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Hintergrund | | von Katrin Hoffmann

Weniger ist mehr

Filme für das jüngste Kinopublikum

Ich erinnere mich noch sehr genau, als ich mit meiner kleinen Tochter in den Film „Felix - Ein Hase auf Weltreise“ (Giuseppe Laganà, 2005) ging. Meine Tochter war gerade sechs Jahre alt geworden und wir begleiteten Felix zu dieser Zeit allabendlich bei seinen liebevoll bebilderten Reisegeschichten. Was lag demnach näher, als mit der Jüngsten ins Kino zu gehen, denn wir kannten uns ja aus. Das dachten wir, aber - weit gefehlt. Nach zwanzig Minuten mussten wir das Kino verlassen, weil der Film zu aufregend und hektisch inszeniert war und mein Kind anfing zu weinen. Ich konnte dies durchaus nachvollziehen, denn im Gegensatz zu den Büchern setzt der Animationsfilm auf laute Bilder und unerwartete Gefahren. Seit damals sind viele Jahre und unzählige Filme ins Land gegangen. Aber es bestätigt sich bis heute, dass es nur wenige Produktionen gibt, die das jüngste Kinopublikum tatsächlich ernst nehmen und ihm Themen in einer Ästhetik anbieten, die altersgerecht sind, ohne simplifizierend zu sein.

Realfilme sind eine Seltenheit

Das lässt sich am besten an einem gelungenen Beispiel erläutern: „Mein Freund die Giraffe“ (Barbara Bredero, 2017) hat als Realfilm alles, was einen Kinderfilm für die Kleineren ausmacht. Das Wichtigste ist selbstverständlich die Identifikationsfigur, in diesem Fall der fünfjährige Dominik, der in die Vorschule gehen soll. Er ist mit der lebensgroßen sprechenden Giraffe Raff befreundet, und den beiden ist unverständlich, warum Raff nicht mit in die Schule gehen darf. Davon handelt der Film, von nicht mehr, aber auch nicht weniger. Wir bleiben ganz nah an unserem Protagonisten und dessen Versuch, sein Problem zu lösen. Der Film ist ohne Hektik erzählt und spielt an überschaubaren Orten, auch das Figurentableau bleibt mit Eltern, Großvater, Erzieherin und bestem Freund übersichtlich. Aus diesen wenigen Zutaten ist es gelungen, eine wundervolle Geschichte zu inszenieren, die nie belanglos wird oder womöglich schluderig gedreht wäre. Themen wie Freundschaft und Schule besitzen in dem Alter natürlich eine hohe Priorität und der kleine Dominik wird sehr authentisch von einem fantastischen Schauspieler dargestellt. Die wenigsten Filme für jüngste Kinobesucher*innen jedoch sind Realfilme wie dieser – auch die Giraffe ist übrigens ganz real ein großer Walking Act und nicht am Computer animiert.

In die Spielfilmgattung gehören auch die alten Lindgren-Verfilmungen „Lotta“ und „Michel aus Lönneberga“ sowie „Mein Freund Knerten“ (Åsleik Engmark, 2009) oder „Der Räuber Hotzenplotz“ (Gernot Roll, 2006) Aber viele sind es nicht, und neuere kommen praktisch nicht dazu. Abhilfe könnte hier die Initiative „Der besondere Kinderfilm“ schaffen, die seit 2013 originäre Drehbücher bis zur Produktion fördert und aus der schon wunderbare Filme wie „Ente gut! Mädchen allein zu Haus“ (Norbert Lechner, 2016) oder „Auf Augenhöhe“ (Joachim Dollhopf, Evi Goldbrunner, 2016) hervorgegangen sind. Aber die Statuten verlangen Projekte, die für ein Zielpublikum ab sechs Jahren eingereicht werden können. Dabei vermissen wir schmerzlich gute Filme für Kinder ab fünf Jahren!

Was vor allem zählt, ist eine breite, altersübergreifende Auswertungsmöglichkeit

Es stellt natürlich eine besondere Herausforderung dar, mit jungen Schauspieler*innen zu drehen und auch die Drehbedingungen für diese Altersgruppe sind sehr strikt. Und da die computertechnischen Möglichkeiten immer einfacher werden, versuchen sich die meisten Produzent*innen im Genre der Animation. Das verführt ganz offensichtlich zu wilden, überbordenden Storys, die ihre ursprüngliche Zielgruppe aus den Augen verlieren, weil sie einen Spagat versuchen, der nicht zu schaffen ist. Die Filmemacher*innen wollen keine Filme drehen, die ausschließlich kleine Kinder begeistern, sondern auch Themen und eine Filmästhetik generieren, die gleichzeitig ältere Kinder ins Kino ziehen, um möglichst breit für die Auswertung aufgestellt zu sein, gern auch mit der Möglichkeit, den Film in 3D abzuspielen.

Damit sind nicht Filme von Disney & Co. gemeint, die sowieso in einer ganz eigenen Liga spielen und sich, obwohl von der FSK fast immer ohne Altersbeschränkung freigegeben, mit ihrem Rhythmus und ihrer Thematik sehr selten tatsächlich für die hier untersuchte Zielgruppe eignen. Nein, es sind Animationsfilme wie „Der kleine Drache Kokosnuss – Auf in den Dschungel!“ (Anthony Power, 2018), „Feuerwehrmann Sam – Plötzlich Filmheld!“ (Gary Andrews, Clint Butler, 2018), „Biene Maja – Die Honigspiele“ (Noel Cleary, Sergio Delfino, 2018) oder „Tabaluga – Der Film“ (Sven Unterwaldt Jr., 2018), um nur einige aus dem vergangenen Jahr zu erwähnen. Ihre Zahl nimmt stetig zu. In all diesen Fällen liegen Bilderbücher oder bekannte TV-Serien zugrunde – wir erinnern hier kurz an „Felix“ – die die Erwachsene zuversichtlich mit dem Vorschulkind ins Kino locken. Im Falle von „Feuerwehrmann Sam“ hatte dieses Vertrauen innerhalb von fünf Wochen zu 345.451 Zuschauer*innen geführt, den „Drachen Kokosnuss“ sahen in sechs Wochen 396.054 Zuschauer*innen und „Tabaluga“ kam auf 493.503 Zuschauer*innen in neun Wochen (Statistik aus filmecho/filmwoche Nr.6. vom 8.2.2019). Diese Zahlen sind erstaunlich, denn es sind mehr als eine Millionen Menschen, die in wenigen Wochen in Filme für die jüngste Zielgruppe gegangen sind.

Ernst nehmen anstatt überrumpeln

Das Kalkül, etablierte Marken zum Leben zu erwecken, geht demnach auf. Aber aus ästhetischer und pädagogischer Sicht muss man diese Filme kritisieren, denn sie nehmen die Gefühlswelt der noch Bilderbücher lesenden Kinder mit ihren Sehnsüchten und Wünschen nicht ernst. Natürlich ist hier zu unterscheiden zwischen anspruchsvollen Kinderbüchern wie zum Beispiel „Pettersson und Findus“ (von Sven Nordqvist) und „Freunde“ (von Helme Heine) einerseits und andererseits einer Vorlage wie „Käpt’n Sharky“ (von Jutta Langreuter), die schon als Ausgangsmaterial so uninspiriert ist, dass es fragwürdig ist, daraus überhaupt eine Adaption zu fertigen. Die Kinder wollen aber in jedem Fall ihre Helden authentisch auf der Leinwand sehen und haben die Erwartung, dass sie diese dort so wiederfinden, wie sie sie zu Hause in ihrem Bücherregal zurückgelassen haben. Auch die begleitenden Eltern oder Erzieher*innen verlassen sich auf das Versprechen einer gelungenen Literaturadaption.

Die jüngste Zielgruppe stellt ein zuverlässiges Zuschauersegment, denn sie ist noch nicht in unzählige Nachmittagsverpflichtungen eingebunden und lässt sich von der Animation auf der Kinoleinwand allzu gern verzaubern. Hier liegt denn auch die Verantwortung der Produzent*innen, ihnen mit anspruchsvollen Filmen eine Geschmacksbildung angedeihen zu lassen und sie nicht in rasanter Montage vollzuballern mit bunten, glatt polierten Bildern, nur weil es computertechnisch möglich ist, und untermalt von einem durchgehenden Klangteppich, der als redundanter Score oft anstrengend, eindimensional und uncharmant ist, weil er nie eine pointierende Stille zulässt. Weil den Bildern nicht getraut wird – besser sollte man sagen: man traut den Zuschauer*innen nicht, die Bilder richtig zu lesen – kommen noch erklärende Geräusche mit lauten Effekte hinzu, die die Heldentaten auf der Leinwand kommentieren. Das überfordert jüngere Kinder und eine Szene, in der Lars aus „Der kleine Eisbär – Der Kinofilm“ (Piet De Rycker, 2001) von einem großen Schiff bedroht wird, wurde vor allem deshalb von den Kindern als beängstigend empfunden, weil auf der Tonebene zum beunruhigenden Bild noch dramatisierende Musik und lautes Schiffsgeräusch arrangiert wurden.

Mut zur Entschleunigung

Aus eigener Erfahrung der regelmäßigen Kinderkinoplanung kann hier bestätigt werden, dass es die Filme für die Jüngsten sind, die die meisten Zuschauer*innen ins Kino ziehen. Zu den Highlights gehören die schon erwähnten Lindgren-Verfilmungen, Kurzfilmkompilationen, „Der Grüffelo“ (Max Lang, Jakob Schuh, 2009), nicht zu vergessen „Lauras Stern“ (Piet De Rycker, Thilo Rothkirch, 2004) oder „Lotte im Dorf der Erfinder“ (Heiki Ernits, Janno Põldma, 2006). Womit wir bei Positivbeispielen aus dem Animationsgenre wären.

„Lauras Stern“ bleibt sehr nah an der Bilderbuchvorlage und „Lotte“ an der TV-Serie, beide erfüllen somit die Erwartungen des Publikums. Eine gelungene Adaption schafft es, die Vorstellungskraft zu beleben, die mit der Figur verbunden ist, und gibt nicht unbedingt eins zu eins die Vorlage wieder. Im Idealfall ermöglicht sie den Kindern eine Erfahrung mit sich selbst: sie erkennen ihre Welt auf der Leinwand wieder, weil die Filme altersgerecht umgesetzt sind und an ihre Lebenswirklichkeit anknüpfen. Das gelingt allerdings eher in der Entschleunigung der Geschichten. Wenn Zeit ist, eine Figur ausgiebig zu beobachten, kommt sie einem viel näher, sodass die Beweggründe ihrer Aktionen besser nachvollzogen werden können. Hier sei etwa auf den aktuellen Animationsfilm „Kommissar Gordon & Buffy“ (Linda Hambäck, 2017) verwiesen. Wird dem Zuschauer die Muße gegeben, dem alten Krötenkommissar Gordon ausgiebig dabei zuzusehen, wie er ein Formular ausfüllt, um es anschließend fast umständlich abzustempeln, und hat man dabei noch Zeit, sich auf dessen Schreibtisch umzusehen, begreifen die Zuschauer*innen auch ohne Kommentar dessen Charaktereigenschaft. Das ist wichtig für den Fortlauf des Geschehens und keineswegs langweilig, man fiebert gespannt mit, ob Gordon wohl alles richtig hinbekommt.

Diese Kritik ist also wahrlich keine Aufforderung, Filme für jüngste Zuschauer*innen „einfacher“ oder kindischer zu machen. Im Gegenteil. Was Peter Härtling schon für die Kinderliteratur sinngemäß formuliert hat, gilt auch für den Kinderfilm: Man muss so produzieren, wie für Erwachsene. Nur besser.

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