Artikel > Hintergrund

Hintergrund | | von Frank Münschke

Zwischen Nostalgie und Verklärung

40 Jahre „Die Goonies“

Na, können Sie sich noch an das Piratenschiff in der Höhle erinnern? An Mikey, Chunk, Data und Mouth? Am 19. Dezember 1985 kam Richard Donners Blockbuster für Heranwachsende in die westdeutschen Kinos. Das ist doch ein schöner Anlass, sich diesen Klassiker des Kinder- und Jugendfilms nochmals anzuschauen und sich zu fragen: Was macht den Film zu einem Kultfilm? Und vor allem: Wie gut oder schlecht ist er gealtert?

Filmstill aus Die Goonies
"Die Goonies" (c) Warner

Bis in die 1980er-Jahre stellten Abenteuerfilme im Kinder- und Jugendkino eher eine Ausnahme dar. Erst Mitte des Jahrzehnts wurden dann direkt zwei spannungsgeladene Filme veröffentlicht, die großen Einfluss auf die weitere Entwicklung des populären beziehungsweise höher budgetierten Kinder- und Jugendfilms nehmen sollten: 1984 kam Wolfgang Petersens „Die unendliche Geschichte“ in die Kinos, ein Jahr später „Die Goonies“ von Richard Donner. Beide Produktionen feierten große Erfolge an den Kinokassen und spielten das Vielfache ihrer Produktionskosten ein. Während Petersens Film auf dem gleichnamigen Erfolgsroman von Michael Ende basiert, handelt es sich bei „Die Goonies“ um einen Originalstoff, die Idee und Story stammt übrigens von Steven Spielberg. Aber auch hier gibt es zumindest gedankliche Vorläufer: Der Film orientiert sich stark an den erfolgreichen Blockbustern seiner Zeit, allen voran den beiden bis damals veröffentlichten „Indiana Jones“-Filmen „Jäger des verlorenen Schatzes“ (Steven Spielberg, 1981) und „Indiana Jones und der Tempel des Todes“ (Steven Spielberg, 1984).

Eskapistische Heldenreise mit Kindern

In „Die Goonies“ wird konsequent eine kindliche Perspektive eingenommen, doch zumindest aufgrund der rechtlichen Rahmenbedingungen ist der Film – zumindest in Deutschland – nicht für Kinder geeignet. In den USA erhielt er zwar die Altersfreigabe „PG“ (Parental Guidance Suggested), in Deutschland wurde er allerdings – aufgrund vieler bedrohlicher Szenen durchaus nachvollziehbar – mit einer FSK ab 12 Jahren versehen. Dennoch – oder auch gerade deshalb – erlangte „Die Goonies“ bei den jüngeren und älteren Heranwachsenden der Generation X relativ schnell Kultstatus. Das mag an der actionreich-spektakulären und spannenden Handlung liegen, an der Darstellung von Freundschaft, an vielen kultigen Charakteren und Szenen oder auch an den – ganz im Sinne des Blockbusterkinos – vielen markigen Onelinern.

Der Protagonist Mikey und seine drei Freunde Chunk, Data und Mouth – später kommen noch Mikeys älterer Bruder und zwei seiner Teenager-Freundinnen dazu – sind auf der Suche nach einem alten Piratenschatz, der sich in einem unterirdischen Höhlensystem ihres Heimatstädtchens Goon Docks befinden soll. Auf ihrer Reise müssen sie mehrere teils lebensbedrohliche Abenteuer bestehen. Dabei sind ihnen die Fratellis, eine gewaltbereite italienische Familie, ständig auf den Fersen.

Filmstill aus Die Goonies
"Die Goonies" (c) Warner

Die äußere Heldengeschichte geht mit der inneren Reifung der kindlichen und jugendlichen Figuren einher, allen voran mit Mikeys Entwicklung, der über sich hinauswächst und im Laufe des Films zum „Mann“ heranreift. Die Männlichkeitssymbolik des Films – etwa die Statue mit abgebrochenem Penis zu Beginn der Erzählung – durchzieht dabei die komplette Handlung. Auslöser der Reise ist ein Konflikt beziehungsweise hier ein angedrohter Verlust: Mikeys Eltern müssen ihr Haus verkaufen, Mikey soll also seinen Heimatort und seine engsten Freunde verlassen. Die Suche nach dem Schatz steht als Metapher für einen kindlichen Eskapismus, hier in Form einer (temporären) Flucht in eine Fantasie- und Abenteuerwelt. Die Kinder erleben eine Heldenreise und kehren schließlich, als gereifte Figuren, in den Schoß ihrer Familien zurück. Am Ende können sie auch das Haus der Familie und die gesamte Wohnsiedlung retten, Mikey kann also in Goon Docks und bei seinen Freunden bleiben. Die kindliche Helden- und Reifungsgeschichte, der kindliche Eskapismus und die finale Wiedervereinigung der Familien sind allesamt standardisierte Elemente und Motive des populären aktuellen Kinderfilms. „Die Goonies“ war zwar nicht der erste Film, der diese Merkmale aufgreift, aber er etablierte diese nachdrücklich.

Und Donners Films greift einige weitere Konventionen auf, die als typisch für das aktuelle Kinderkino gelten: Die erwachsenen Figuren – konkret: die Fratellis – als Bösewichte sind zwar durchaus bedrohlich gezeichnet, gleichzeitig aber auch als Karikaturen angelegt. Ebenso finden sich in „Die Goonies“ Merkmale des Family Entertainments, der Film adressiert in einzelnen Szenen auch erwachsene Zuschauer*innen, etwa in Form von Zitaten auf die Filmgeschichte: Die Anspielungen auf die „Indiana Jones“-Filme, auf „E.T. – Der Außerirdische“ (Steven Spielberg, 1982) oder „Dr. Strangelove“ (Stanley Kubrick, 1964) sind nur drei Beispiele dafür. Genauso wie in Donners Film andere Filme zitiert werden, dient „Die Goonies“ wiederum als Inspiration für spätere Filme und Serien, am auffälligsten sind wohl die Parallelen und Anleihen in „Super 8“ (J.J. Abrams, 2011) und der Serie „Stranger Things“ (seit 2016), etwa durch das Setting, die Darstellung von kindlicher Freundschaft und durch einzelne Figurenmerkmale.

Filmstill aus Die Goonies
"Die Goonies" (c) Warner

Auf Kosten der Figuren(zeichnung)

Als Zeitdokument, als Reminiszenz an die 1980er-Jahre und an das Kino dieser Zeit funktioniert „Die Goonies“ auch heute noch sehr gut, gerade durch die Kombination aus Freundschafts- und Abenteuergeschichte. Ebenso beinhaltet der Film einige hervorragend inszenierte Passagen, zum Beispiel die fulminant montierte Eröffnungssequenz, in welcher zentrale Figuren und Handlungsorte vorgestellt werden. Temporeich und dynamisch werden die Zuschauer*innen in direkt in die Welt der Goonies hineingezogen.

Aber neben einigen dramaturgischen Schwächen und inhaltlichen Überfrachtungen erscheinen heute vor allem mehrere Figurenmerkmale problematisch. So reproduziert der Film etwa rassistische Stereotype: Bei den Fratellis handelt es sich um eine italienische Familie, deren Unterkunft eine – und das ist noch freundlich ausgedrückt – Absteige ist, ihr Kommunikationsverhalten ist unzivilisiert und die Mutter und zwei ihrer Söhne sind voller krimineller Energie. Sie halten zudem den dritten, sowohl körperlich als auch geistig beeinträchtigten Sohn beziehungsweise Bruder im Keller gefangen. Das erinnert an die rassistischen Zeichnungen von Bösewichten in anderen Medienprodukten der 1980er-Jahre, etwa innerhalb der TKKG-Buch- und Hörspielreihe. Ebenfalls kommt es zu sexistischen Konnotationen: Die beiden Teenagerinnen definieren sich während der Schatzsuche vor allem durch hysterische Anfälle, sie wirken wie Staffagen, weit entfernt von selbstbewussten weiblichen Figuren, wie sie in aktuelleren Kinderfilmproduktionen zu finden sind. Zudem kommt es zu Bodyshaming: Der etwas mehrgewichtige Chunk hat ständig Appetit und wird damit von den anderen in repetitiver Weise aufgezogen. Das ist in einigem Momenten dramaturgisch motiviert, soll vor allem aber humorvoll wirken.

Filmstill aus Die Goonies
"Die Goonies" (c) Warner

Ein Wegbereiter der Kommerzialisierung des Kinder- und Jugendfilms

Im Rückblick entsteht also ein differenziertes Bild: „Die Goonies“ ist zweifelsohne ein Klassiker des Kinder- und Jugendkinos, der den Abenteuerfilm als Subgenre des Kinder- und Jugendfilms etabliert und erzählerische Standards gesetzt hat, ebenfalls wie er einen nostalgischen Blick zurück in eine Kindheit ohne Internet und Smartphones zulässt. Gleichzeitig ist der Film nur bedingt gut gealtert, da er mehrere Stereotype aufgreift und reproduziert – was für viele andere repräsentative Kinder- und Jugendfilme dieser Zeit gilt. So sind Weiblichkeitsdarstellungen in „The Breakfast Club“ (John Hughes, 1985) alles andere als modern und empowernd, ebenso wie in „Stand by Me“ (Rob Reiner, 1986) Fatshaming betrieben wird.

„Die Goonies“ orientiert sich stark an den Konventionen des Unterhaltungs- und Blockbusterkinos für Erwachsene der 1980er-Jahre – und dieses zeichnet sich nicht gerade durch Diversität und Subtilität aus. Aus einer ideologiekritischen Perspektive ließe sich sogar sagen: Der Film hat der Kommerzialisierung des Kinder- und Jugendfilms einen Weg bereitet – was allerdings auf Kosten einer individualisierten Figurenzeichnung geht und mit der Stigmatisierung von Personengruppen zusammenwirkt.

Zurück