Ich sehe was 2023-5: Der besondere Kinderfilm

„Die Initiative ist zu einem Nadelöhr für die Finanzierung eines Kinderfilms geworden“

Interview von Thomas Hartmann mit Philipp Budweg

Die Initiative „Der besondere Kinderfilm“ ist durch die Zielvorgabe, Originalstoffen eine Plattform zu bieten und diese zu fördern, auch eine Impulsgeberin. Wie nehmen Kinderfilmproduzent*innen dies wahr? Thomas Hartmann hat sich mit Philipp Budweg, Produzent und Geschäftsführer von „Lieblingsfilm“, über seine Erfahrungen unterhalten.

Filmbild Amelie rennt
"Amelie rennt" (c) Farbfilm/Martin Rattini

Es gibt hierzulande nur wenige Menschen, die so viele Kinderfilme produziert haben wie du und die dabei so viel Verschiedenes ausprobiert haben. Ist der Kinderfilm, im Vergleich zu Filmen für ein erwachsenes Publikum, deiner Erfahrung nach noch mehr auf ein gut ausgestattetes Förderumfeld angewiesen?

Ich bin ja nicht der einzige, der Kinderfilme macht. Vor mir, in den 1990er-Jahren, gab es zum Beispiel Uschi Reich, die erfolgreich Kästner-Wiederverfilmungen realisiert hat. Auch Hermine Huntgeburths „Bibi Blocksberg“ und einige weitere Projekte hat sie mit angeschoben. Auch Samfilm ist in diesem Bereich sehr erfolgreich, vor allem was Markenverfilmungen betrifft. Meiner persönlichen Wahrnehmung nach ist es tatsächlich so, dass Family Entertainment, oder der große Kinder- und Jugendfilm, an der Kinokasse funktioniert. Deshalb würde ich auch nicht sagen, dass der Kinderfilm eine bedürftige Nische ist, die man besonders fördern müsste. Bei den Förderern ist der Kinderfilm schon seit langer Zeit ein wohlgelittenes Genre – sicherlich mit dem Fokus auf bereits bekannte Marken oder Buchvorlagen. Berechtigt ist aber, und aus diesem Gedanken heraus ist die Initiative „Der besondere Kinderfilm“ ja auch entstanden, dass man sich verstärkt Originalstoffen zuwendet und eben nicht mehr nur den ausgetretenen Pfaden folgt. Wir sollten mehr versuchen, die Lebenssituation der heutigen Jugendlichen und Kinder einzufangen und Geschichten aus Deutschland für sie erzählen. Mit diesem Anspruch hat die Initiative „Der besonderen Kinderfilm“ eine Nische besetzt und ein gutes Konzept vorgelegt. Oft ist es dann blöderweise ein Feigenblatt geworden und eben nicht das gewünschte „Add-on“. Nach inzwischen zehn Jahren ist die Initiative zu einem Nadelöhr für die Finanzierung eines Kinderfilms geworden. Wenn du da nicht durchkommst, dann ist dein Stoff einfach verbrannt, weil er dort bereits auf dem Tisch von allen öffentlich-rechtlichen Sendern beziehungsweise Förderern lag.

Hat dir die Gründung der Initiative damals einen besonderen Impuls gegeben oder dich dazu motiviert, nochmal Neuland zu betreten?

Auf jeden Fall! Da lag schon was in der Luft und ich fand es auch toll, dass das so klar benannt wurde: Originalstoffe! Autorinnen und Autoren sollten sich hinsetzen und aus der Lebenswelt heutiger Kinder für die Leinwand schreiben. Natürlich war das auch bei mir eine Initialzündung. Jeder hat seine Schubladen aufgemacht und die manchmal vielleicht auch schon ein bisschen angestaubten Treatments nochmal herausgeholt. Für mich ergab sich daraus eine wunderbare Begegnung mit Natja Brunckhorst, auf die ich damals gezielt zugegangen bin. Aus dieser Begegnung entstand das Treatment zu „Amelie rennt“: Ein Mädchen mit Asthma will unbedingt auf einen Berg klettern. Mir hat damals besonders gut gefallen, dass dieser Stoff mit den knappen Budgets der Initiative tatsächlich auch realisierbar war. Zwei Kinder in der Natur – das kann nicht so teuer werden. Trotzdem sind wir damit aber nicht ausgewählt worden. Das war aber okay, weil es zum damaligen Zeitpunkt noch andere Möglichkeiten zur Förderung gab. Letztlich ist dieser Stoff aber durch die Initiative entstanden, auch wenn er dann jenseits der Initiative umgesetzt wurde.

Trotz aller konzeptionellen Anpassungen ist die Idee, dass nur originäre Filmstoffe gefördert werden, als Fixpunkt der Initiative „Der besondere Kinderfilm“ erhalten geblieben. Sind Adaptionen von Kinderbüchern in der filmischen Umsetzung damit automatisch weniger „besonders“?

Nein, das glaube ich nicht. Und ich glaube, dass auch die Initiatoren wissen, dass dieses Label ein bisschen unglücklich gewählt ist und missverstanden werden kann. Als Branchenmitglied war ich inzwischen schon zweimal in der Drehbuchjury der Initiative vertreten. Aus dieser Erfahrung weiß ich, dass die Bezeichnung des „besonderen“ Kinderfilms manchmal dazu führt, dass das „Besondere“ überinterpretiert wird. Im Sinne von: Das Schicksal muss besonders hart zuschlagen. Das ist aber eigentlich gar nicht die Absicht, das passiert einfach so. Um das auszuhebeln, organisiert die Initiative die Kick Off-Veranstaltungen. Dort kann man den interessierten Drehbuchautorinnen und -autoren oder auch den Produzentinnen und Produzenten sagen: „Wählt jetzt nicht das völlig Abstruse und vermeintlich Besondere.“ Denn es geht vielmehr um Originalität. Darüber hinaus glaube ich, dass es auch bei originären Geschichten Sinn ergibt, an irgendetwas Vertrautes anzuknüpfen und damit auch das Versprechen eines Unterhaltungsfilm einzulösen. Du kannst ja an der Kinokasse keinen Beipackzettel aushändigen und sagen: „Bei uns müsst ihr ein bisschen Nachsicht haben, weil wir haben ja nicht so viel Geld, und deshalb können wir das nicht so erzählen, wie ihr das vielleicht aus dem Nebensaal gewohnt seid.“ Das funktioniert nicht.

Mit „Into the Beat“ hast auch du schließlich einen Film realisiert, der von der Initiative „Der besondere Kinderfilm“ gefördert wurde. Wie genau ist dir das gelungen?

Vor allem durch das Privileg, selbst zweimal in der Auswahlkommission sitzen zu dürfen. Denn das gab mir die Möglichkeit, die Einreichungen eines ganzen Jahrgangs lesen zu dürfen. Und das hat auch bei mir zu einem Lerneffekt geführt. Ich habe dann nämlich verstärkt nach Konstellationen gesucht, die schon für sich genommen funktionieren. So wie Jungs und Fußball. Oder Mädchen und Pferde. Genau das gab es aber natürlich schon ausreichend. So kam ich schließlich auf das Tanzgenre und die Konstellation: Ballett-Mädchen trifft auf Streetdance. Wenig später gab es dann eine Begegnung auf der Berlinale, wo eine Autorin eine ganz ähnliche Idee gepitcht hat. Eine Geschichte, in der ein Mädchen in der Mühle des professionellen Balletts feststeckt, das dann aber auf einen Jungen trifft, der eher zeitgenössischen Tanz und Breakdance mag. In dem Moment dachte ich mir: „Wir müssen ja das Rad nicht neu erfinden. Lasst uns doch einfach mal wieder einen deutschen Tanzfilm machen.“ Das war als Grundidee für mich völlig ausreichend. Und so haben wir das dann auch weiterverfolgt, das Treatment für die Einreichung geschärft und es tatsächlich auch durch die einzelnen Förderstufen der Initiative geschafft.

Wenn du nun, nach zehn Jahren, eine vorläufige Bilanz ziehen müsstest: Was hat die Initiative „Der besondere Kinderfilm“ bisher erreicht und welche Wirkung sagst du ihr für die Zukunft voraus?

Erreicht hat sie auf jeden Fall, dass sie hoffentlich nicht mehr wegzudenken ist. Und dass die beteiligten Förderer und Sender das auch weiterhin machen wollen. Die Initiative hat sich ja auch in Richtung Dokumentarfilm und Animationsfilm erweitert – da bin ich sehr gespannt. Natürlich gibt es darüber hinaus auch die Hoffnung der Initiatoren und aller Beteiligten, dass der besondere Kinderfilm auch die üblichen Zuschauerzahlen durchbricht. Es scheint noch eine niedrige Obergrenze zu geben. Mit „Into the Beat“ sind wir kurz nach dem ersten Corona-Lockdown im Sommer 2020 ins Kino gekommen. Da waren 60.000 Besucherinnen und Besucher durchaus respektabel – auch im Vergleich zu anderen Filmen aus der Initiative.

Filmbild Into the Beat
"Into the Beat" (c) Wild Bunch

Gemessen an den Publikumsquoten könnten die Filme aus der Initiative in der Tat noch etwas erfolgreicher sein. Ist der besondere Kinderfilm ein Luxus, den man sich auch leisten können muss?

Unbedingt! Den sollte man sich auf jeden Fall leisten. Und selbst wenn die Erstauswertung im Kino nicht so rund läuft, sind die Fernsehausstrahlungen, zum Beispiel auf dem „Lollywood“-Sendeplatz am Freitagabend im KiKA, richtig gut. Darüber hinaus gibt es noch Festivalteilnahmen, manchmal sogar Preise und damit verbunden auch die stärkere Wahrnehmung bei der Zielgruppe – sei es beim Goldenen Spatz, beim Schlingel oder auf den internationalen Festivals. Auch dort sind diese Filme ja unterwegs und ein Aushängeschild für den deutschen Kinderfilm.

Und doch werden auch Stimmen lauter, die sagen: Wenn es einen runden Tisch für besondere Kinderfilme gibt, dann werden daneben die Chancen für andere Projekte geringer, weil bereits so viele Mittel gebunden sind. Wie schätzt du das ein: Werden die Möglichkeiten zur Förderung eines Kinderfilms durch die Existenz der Initiative “Der besondere Kinderfilm” insgesamt geringer?

Ich denke, da muss man differenzieren. Klar wird es mühsamer, wenn du nicht durch diese „Nadelöhr-Finanzierung“ kommst. Oder wenn du erst gar nicht antrittst, weil du zum Beispiel von anderer Seite bereits eine Drehbuchförderung erhalten hast. Dann ist eine Förderung durch die Initiative schon rein formal ausgeschlossen. Insofern stimmt es, dass es für originäre Geschichten schwieriger wird. Andererseits arbeite ich gerade an einem neuen Film, der auf einem Buch basiert, aber kein Bestseller wie „Die Schule der magischen Tiere“ ist. Auch der kann nicht durch die Initiative gefördert werden. Trotzdem wird „Kannawoniwasein“ ein ganz zauberhafter Film, ein Roadmovie über einen zehnjährigen Jungen und ein zwölfjähriges Mädchen auf einem roten Traktor quer durchs Land bis ans Meer. In diesem Fall hatten wir Glück, dass die Partner bei den Sendern – auch jenseits ihrer Verpflichtungen bei der Initiative „Der besondere Kinderfilm“ – Lust haben, mitzumachen und letztlich ihre Koproduktions- beziehungsweise Lizenzgelder zu investieren.

Du schaust natürlich vornehmlich aus der Perspektive des Produzenten auf den Kinderfilm. Am Ende geht es aber ja vor allem darum, das junge Publikum für den Kinderfilm zu begeistern. Glaubst du, dass das Label „Der besondere Kinderfilm“ auch für Kinder oder Jugendliche eine Bedeutung hat?

Gute Frage. Ich würde mal provokant sagen: Nein! Das ist denen total egal. Es gab ja mal Bemühungen, dieses Label ein bisschen sichtbarer zu machen, um die Filme aus der Initiative deutlicher kenntlich zu machen. Dafür sind die entstehenden Produktionen aber einfach viel zu individuell und zu unterschiedlich. So ein Label sehe ich eher auf einer DVD-Box oder auf einem Sendeplatz. Mit Blick auf das Kino müssen das Thema und die Geschichte der jeweiligen Filme aber für sich stehen. Was ich mir aber gut vorstellen könnte, wäre eine Art Imagekampagne für den Kinderfilm insgesamt. Mit der Botschaft, dass es auch aus Deutschland tolle für Kinder erzählte Geschichten gibt. Für die Kinos wäre so eine Kampagne sicher hilfreich. Idealerweise würde sie über die Deutsche Filmakademie laufen, damit nicht nur die Filme aus der Initiative sichtbarer werden, sondern der deutsche Kinderfilm in seiner ganzen Bandbreite davon profitiert.

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