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Ich sehe was 2024-8: In der Schule

Innenperspektiven

Die Schule in selbst gedrehten Filmen von Kindern und Jugendlichen

von Stefan Stiletto

Es ist immer wieder beeindruckend, welche Einblicke in kindliche und jugendliche Lebenswelten und Wahrnehmungen die filmischen Eigenproduktionen von Kindern und Jugendlichen geben. Zu sehen ist das etwa jedes Jahr bei den Einreichungen zum Deutschen Jugendfilmpreis. Weil die jungen Filmemacher*innen oft von Orten erzählen, die ihnen vertraut sind, verwundert es nicht, dass dabei ein Schauplatz immer wieder auftaucht: die Schule.

Filmstill aus Treffpunkt Internet
"Treffpunkt Internet" (c) Goetheschule Templin, Berlin

Es wird gelacht, es wird geweint, es wird gestritten und geliebt, manchmal getötet und manchmal spukt es auch: Wenn Kinder und Jugendliche Filme drehen, dann ist die Schule ein Ort, mit und an dem man alles machen kann. Er ist omnipräsent und eine der Konstanten beim Deutscher Jugendfilmpreis, dem bundesweiten Filmwettbewerb für Kinder und Jugendliche bis zum Alter von 25 Jahren, den das Deutsche Kinder- und Jugendfilmzentrum seit 1988 ausrichtet.

Vor allem in jüngeren Altersgruppen spielt die Schule als Schauplatz eine große Rolle. Zum einen lässt sich das auf die Rahmenbedingungen zurückführen. An Schulen angesiedelte medienpädagogische Projekte beginnen nun einmal gleich da, wo gelehrt wird, und entwickeln ihre Geschichten rund um die Orte, die ihnen offen stehen. Zum anderen aber wird dadurch die Bedeutung zum Ausdruck gebracht, die die Schule im Leben von Kindern und Jugendlichen hat. Neben dem Elternhaus ist sie ein ungemein wichtiger Dreh- und Angelpunkt im Prozess des Erwachsenwerdens.

Was wäre, wenn…?

Die Schule hat immer etwas mit Pflichten und Regeln zu tun. Und wo es Regeln gibt, da gibt es auch Regelverstöße. Davon erzählen etwa in heiterem Tonfall die jungen Macher*innen von „Treffpunkt Internet“ (Wettbewerbsjahr 2023). Smartphones haben im Unterricht nichts verloren, das wissen alle Schüler*innen. Benutzt werden sie trotzdem. Und manchmal führen sie auch ein Eigenleben. Während die Schüler*innen sich während einer Schulstunde langweilen, wirft der Film einen humorvollen Blick darauf, was die Smartphones in dieser Zeit so tun und personifiziert sie. Mit Rückgriff auf fantastische Elemente wird die reale Wahrnehmung des drögen Schulalltags überhöht. Der Film setzt an bekannten Situationen an und übersteigert sie humorvoll. Dass es den wirklich interessanten und spannenden Unterricht in Filmen fast nicht gibt, verwundert kaum – schließlich ist dieser kaum filmtauglich und für die Leinwand meist zu langweilig.

Überhaupt wird gerne mit Sichtweisen und Genres gespielt. Da geschehen Diebstähle wie in das „Das Verbrechen auf dem Schulhof“ (Wettbewerbsjahr 2022), die dann aufgeklärt werden müssen. Oder ein Animations-Realfilm-Mix wie „Alarm in der Schule“ (Wettbewerbsjahr 2020) erzählt darüber, wer wirklich dafür verantwortlich ist, dass an der Schule alles reibungslos funktioniert. Spoiler: Hausmeister*innen sind es nicht, wohl aber Zauberwürmer. Und manchmal spuken sogar Geister durch die Schule und es obliegt einer Geisterjäger*innen-AG, sich um sie zu kümmern, wie in „Die fast ganz normale Schul-Doku“ (Vorauswahl 2024).

Der vertraute Ort wird augenzwinkernd verfremdet, ganz neue Seiten zeigen sich. Mit etwas mehr Ernst entsteht dann im besten Falle sogar ein Film, der mehr als nur Unterhaltung im Sinn hat und ein brisantes Thema aufgreift. Tajo Hurrle beispielsweise verarbeitet mit „Wer hat Angst vorm Abitur?“ (Wettbewerbsjahr 2017) den Leistungsdruck, der auf den Schüler*innen lastet. Auch Tajo übertreibt. Der Film wird zum Horrortrip und die Vision des Unterrichts wird alles andere als schmeichelhaft. Ohnehin sind die Schüler*innen in diesem Albtraum austauschbar. Sie tragen Augenmasken mit Nummern – wer ist da schon ein Individuum? Und eine Kette fesselt die Protagonistin an den Stuhl. Mit allerlei filmischen Tricks macht Tajo Hurrle Angst und Unbehagen spürbar, auf fantasievolle Art, aber gerade dadurch auch sehr anschlussfähig. Da tröstet es geradezu, dass Tajo im Interview beim Bundesfestival Film erzählt hat, wie der Film Tajo selbst die Angst vor den Abiturprüfungen genommen hat.

Filmstill aus Wer hat Angst vorm Abitur?
"Wer hat Angst vorm Abitur?" (c) Tajo Hurrle

Lehrer*innen gegen Schüler*innen

In „Klüger“ (Wettbewerbsjahr 2024) wird die Schule unterdessen zum Schauplatz der Auseinandersetzung zwischen den Generationen. Lehrer Klüger sind seine Schüler*innen sehr fern. Der alte Muffel mag nicht, wie sie tanzen, wie sie reden, wie sie sich verhalten. Umgekehrt sieht es kaum besser aus. Die Schüler*innen bezweifeln sogar, dass Herr Klüger selbst einmal jung war. Generation Z vs. Boomer also – viele Vorwürfe und keine gemeinsame Sprache. Bis Herr Klüger an seine Jugend erinnert wird und der Film mit viel Witz in diese Zeit eintaucht. Ein notwendiger Perspektivwechsel, nach dem das Schulleben auf Augenhöhe weitergeht und Neugier und Interesse aneinander die Skepsis ablösen. Doch nicht nur um die Klärung des Generationenkonflikts geht es in diesem Film. Auch der Wunsch nach einem harmonischen Verhältnis zwischen Lehrer*innen und Schüler*innen lässt sich aus „Klüger“ ablesen, die Schule als Ort, an dem jede*r so akzeptiert wird und sein darf, wie er ist.

Dass das nicht immer so ist, wird auch oft thematisiert in Eigenproduktionen. In dem Doku-Spielfilm-Mix „Unsere Realität“ (Wettbewerbsjahr 2021) werden Unterrichtsszenen nachinszeniert, die Alltagsrassismus anprangern und die auf tatsächlichen Erfahrungen der Beteiligten beruhen. Da macht sich ein Lehrer über die nicht-deutschen Namen seiner Schüler*innen lustig oder fragt eine schwarze Schülerin mal wieder, wo sie denn nun eigentlich herkomme. Mit einer gehörigen Portion Wut erzählen die Filmemacher*innen über diese Situationen und zeigen, dass es mit Demokratie, Gleichberechtigung und Augenhöhe manchmal nicht so weit her ist, wie man sich das wünschen würde. Die Schule ist hier zwar nur ein exemplarischer Ort, an dem Ausgrenzung stattfindet. Aber eben einer, dem man sich nicht entziehen kann, der auf die Welt und das Leben vorbereiten sollte und an dem gerade deshalb ein anderes Klima vorherrschen sollte.

Die dunklen Seiten

Noch düsterer wird es, wenn die Filme auf reale Ereignisse Bezug nehmen und versuchen, diese zu verarbeiten. So finden sich unter den Eigenproduktionen regelmäßig Filme, die von Amokläufen erzählen. Ein gewichtiges und komplexes Thema, das dann allerdings zumeist auch verkürzt oder reißerisch dargestellt wird. Auch mit guten Absichten verfällt die Inszenierung in die Glorifizierung des Amoklaufs oder aber hat über Schockmomente hinaus nichts über Motive und Folgen der Tat zu erzählen – ein Grund, weshalb diese Produktionen beim Bundesfestival Film, wo ausgewählte Wettbewerbsfilme öffentlich gezeigt werden, keinen Platz finden.

Leider ähnlich oberflächlich wird zudem oft das Thema Mobbing angegangen. Offensichtlich brennt dies vor allem den Lehrer*innen in Schulfilm-AGs auf den Nägeln. Der didaktische Ansatz wird deutlich, die filmische und dramaturgische Umsetzung allerdings bleibt oft mau – zumal meist kein Unterschied gemacht wird zwischen Hänseleien und strukturellem Mobbing. Entstehen die Filme ohne medienpädagogische Anleitung, wird zudem viel zu oft ein heftiges dramatisches Ende gewählt – konkret: der Suizid der Mobbing-Opfer –, um den Ernst der Lage zu verdeutlichen; Betroffenheit und Tragik ersetzt die konstruktive Auseinandersetzung. Nichtsdestotrotz macht die Vielzahl der Filme zu diesem Thema sichtbar, wie dringlich dieses ist. Aber nachdrücklich und überzeugend davon zu erzählen und dabei die Mittel des Films auch auszunutzen – das gelingt nur wenigen.

Filmstill aus Die Schule brennt und wir wissen warum
"Die Schule brennt und wir wissen warum" (c) Janina Lutter

„Die Schule brennt und wir wissen warum“ (Wettbewerbsjahrgang 2023) ist einer davon. Der Film von Janina Lutter spielt weitgehend in einer Nacht. Heimlich schleicht sich Rita in ihre Schule. Sie macht Fotos und stellt daraus Collagen zusammen, die Mobbingfälle sichtbar machen sollen. Während sie am Tag schweigt und stille Beobachterin bleibt, wenn sie das Unrecht in ihrem Umfeld beobachtet, fasst sie nachts Mut und nutzt ihr künstlerisches Talent, um eine öffentliche Diskussion anzustoßen. Genau in dieser Nacht begegnet ihr in der Schule die Aktivistin Raquel, die zu einer unerwarteten Verbündeten wird.

Janina Lutters Film ist so stark, weil es in ihm nicht die üblichen Unterrichts- oder Pausenszenen gibt, die Konflikte zwischen den Schüler*innen zeigen. Mobbingfälle finden hier nur indirekt statt. Sie finden ihren Widerhall in einer Abfolge aus statischen Fotos, während dazu aus dem Off erzählt wird. Die Verletzungen und Demütigungen finden so vor allem im Kopf der Zuschauer*innen statt; der Minimalismus und die kunstvolle Inszenierung entfalten gerade dadurch eine enorme Wirkung. „Die Schule brennt und wir wissen warum“ ist ein filmischer Aufschrei, ein Plädoyer, nicht zu schweigen und selbstbewusst seinen eigenen Weg zu gehen. Die ewigen Lästerbacken sind am Ende immer noch da. Stark allerdings wirken sie nicht mehr.

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