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Hintergrund | | von Philipp Bühler

Waren wir hier nicht schon einmal?

Der Aufbruch in neue, alte Welten in der Serie „Stranger Things“

Sie sieht aus und klingt, als ob sie aus einer anderen Zeit käme: Die Serie „Stranger Things“ ist eine Reise zurück in die 1980er-Jahre und damit in ein Jahrzehnt, dessen Popkultur heute ebenso wundersam wie nostalgisch wirkt. Zugleich aber besticht die Serie auch, weil sie innerhalb ihrer Genre-Geschichte so charmant über das Erwachsenwerden erzählt und von einer Kindheit, die es in den meisten Fällen so in der Realität nicht mehr gibt. Gedanken über den Reiz des Retro-Settings anlässlich des Starts der dritten Staffel von „Stranger Things“.

"Stranger Things 2" (c) Netflix

Die Serie „Stranger Things“, mittlerweile in der dritten Staffel angelangt, war von Beginn an für Jugendliche und Erwachsene konzipiert. Diese selten gewordene Schnittmenge ergibt sich fast schon logisch aus dem von ihren Schöpfern Matt und Ross Duffer gewählten Setting: Den Handlungsrahmen liefern die 1980er-Jahre in einer US-amerikanischen Kleinstadt, großes Thema ist der Abschied von der Kindheit.

Reise in eine magisch-nostalgische Vergangenheit

Bekannt und beliebt wurde die Mystery-Serie, deren 1. Staffel 2016 bei Netflix veröffentlicht wurde, insbesondere durch zahllose Verweise auf Kinder- und Teenagerfilme der 1980er-Jahre wie „E.T. – Der Außerirdische“ (1982, Steven Spielberg), „Die Goonies“ (1985, Richard Donner) und „Stand by Me – Das Geheimnis eines Sommers“ (1986, Rob Reiner), aber auch die damals populäre Horrorwelle von „Freitag, der 13.“ (1980, Sean S. Cunningham) bis „Poltergeist“ (1982, Tobe Hooper). Genaugenommen bildet die kompromisslose Hingabe an die Angst- und Wunderwelten von Steven Spielberg und Stephen King ihr Rückgrat. So schwelgen erwachsene Zuschauer in der nostalgischen Erinnerung an die eigene Jugend und prägende Filmerlebnisse. Die Jüngeren hingegen sehen ihre eigenen Themen und Ängste ernst genommen und zugleich in eine magisch und anheimelnd wirkende Vergangenheit entrückt.

Worin aber liegt das Geheimnis dieser Zeit? Es erscheint nicht verkehrt, zunächst kommerzielle Gründe zu nennen: Mit Beginn der Blockbuster-Welle nach „Krieg der Sterne“ (1977, George Lucas) erkannte man Teenager*innen als immer wichtigeres Marksegment. Auf Betreiben Spielbergs und seiner Firma Amblin wurde das „PG-13-Rating“ eingeführt – eine neue Altersfreigabe, die geänderten Sehgewohnheiten Rechnung trug und es erlaubte, reifere Kinder mit „erwachseneren“ Inhalten zu konfrontieren. Zugleich wurden Science Fiction- und Horrorfilme auf ein immer jüngeres Publikum zugeschnitten. In geballter Form traten Jugendliche nun auch auf der Leinwand in Aktion, kämpften mit dem Erwachsenwerden, um Selbstbestimmung und im neuen Genre des teen horror flick auch gegen das Böse. Dem im Kalten Krieg nie fernen Gefühl einer unheimlichen Bedrohung und einer fortschreitenden Entzauberung der Welt begegnete dieses Kino mit neuen Spezialeffekten und dem Spielbergschen sense of wonder.

"E.T. - Der Außerirdische" (c) Warner

Labyrinthe, Monster und das Kinderzimmer als Schutzraum

Die Helden Mike, Lucas und Dustin stehen in Staffel 1 von „Stranger Things“ noch nicht einmal am Anfang ihrer Pubertät und müssen doch mit den größten Schrecken zurechtkommen. Dunkle Kräfte unklarer Herkunft haben sich ihres Heimatorts Hawkins, Indiana, bemächtigt und ihren Freund Will entführt. Die spezifische Natur dieses Bösen ist schwer zu fassen und wird im Folgenden mit zahlreichen Anspielungen auf visionäre Erwachsenenfilme wie „Alien“ (1979, Ridley Scott) und „Stalker“ (1979, Andrei Tarkowski) höchstens angedeutet. Für die Kinder allerdings kann es sich nur um den Demogorgon handeln, ein Monster aus Dungeons & Dragons. Das damals äußerst populäre Rollenspiel liefert auch die Erklärung für den Ort des Grauens – die „andere Seite“ befindet sich schlicht auf der Rückseite des Spielbretts. In der phantastischen Logik der Serie ist das tatsächlich die beste Beschreibung.

Auf der entschlossenen Suche nach dem Jungen, der vielleicht nicht mehr lebt, stoßen sie auf die zunächst sprachlose Elfi, die wie ein Junge aussieht und sich auf der Flucht befindet. Damit sind die wichtigsten Vorbilder der Staffel, „E.T. – Der Außerirdische“ und „Stand By Me“, bereits zusammengeführt. Wie der knuddelige Alien E.T. muss Elfi, die sich als Produkt und Opfer geheimer CIA-Experimente herausstellt, gerettet und vor den Blicken der Erwachsenen versteckt werden. Zwischen finsteren Wissenschaftler*innen und den eigenen Eltern wird dabei kein Unterschied gemacht. Das Versteck im Kinderzimmer wird zum kindlichen Schutzraum, der unbedingt verteidigt werden muss.

Mehr als nur eine Kinder-Geschichte: Einflüsse von High-School-Filmen

"Stranger Things 3" (c) Netflix

Zunächst abgekoppelt von dieser Jungenerzählung vollziehen sich die Geschehnisse um Mikes ältere Schwester Nancy nach einem weiteren Vorbild der Serie: die Teenagerromanzen von John Hughes. In High-School-Filmen wie „The Breakfast Club“ (1985) und „Pretty in Pink“ (1986) zollte der US-Regisseur vormals belächelten Teenagerleiden auf bisher ungekannte Weise Respekt: das Ringen um Akzeptanz in der Clique, die Suche nach dem oder der Richtigen, Liebeskummer, Rebellion gegen die Eltern. Von Hughes scheint auch die Liebe zu den Unverstandenen und Außenseitern abgeschaut, den „Irren“, „Psychos“ und „Freaks“, die sich in der Schulwelt an der unteren Ende der Nahrungskette wiederfinden. Und auch hier gilt es, Geheimnisse zu bewahren: Von ihrer Beziehung zum unsympathischen Cliquenführer Steve soll Nancys Mutter nichts erfahren. Nach dem Tod ihrer Freundin Barb verbündet sie sich mehr und mehr mit dem verschlossenen Jonathan, Bruder des verschwundenen Will, der wie sie einen Verlust verarbeiten muss.

Als Nebenfigur der Handlung nimmt Nancy damit eine wichtige Erfahrung vorweg, die Mike und den anderen erst in der zweiten Staffel bevorsteht: die Begegnung mit Trauer und Tod, den Gefahren des Lebens, den Abschied von der Kindheit. Die Duffer-Brüder geben freimütig zu, sich bei der Entwicklung ihrer stetig älter werdenden Charaktere beim Konzept der Harry-Potter-Filme bedient zu haben. Die ewige Kindheit ist zwar das Erfolgsrezept des Spielberg-Universums, aber mit dem Gesetz der Serie schwer vereinbar.

Das Versprechen einer einfacheren Zeit

"Stranger Things" (c) Netflix

Die Attraktivität von „Stranger Things“ beruht indes nicht nur auf Kampf, Trauer und Leid. Das Gefühl einer unheimlichen Bedrohung mögen auch heutige Jugendliche wieder empfinden und die „andere Seite“, das Böse aus einer anderen Dimension – das in „Poltergeist“ noch aus dem Fernsehen kam – vielleicht mit dem Internet verbinden. Doch im großen Abenteuer einer Kindheit, wie sie Matt und Ross Duffer selbst nur aus Filmen kennen, liegt auch das große Versprechen einer scheinbar einfacheren Zeit. Der nostalgische Effekt von Walkie-Talkies, Kassettenrekordern, holzvertäfelten Hobbykellern und BMX-Rädern mit Bananensattel geht einher mit der heute unvorstellbaren Freiheit, auf letzteren tagelang und ohne Elternaufsicht durch eine unbekannte Natur zu fahren und spannende Abenteuer zu erleben. „Dieses Gefühl von Freiheit und die nostalgische Sehnsucht nach eben dieser Freiheit waren etwas, das wir unbedingt rüberbringen wollten“, schreiben die Brüder im Begleitbuch zur Serie. Diese sähe im Zeitalter von Smartphones zweifellos ganz anders aus. Allerdings wird in der dritten Staffel, anstelle dunkler Wälder, eine neue Shopping-Mall zum zentralen Handlungsort. Selbst in der fürchterlichen und wundervollen Welt von „Stranger Things“ kann die Kindheit nicht bleiben, was sie einmal war.

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