Ich sehe was 2023-6: Filme mit inklusiven Perspektiven
Filmkritiken zum Thema
Ausgewählte Filme dieses Dossiers:
Auf Augenhöhe
Ein selbstbewusster zehnjähriger Waisenjunge stößt zufällig auf seinen ihm unbekannten Vater, muss aber enttäuscht erkennen, dass dieser kleinwüchsig und sogar noch etwas kleiner als er selbst ist. Die Annäherung der beiden ist schmerzhaft und kompliziert, erweist sich aber als erkenntnisreich und gewinnbringend, weil Freundschaft und Respekt ein tragfähiges Fundament bilden. Vitaler Jugendfilm mit einem nuanciert aufspielenden jungen Hauptdarsteller, der die Entbehrungen und Enttäuschungen, vor allem auch die Hoffnungen und Sehnsüchte glaubwürdig vermittelt. Insgesamt lebt er von seiner impulsiven Direktheit, mit der er sein alles andere als leichtes Thema mal dramatisch, mal komisch angeht.
Ben X
Ein 17-jähriger autistischer Jugendlicher versucht, seinem Alltag durch Fluchten in ein Online-Rollenspiel zu entkommen, und bietet seinen realen Peinigern mit Hilfe einer virtuellen Freundin und dem Vater, der sich spät auf seine Pflichten besinnt, Paroli. Verfilmung eines belgischen Erfolgsromans und Bühnenstücks, die durch die Verknüpfung von Realszenen und Online-Elementen überzeugend Atmosphäre schafft. Zugleich macht er von Mobbing Betroffenen Mut, ihre jeweilige soziale Situation nicht mit Fatalismus hinzunehmen, sondern durch selbstbewusstes Handeln zu überwinden. - Sehenswert ab 14.
Die Blindgänger
Ein 13-jähriges Mädchen und seine Freundin leben in einem Internat für Blinde. Beide lieben die Musik. Ihre Versuche, in einer Band von "Guckis" mitzuwirken, scheitern. Die Mädchen lassen sich jedoch nicht entmutigen, sondern treten zusammen mit einem jungen Russlanddeutschen auf, um für diesen das Geld für die Heimreise nach Kasachstan zu verdienen. Herausragender Film über die Welt sehbehinderter Teenager, der nicht in Mitleid schwelgt, sondern eine frische, mit selbstironischem Humor erzählte Geschichte zweier Teenager bietet, die mit Leidenschaft und Mut ihren eigenen Weg gehen.
CODA
Eine 17-Jährige wächst als einziges hörendes Mitglied einer gehörlosen Familie in einer Hafenstadt in Massachusetts auf; für die Verständigung der Familie mit der Außenwelt ist sie unentbehrlich. Diese Konstellation gerät jedoch ins Wanken, als sie ihre Leidenschaft fürs Singen entdeckt und ermuntert wird, in Boston auf ein Musik-College zu gehen. Das Remake des französischen Films „Verstehen Sie die Béliers?“ verbindet klassische Coming-of-Age-Elemente mit dem klanglich und musikalisch eindrucksvoll umgesetzten Porträt einer Eltern-Kind-Beziehung am Schnittpunkt zwischen den Welten der Gehörlosen und der Hörenden. Überzeugend ist der emotionale Film auch dank eines Ensembles mit mehreren gehörlosen Darstellern.
Josie, der Tiger & die Fische
Ein Meeresbiologie-Student bewahrt eines Tages eine junge Frau im Rollstuhl vor einem Unfall und wird von deren übervorsichtiger Großmutter als Aufpasser engagiert. Das führt zunächst zu vielen Reibungen, da sich die Frau gegen die Überwachung wehrt, doch als der junge Mann beginnt, ihr entgegen seinen Anweisungen die Welt außerhalb ihres Hauses zu zeigen, erwärmen sie sich füreinander. Ein mit zärtlichem Blick und warmen Farben umgesetzter Anime, der in heftigen Gefühlswelten schwelgt und einen Hang zum Melodram zeigt, durch seine sensibel entworfenen Figuren aber für sich einnimmt.
Mein Bruder, der Superheld
Ein Junge glaubt erst, dass es sich beim Down-Syndrom seines kleinen Bruders um eine Superkraft handelt und ist nach der Entdeckung der Wahrheit bitter enttäuscht. Zwar hängt er bald wieder an seinem Bruder, doch als er sich als Jugendlicher auf einer neuen Schule erstmals verliebt, will er dessen Existenz unbedingt geheim halten. Humorvoller Familienfilm, der einfühlsam von einer liebevollen Geschwisterbeziehung und der Furcht vor Ausgrenzung erzählt. Ohne Illusionen über die Herausforderungen des innerfamiliären Zusammenlebens zu verbreiten, wirbt der Film mit viel Herzlichkeit für die Überwindung von Vorurteilen und Ängsten.
Das Pferd auf dem Balkon
Mika ist eine Mathe-As, kann nicht lügen, hasst Witze und will um exakt 14.17 Uhr sein Essen haben. Dann entdeckt er auf einem Nachbarbalkon ein Rennpferd. Diese tierische Überraschung ändert das Leben des autistischen Jungen und vieler seiner Nachbar*innen in einem Wiener Gemeindehaus.
Verstehen Sie die Béliers?
Die pflichtbewusste jugendliche Tochter von Bauern aus der französischen Provinz muss viele Vermittleraufgaben übernehmen, weil ihre Eltern und ihr Bruder gehörlos sind. Als ihre außergewöhnliche Gesangsstimme entdeckt wird und ihr ein Musikstudium in Paris winkt, gerät sie in einen Gewissenskonflikt. Eine gefühlsbetonte Komödie, die weniger durch inhaltliche Originalität als durch ihre warmherzig gezeichneten Figuren für sich einnimmt. Dabei überdecken die versierten Darsteller*innen, vor allem aber die fulminante Hauptdarstellerin kleinere Handlungsschwächen und einige weniger gelungene Einfälle.
Wann wird es endlich wieder so, wie es nie war
Verfilmung des gleichnamigen Buches aus dem fünfteiligen Romanzyklus „Alle Toten fliegen hoch“ von Joachim Meyerhoff. Der kleine Joachim wächst auf dem Gelände der Kinder- und Jugendpsychiatrie Hesterberg in Schleswig auf. Während seine Mutter von Italien träumt, geht der Vater seine eigenen Wege. Ebenso anrührende wie witzige, in den Hauptrollen herausragend gespielte Tragikomödie, die in subjektiven Anekdoten von einer Kindheit und Jugend an einem ungewöhnlichen Ort erzählt. Darüber hinaus geht es glaubwürdig und anspruchsvoll um Geschwisterkonflikte und den Tod, unvollkommene Väter und die Loslösung vom Elternhaus, um Freude und Trauer.
Warum ich euch nicht in die Augen schauen kann
Angestoßen von einem Buch des Japaners Naoki Higashida, der als 13-Jähriger beschrieb, wie er als Autist die Welt wahrnimmt, unternimmt der Film eine Reise in die Welt von Menschen mit Autismus. Higashidas Aufzeichnungen werden mit Alltagserfahrungen von fünf jungen Autist*innen und deren Angehörigen verbunden, wobei die detailbezogene und zerstückelte Wahrnehmungsweise der Protagonist*innen in kurzen Einschüben auf der Bild- und Tonebene nachempfunden wird. Der Film baut Brücken in eine schwer zugängliche Welt und lädt als sinnliches Erlebnis dazu ein, über die eigene Wahrnehmung der Welt nachzudenken.
Zugvögel
Durch einen Zufall prägt sich ein Entenküken nach dem Schlüpfen auf ein kleines Mädchen, das wegen einer Muskelerkrankung im Rollstuhl sitzt. Als die Eltern das Tier auf eine Geflügelfarm abschieben wollen, bricht die menschliche Entenmutter mit ihrer besten Freundin auf, um dem Küken ein würdiges Zuhause in einem Vogelparadies zu verschaffen. Eindrücklicher, emotional überschwänglicher Kinder-Abenteuerfilm, der vom Erwachsenwerden und der Relativität des Begriffs „Behinderung“ erzählt. Auf ergreifende Weise wirbt er dafür, Kindern mehr Verantwortungsbewusstsein zuzugestehen.