Zurichtung von Körper und Kleidern hergestellt: Die Haare werden abgeschnitten (dafür ist eine der jungen Frauen in der Gruppe zuständig), Doc Martens müssen her, ein Hemd und Hosenträger. Aber Neonazis sind auch diese Skins nicht – und der Film markiert das nach außen durch die Anwesenheit von „Milky“, einem Schwarzen Skinhead. Was so lange gut geht, bis ein älterer, politisch radikalisierter Skin aus dem Gefängnis entlassen wird.

Selbstmarkierungen
Die Rites de Passage, die Übernahme eines Kleidungskodex, vor allem aber das Rasieren des Kopfhaars spielt in vielen der Filme zum Rechtsextremismus eine prominente Rolle, von „American History X“ (Tony Kaye, 1998) bis „Kombat Sechzehn“ (Mirko Borscht, 2005). Wie in „This Is England“ geht es dabei um die Zugehörigkeit beziehungsweise Zusammengehörigkeit. Der Körper wird zum Signifikant sowohl für die In-Group als auch für die Außenwelt. Denn natürlich sind und sollen die so markierten Körper auch ohne jeden Zweifel als Abgrenzung und Drohung wirken. Die Erscheinung der Protagonistin Marisa in „Kriegerin“ (David Wnendt, 2011) ist in dieser Hinsicht schon überdeterminiert: In einer der ersten Szenen des Films belästigt sie mit ihrem Freund und Kumpeln Passagier*innen in einem Regionalzug. Kurze Haare, an den Rändern langgelassen – für weibliche Neonazis keine ungewöhnliche Frisur –, auf dem T-Shirt steht in Fraktur „Nazibraut“, Tattoos an vielen Stellen, ein Hakenkreuz über dem Brustbein, „14 words“ auf dem rechten Unterarm, den sie zum Hitlergruß hebt.
Am Beispiel der unbedarften Svenja, die sich, so scheint es, aus purer Langeweile und Ablehnung gegen ihre Eltern den Neonazis anschließt, zeigt sich aber auch, wie die Selbstmarkierung als Abgrenzung ins Leere laufen kann, wenn das Gegenüber nicht weiß, wovon die Rede ist, oder sich schlichtweg nicht dafür interessiert. Svenja hat sich von Marisa ein „88“-Tattoo stechen lassen (ein Verweis auf das „H“, den achten Buchstaben des Alphabets, als Chiffre für „Heil Hitler“). Als ihre Mutter es zufällig entdeckt, präsentiert sie ihr die Tätowierung als „politische Aussage“. „Politische Aussage? Das ist ’ne 88“, erwidert diese, „’Ne 89 versteh ich ja noch, ’ne 88 versteh ich nicht.“ Auch die schwarzen Zeichen auf weißer Haut sind letztlich immer noch arbiträre Zeichen, die das Risiko des Scheiterns der visuellen Kommunikation nicht ausschließen können.

Körperkontakte
Die Szene, in der Marisa Svenja das Tattoo sticht, ist ein Moment von ruhiger Intimität, wie sie sich auch in anderen Filmen finden lässt. Konzentrierter Fokus auf den Körper der anderen, ohne Gewalt, Begehren oder weitergehende Interessen.
Es wird sich überhaupt viel umarmt, allerdings wenig gestreichelt bei den Rechtsextremen im Film. Und die Kamera rückt dann gerne nahe heran. Sei es beim Kampftraining wie in „Kombat Sechzehn“, beim Tanzen in eigentlich allen Filmen von „American History X“ über „Wir sind jung. Wir sind stark.“ (Burhan Qurbani, 2014) bis „Je suis Karl“ (Christian Schwochow, 2021) oder schließlich in physischen Auseinandersetzungen. Der Übergang von Tanz zu Kampf kann dabei fließend sein. Die Tanzszenen zeigen oft zu lauter Musik springende Körper, stark auf sich bezogen in kraftvollen, aber nicht aufeinander bezogenen Bewegungen. Seltsame Momente von Vereinzelung für eine Gruppe, die sich in ihrer Gemeinschaft und in Abgrenzung zu anderen definiert; zugleich sind sie Individuen, die in der Masse der Tanzenden wieder verschwinden, ein Gemeinschaftsmoment, der über die Totale sichtbar wird.
Zum Ende von „Je suis Karl“ ziehen sich die Verschwörer*innen von einer solchen Tanzfläche zurück, um ihren konkreten Plan, ihr False-Flag-Attentat, noch einmal zu besprechen: Hier ist eine Gruppe von jungen Neonazis, die nicht dem visuellen Klischee „Skinhead“ entsprechen und entsprechen wollen. Sie pflegen die Masse, die „Gemeinschaft“, nehmen sich selbst aber heraus. Der Narzissmus Karls, der sich als echtes Opfer eines fingierten Attentats inszenieren lassen wird, wird dann noch wörtlich inszeniert: Er knutscht im rötlichen Zwielicht des Waschraums mit seinem eigenen Spiegelbild. Das dabei ausgedrückte Begehren wirkt wesentlich animalischer, drängender als vorher beim Sex mit Maxi, die er für seine „Bewegung“ rekrutiert hat, näher an der „Identitären Aktion“ als an der NPD. Das soll wohl größere Authentizität, echte Lust markieren und wirkt, so allein am Spiegel, natürlich ein wenig lächerlich.
Als grundsätzliche Inszenierungsstrategie kann das allerdings auch schiefgehen. Etwa am Anfang von „Kriegerin“, nachdem Marisa wie beschrieben in einem Zug andere Mitfahrende beschimpft und schließlich auch angreift. Die Gewalt wird rauschhaft sich steigernd gezeigt, wechselnd zwischen Film und Handyvideo, dann knutscht Marisa noch im Zug mit ihrem Freund Sandro und – Schnitt – ist dann mit ihm beim Sex zu sehen. Sie obenauf, eine Hand an seinem Hals. Die Dynamik und auch Aufregung der Gewaltszene überträgt sich auf diese Weise direkt in den Moment des sexuellen Begehrens, aber auch dieser Akt wird nicht als liebevoll, sondern mit Zeichen von Gewalt als rau markiert. Dass Sandro später, als sie seine körperliche Annäherung einmal nicht sofort erwidert, mit Schlägen reagiert, ist nur der erste Schritt zur endgültigen Durchsetzung der patriarchalen Ordnung.
Zwischen Ästhetik, Reproduktion und Kritik
Der Jugendfilm interessiert sich sehr für den Neonazi als Jugendphänomen, als Geste des Widerstands gegen die Mehrheit und vor allem die Eltern. Indem sie aber die Verlockung dieser „Gemeinschaft“ zu zeigen versuchen, kommen sie aus der Falle nur noch mühsam heraus. Indem sie Gewalt, Körperlichkeit, kraftvolles Begehren als Elemente des Widerstands gegen die verschlafene Realität, Hoffnungslosigkeit und vor allem Eltern thematisieren und ästhetisieren, reproduzieren sie die Bilderwelten, die sie kritisieren möchten.
Das Kino hat keine direkt greifbaren Bilderwelten für systematische Gewalt und Unterdrückung, die mit der Dynamik von Gewalt konkurrieren könnten. Konkreter noch: Die Ideologie, die Gedankenwelten im Kopf der Neonazis spielen im Film in der Regel keine Rolle. Die Bekehrung der Hauptfigur Derek in „American History X“ während seines Gefängnisaufenthalts wird nicht durch eine ideologische Krise herbeigeführt, sondern einerseits durch den Kontakt mit einem Schwarzen Mithäftling, vor allem aber katalytisch beschleunigt durch ein Gefühl des Gruppenverrats (Skins kaufen Drogen von einer mexikanischen Gang) und dann die als Rache markierte anale Vergewaltigung durch einen anderen Neonazi. Der soldatisch harte, abgeschlossene Körper (man könnte auf Klaus Theweleit einerseits und Ernst Jünger andererseits verweisen) wird verletzt und ermöglicht so die Öffnung für Neues: Das mag visuell und filmisch stark sein, inhaltlich-ideologisch bietet es keinerlei Ansatzpunkte.
Heike Radvan und Julia Stegmann haben das in Bezug auf diesen Film schon sehr klar in ihren pädagogischen Überlegungen zu Dokumentar- und Spielfilmen zum Thema Rechtsextremismus formuliert: „Wenn Körperlichkeit und Gewalthandeln in Anlehnung an Leni Riefenstahl ästhetisiert werden, wie in der Darstellung eines Nazi-Skinheads in ‚American History X’, dann sind Anschlussmöglichkeiten für rechte Vorstellungen vom ‚richtigen Kerl’ gegeben. Auf diesem Wege wird es schwierig, über Nazi-Ideologie und stereotype Geschlechterbilder kritisch in die Diskussion zu kommen. Die potentiell faszinierende Wirkung solcher Bilder kann deren Infragestellung und Reflektion erschweren.“ Der kritische Blick auf die Inszenierung von Körpern, Schönheit und Gewalt in diesen Filmen muss also unbedingt Bestandteil der kritischen Auseinandersetzung sein. So wie die Politik sich womöglich von der Idee verabschieden muss, man könne Rechtsextreme in Diskussionen entlarven, ist womöglich auch die Vorstellung eine Sackgasse, das Medium Film könne Neonazis visuell entzaubern und bedürfe keiner weiteren Reflexion.
Dazu trägt auch bei, dass die normschönen Körper der Neonazis zur Identifikation einladen, während über die Tattoos und Frisuren Authentizität suggeriert wird, wie Ulrich Kriest in seiner Kritik zu „Kriegerin“ in der Filmgazette festgestellt hat: „Wir werden Zeugen von extremer Gewaltbereitschaft, sehen toll gestylte rechte Körper in Bewegung und erfreuen uns allerlei sprechender Tattoos.“ Dass in vielen Filmen auch Skinheads mit Übergewicht auftauchen, diese aber oft intellektuell den Protagonist*innen nicht gewachsen sind, fügt dann auch noch eine Ebene des Fat-Shamings ein, mit der die Filme versehentlich, aber wohl nicht zufällig, die viel zu enge Verwandtschaft der Mainstream-Filmästhetik mit Riefenstahl’schen Körperidealen offenbaren.

Die Versuchung der schönen Körper
„Je suis Karl“ versucht immerhin zu thematisieren, wie gezielt der moderne Rechtsextremismus seine Bilderwelten einsetzt: Im Internetvideo der „re/generation europe“ sprechen schöne junge Männer und Frauen in die Kamera, artikuliert, vielsprachig und sehr, sehr weiß. Die paneuropäische Fremdenfeindlichkeit arbeitet mit künstlichen Emotionen und großem Medieneinsatz. Hitlergruß und „Sieg Heil!“ sind hier ausdrücklich nicht erwünscht. „Je suis Karl“ verharrt aber in der Uneindeutigkeit: Einerseits problematisiert er die Künstlichkeit der von „re/generation europe“ erstellten Bilder, andererseits sind das ebenmäßige Gesicht, der schöne Körper von Jannis Niewöhners Karl dann doch ein gefundenes Fressen für die Kamera. Das Kino lebt nun einmal (auch) von der Versuchung der schönen Körper.