Ich sehe was 2024-8: In der Schule
Meine zauberhafte Schule
Magische Schulen und Internate im Kinder- und Jugendfilm
von Rochus Wolff
Auch Magier*innen und Superheld*innen müssen die Schulbank drücken. Der Ritt auf dem Besen oder der Umgang mit magischen Fähigkeiten will schließlich gelernt sein. Neben allen Größenwahn- und Ermächtigungsfantasien geht es aber auch für die Zauberlehrlinge primär um das soziale Mit- und Gegeneinander, um Selbstfindung und um Wege, mit widerspenstigen Gefühlen und Energien klarzukommen. Wobei es für die Zöglinge von Vorteil ist, wenn sie nicht immer gleich die Welt retten müssen.
Wann hat Harry Potter eigentlich Mathe-Unterricht? Weder in den Büchern noch in den Filmen spielen in Hogwarts profane Muggel-Fächer eine Rolle. Dennoch kann man sich kaum vorzustellen, dass die wissbegierige Hermine Granger Prozent- und Bruchrechnung als unwichtig empfindet. Zumal so grundlegende Fertigkeiten wie der Dreisatz bei der Zubereitung von Zaubertränken sicher nützlich sind.
In der britischen Fernsehverfilmung „Eine lausige Hexe“ (Robert Young, 1986) nach den gleichnamigen Kinderbüchern von Jill Murphy sieht das Klassenzimmer noch sehr nach Chemie-Unterricht aus, auch wenn die Ingredienzien womöglich andere sind. Der Film ist eine deutliche Erinnerung daran, dass die Harry-Potter-Autorin J.K. Rowling das Konzept des „magischen Internats“ keineswegs erfunden hat, auch wenn ihre Bücher und deren Verfilmungen zahlreiche Nachahmungen angeregt haben.
Wenn Magie ins Spiel kommt
In der Adaption von Jill Murphys Hexengeschichten, die später auch als Serie (2017) umgesetzt wurden, spielt die sehr junge Fairuza Balk die „lausige“ Titelfigur Mildred Hubble. Die wird zwar von ihrer strengen Lehrerin Constance Hardbroom permanent zurechtgewiesen, beeindruckt mit ihrem Mut aber sogar die Schulleiterin Miss Cackle und den „Grand Wizard“. Den gibt Tim Curry in einem grandiosen Auftritt, bei dem er zu wilden Spezialeffekten einen „Halloween“-Song schmettert und mehr als nur vage Frank-n-Furter-Vibes ausstrahlt.
Auch in „Die lausige Hexe“ gibt es Unterweisungen im Besenflug und eine intrigante junge Hexe, die Mildreds Reit- und Putzgerät verzaubert. Und natürlich ist die Schule in einem alten Schlossgemäuer untergebracht, auch wenn das bei weitem nicht so prächtig wie Hogwarts ist mit seinen zahlreichen Türmen und Treppenhäusern.
Denn eine Burg muss das Schulgebäude schon sein. Das trifft auf Film-Internate sogar auch dann zu, wenn keine Magie im Spiel ist. Bei „Burg Schreckenstein“ (Ralf Huettner, 2016) klingt das schon im Namen an, und auch in der jüngsten Verfilmung von „Das fliegende Klassenzimmer“ (Carolina Hellsgård, 2023) wohnen die Schüler*innen in einem ritterlichen Gemäuer oben über Kirchberg.
Doch nicht in jeden Film wird gleichviel Aufwand gesteckt, um die Magie besonders funkeln und glitzern zu lassen. Bei den „Harry Potter“-Filmen (Chris Columbus, Mike Newell, Alfonso Cuarón, David Yates, 2001-2010) sorgten allein schon die schwebenden Kerzen im Speisesaal dafür, dass unzählige Menschen das Christ Church College in Oxford von innen sehen wollen, auch wenn sich dort keineswegs der Sternenhimmel an der Decke abzeichnet. Beim tschechoslowakischen Klassiker „Saxana – Das Mädchen auf dem Besenstiel“ (1972) kommt die Zauberschule hingegen nur in wenigen Szenen vor, auch wenn der Film sich große Mühe gibt, die milde satanisch wirkende unterirdische Welt interessant wirken zu lassen. Der Film von Václav Vorlíček zieht seinen Humor eher aus der Konfrontation der Hexe mit der „normalen“ Welt; für genauere Blicke in Saxanas Reich brauchte es 2011 schon die Fortsetzung „Saxana und die Reise ins Märchenland“ (Václav Vorlíček), deren CGI-Unterwelt allerdings aus anderen Gründen gruselig geriet.
Ein Labor fürs Miteinander
Internate, ob magisch oder nicht, bieten einen hübschen Dampfkochtopf des sozialen Mit- und Gegeneinanders, in dem die Protagonist*innen vom Zugriff der Erwachsenen weitgehend befreit sind. Die Eltern sind fern, die Lehrkräfte nur Schatten aus dem Unterricht. In der deutlichsten Zuspitzung wäre das eine Schulgemeinschaft als ein Herr-der-Fliegen-Szenario, pädagogisch wünschenswerter wäre es wohl als Labor für Beziehungen unter Gleichen, von weisen Schulleiter*innen (in der filmischen Praxis meist einem Mann) wohlwollend beobachtet.
Wobei die „Gleichheit“ zuweilen erst hergestellt werden muss. Denn die Hierarchien nach innen müssen auch an magischen Schulen beständig ausgehandelt werden. Schulische oder magische Leistungen sind dabei nur ein, meist kleinerer Faktor, der für die Sympathien des Publikums nicht unbedingt relevant ist – Mildred Hubble und Harry Potter sind ja beide keine Streber*innen mit Bestnoten.
Wenig überraschend geht es in der Schule also um Selbstfindung durch Gemeinschaft und Abgrenzung. Es ist nicht schwer zu verstehen, was daran so anziehend ist. Denn im Gegensatz etwa zum klassischen High-School-Szenario ergibt sich die Zugehörigkeit zu einer Gruppe am magischen Internat nicht primär durch Sportlichkeit oder Aussehen; große Magie steckt gerne auch im kleinsten Körper.
Der Traum von der Zauberei ist immer auch eine Ermächtigungsfantasie – irgendwo tief in mir drin besitze ich ungeahnte Kräfte oder bin etwas ganz Besonderes. Egal, ob es dabei um einen der seltenen Puma-Gestaltwandler in „Woodwalkers“ (Damian John Harper, 2024) oder „The Chosen One“ bei Harry Potter geht: An Pathos und Weltbedeutung mangelt es diesen Geschichten nie.
Damit einher geht meist auch eine klare Trennung von Gut und Böse, eine absolute Dichotomie, die schließlich in einer finalen Konfrontation kulminiert. Die Mächte des Lichts kämpfen gegen die der Dunkelheit, unabhängig davon, wie die konkrete Mythologie das Thema entfaltet. Mit der Magie ist dabei nicht nur die Fähigkeit verbunden, das Gegenüber in eine Kröte oder Katze zu verwandeln; die Auseinandersetzungen zwischen Gut und Böse werden vielmehr absoluter und dramatischer.
Die Nähe zum Superheld*innen-Film ist dabei offensichtlich. Mike Mitchell ließ 2005 an der titelgebenden „Sky High“ den Super-Nachwuchs (und ihre Sidekicks) lernen, was es bedeutet, die Aufgaben ihrer Eltern zu übernehmen. Spider-Man bekommt von seinem sterbenden Onkel mitgegeben: „Mit großer Macht geht große Verantwortung einher.“ Je vermögender die Kraft, desto bedeutender die Aufgabe. Auf Burg Schreckenstein wird nicht gegen den Untergang der Welt gekämpft, auf Hogwarts hingegen ist das in jedem Schuljahr fester Bestandteil der Geschichten.
Je größer das Budget für einen Film ist, desto dramatischer fällt der Konflikt aus und desto wirkmächtiger wird die Magie in Szene gesetzt. Schließlich sollen die Spezialeffekte das Publikum ja in die Kinos locken. Es kann deshalb nicht nur um ein Stück Wald oder den Bestand der Schule gehen, sondern es muss schon das große Ganze sein: die Herrschaft des Bösen über die Welt.
Wo die Grenzen fließend werden
Glücklicherweise findet man wenigstens ein paar Filme, die die klare Abgrenzung zwischen Gut und Böse aufweichen. Vermeintlich freundliche Charaktere entpuppen sich als Bösewichte (und manchmal auch umgekehrt). Oder es wird in der „Descendants“-Reihe (seit 2015) danach gefragt, ob in den Nachkommen klassischer Disney-Märchen-Bösewichte nicht doch etwas Gutes steckt. (Was allerdings ein selbstreferentielles Konzept ist, das gewissermaßen ein „Disney Cinematic Universe“ voraussetzt und nur deshalb Sinn ergibt, weil der Disney-Konzern existiert, unter dessen Dach diese Bösewichte in den Verfilmungen zu sehen waren.) Der von Paul Feig als großes Spektakel inszenierte Teenie-Film „The School for Good and Evil“ (2022) stellt immerhin in Frage, ob es wirklich nur böse Hexen und gute Prinzessinnen geben kann und ob sich das tatsächlich am Äußeren erkennen lässt.
Nach ausführlichen Kämpfen quer durch die Schule bleibt dann als kleinster gemeinsamer Nenner die Erkenntnis zurück, dass wir alle komplexe Menschen sind – und dass das auch für das „Märchenland“ mit seinen Geschichten gelten müsste, in denen sich die Schule befindet. Mit der Einsicht, dass Geschichten besser werden, wenn die Figuren nicht nur einseitig als gut oder böse erscheinen, sind die Filmemacher*innen gewiss einer großen Sache auf der Spur!
In der Schule sind die magisch begabten Kinder meistens unter sich. Oft genug fungieren die Internate deshalb auch als Schutzräume für die „Außenseiter“ oder schlichtweg „Anderen“. So werden in „Die Insel der besonderen Kinder“ (Tim Burton, 2016) oder „Die Wolf-Gäng“ (Tim Trageser, 2020) junge Monster vor der skeptischen Außenwelt bewahrt.
Während alle diese Kinderfilme sehr damit beschäftigt sind, pädagogisch höchst wünschenswert eherne Hierarchien abzubauen und idealerweise auch an der scharfen Grenze von Gut und Böse zu nagen, schärfen sie aber zugleich andere Abgrenzungen. Vor allem geht es brav heteronormativ zu. Während in klugen High-School-Komödien queere Figuren und Themen längst fester Bestandteil sind, drehen sich von „The School for Good and Evil“ bis zu „Die Schule der magischen Tiere“ (Gregor Schnitzler, Sven Unterwaldt, seit 2015) viele Filme immer nur um Mädchen hier und Jungs dort. Während die einen sich eher für Kleidung, Haar und Naturschutz interessieren, geht es bei den anderen meist um Schwertkampf oder Kraftsport, ohne jede Brechung, auch wenn „love’s true kiss“ dank „Die Eiskönigin – Völlig unverfroren“ (Chris Buck, Jennifer Lee, 2013) nicht mehr unbedingt ein romantischer Hetenkuss sein muss. Schwestern und BFFs tun’s auch.
Fast wie ein normaler Schulfilm
Die Feststellung, dass zu viele Spezialeffekte und das ganze CGI einem Film das Leben aussaugen, ist ein kulturkritischer Topos, der es sich zu einfach macht. Denn wenn Magie und Zauberei ein zentrales Thema dieser Filme sind, dann beglücken und verzaubern sie immer dann, wenn sie den Hintergrund charmant illuminieren und die Welt vergrößern. Etwa wenn im Elternhaus von Harry Potters Freund Ron das Geschirr sich gewissermaßen von selbst spült. Oder wenn eine Hexe ihren Besen den Boden fegen lässt, während sie ein Buch liest, und ihr magisches Tier sich über das Essen beschwert.
Dort, wo es nicht um magische Gefechte und bedrohliche Zaubersprüche geht, können sich die Filme Zeit nehmen, um auf ihre Hauptfiguren zu schauen und aus gewöhnlichen Interaktionen etwas magisch leicht Überhöhtes zu machen. Deshalb haben es Filme leichter, in denen die Magie nur ein untergeordnetes Phänomen darstellt. Weil beispielsweise ein Geist im Schulgemäuer dafür sorgt, dass eine Lehrerin schrumpft oder eine Klasse mit magischen Tieren versorgt wird, die das Leben der Schüler*innen durcheinanderbringt. Solche Konstellationen bergen die Möglichkeit, dass es mehr um die Kinder geht – fast wie in einem normalen Schulfilm, aber eben ein wenig zauberhafter.
Nur eines darf dabei nicht passieren: Dass die Magie zum reinen Gimmick wird, zum Vorwand, um vom Gewöhnlichen zu erzählen. Etwas Mut zum Außergewöhnlichen braucht es schon, sonst verpufft all der Aufwand im Banalen. Die Kino-Magie bliebe dann reines Oberflächenspektakel und kein Blick hinter die Leinwand des Fantastisch-Möglichen.