#ich sehe was 2021-1: In unseren Händen
Mal eben die Welt retten
Brisante ökologische und soziale Probleme werden längst auch regelmäßig in Spielfilmen für Kinder behandelt. Die Lösungen in diesen sind allerdings oft recht simpel oder verträumt. Wie schwer haben es dagegen die echten engagierten Kinder und Jugendlichen, die in Dokumentarfilmen porträtiert werden. Weltenretten ist kein Kinderspiel ...
Von Christian Exner
Man staunt nicht schlecht, wenn man auf den jüngsten Kinofilm der „Pfefferkörner‟-Serie schaut. In „Die Pfefferkörner und der Schatz der Tiefsee“ (Christian Theede, 2020) geht es um Plastikmüll in den Ozeanen. Ein Kinderkrimi auf der Höhe der Zeit, der ein weltweit grassierendes Umweltproblem zum Thema macht. Wow! Krimis sind beliebt bei Kindern und ein politisches Thema in diesem Format zu bringen, ist durchaus ambitioniert. Die Kinderjury beim Festival Goldener Spatz hat ihn 2020 zum Sieger gekürt. Perfekt. Der neue Fall der Pfefferkörner, die Entführung einer Meeresbiologin, führt das Junior-Detektivteam auf die Spur des Unternehmers Fleckmann, Heino Ferch in weißer Robe, der etwas bemüht versucht, Dekadenz auszustrahlen. Denn anders als dekadent können geschulte Gangsterfilmgucker*innen sich einen schlimmen Finger, der mit der Müllmafia im Bunde ist, kaum vorstellen. Die internationale Müllmafia – im Ernst? Dem Kinderpublikum möchte man wieder einmal zurufen: „Liebe Kinder, macht das bitte nicht nach. Legt euch nicht mit der Mafia an!“ Andererseits ist es aber klasse, dass Filme, denen es primär um ein spannendes Unterhaltungserlebnis geht, nicht jegliche Alltagsthemen und Gesellschaftsbezüge ausblenden.
Augenöffner und die Gefahr der Vereinnahmung
In Film und Fernsehen tummeln sich Kinder eigentlich mehr mit fantastischen Tierwesen, wandeln in Burgen und Schlössern, kabbeln sich in beschaulichen Internaten – aber sie stechen nicht gerade Greenpeace-mäßig in See. In die See gestochen ist immerhin Checker Tobi in „Checker Tobi und das Geheimnis unseres Planeten‟ (Martin Tischner, 2019). Eine Erlebnisreise, in der es sich wunderbar schwelgen lässt und die zum Träumen verführt. Und wenn man schließlich aus dem Traum erwacht, dann hat man eine Ahnung, was auf dem Spiel steht, wenn dieser Planet mit all seinen zauberhaften Lebensformen zerstört wird. Sehr subtil und noch fantastischer in ihrer Naturmystik sind Hayao Miyazakis Filme. Der ökologische Gedanke drängt sich auch hier nicht gleich auf. In „Chihiros Reise ins Zauberland“ (2001) erbricht ein müllschluckendes Monster den ganzen Unrat der menschlichen Zivilisation, in „Ponyo“ (2008) wird die Küste von einer Flut heimgesucht. Monster erwachen und Katastrophen entstehen, weil Menschen verlernt haben, den Geist anderer Wesen zu achten. Das klingt nicht direkt nach der Programmatik der Grünen. Aber wer weiß: Vielleicht hinterlassen diese ganz unterschiedlichen Filme jeder auf seine Art einen Eindruck bei Kindern und in der Summe wächst ein Bewusstsein Heranwachsender für ökologische Probleme. Am Ende kommt eine Fridays for Future-Bewegung dabei heraus. Inzwischen findet diese Bewegung selbst ein immer größeres Echo in den Medien. Und nicht nur in den Schlagzeilen. Es ist gut, dass den Kampagnen auch Filme folgen, die neue Perspektiven eröffnen. Wie etwa der Dokumentarfilm „I am Greta“ (2020), in dem Nathan Grossman den Werdegang der Aktivistin nachzeichnet und Seiten von ihr zeigt, die wichtig sind, um ihre Anliegen und die Bewegung, deren Aushängeschild sie geworden ist, besser zu verstehen.
Doch haben Greta Thunberg und auch die kanadische Aktivistin und Regisseurin Slater Jewell-Kemper, die über mehr als ein Jahrzehnt die Umweltdoku „Youth Unstoppable“ (2019) gedreht hat, nicht nur ihre Generation in großem Ausmaß zum Protest mobilisiert. Leider blieb beiden nicht die Erfahrung erspart, dass sie zu Galionsfiguren der vordergründigen Symbolpolitiken gemacht wurden. Greta wurde ins europäische Parlament und zum UN-Umweltgipfel eingeladen, damit Politiker*innen gute Bilder mit ihr machen und von der Popularität der Jugendrebell*innen profitieren können. Greta hat im Zorn registriert, wie zynisch sie instrumentalisiert wurde von Spitzen-Politiker*innen, deren Strategie der kleinen Schritte bei den „Bemühungen um die europäische Harmonisierung von Klospülungen“ (Zitat Jean-Claude Juncker) endet.
Nur Träume von einer anderen Welt
Sind Filme ein Teil dieser symbolischen Handlungen oder schaffen sie eine andere Wahrnehmung als die Nachrichtenmedien? Haben sie die nötigen Zwischentöne, um Widersprüche im Widerstand und im Protest aufzuzeigen? Der engagierte Kinderfilm bleibt meist eher im Utopischen. Ja er meidet regelrecht den Realitätsbezug und das Konkrete. Beispiele dafür sind „Hoppet“ (Petter Næss, 2007) und „Binti“ (Frederike Migom, 2020). Sie greifen die Kriegs- und Fluchtthematiken unserer Zeit auf, ohne sich in einer spezifischen Realität zu verorten. Ein starker moralischer Appell wird mit einem magischen Wunschdenken verbunden. So, als könne man eine bessere Welt heraufbeschwören, wenn man mit guten, ethisch anspruchsvollen Geschichten in die Köpfe von Kindern kommt, die morgen schon Gesellschaften gestalten und sie dann hoffentlich zum Besseren wenden.
Kinderfilmemacher*innen sind manchmal selber betont kindsköpfig. Ob mit pädagogischer List, mit gesellschaftspolitischer Strategie oder aus purer Naivität – es fällt schwer, sich da festzulegen. Konfrontation mit den großen aktuellen Fragen? Ja! Aber immer noch etwas zu sehr aus der Perspektive eines verträumten „Neverland“. Die Fridays for Future-Schüler*innen-Proteste zeigen uns aber, dass viele junge Menschen die Zeichen der Zeit erkannt haben. Könnte man Kindern, die nur ein wenig so sind wie Greta, auch in Spielfilmen nicht aufrichtiger begegnen? Könnten Filmemacher*innen auch in fiktiven Geschichten nicht endlich mehr Realismus wagen? Damit ist nicht gemeint, dass sie der Mafia die Stirn bieten – denn, sorry ihr lieben Pfefferkörner, es ist doch etwas utopisch, dass ihr gegen die gewinnt.