Hintergrund | | von Christopher Diekhaus
Jenseits der Schreckensbilder
Horrorfilme, die sich für das Seelenleben ihrer jungen Protagonist*innen interessieren
Horrorfilme mit Jugendlichen gibt es viele. Während einige aktuelle Produktionen dem Publikum nur durch Effektgewitter das Fürchten lehren wollen, blicken andere tiefer und besinnen sich auf eine andere Qualität des Horrorgenres: Im Modus des Fantastischen und durch die Begegnung mit realen und erfundenen Schreckgestalten über Verlust und Trauer, Verdrängung und inneren Schmerz zu erzählen.
Horrorfilme über Teenager*innen haben nicht den besten Ruf. Denken muss man dabei wahrscheinlich sofort an die vielen Wald- und Wiesenschocker, in denen Jugendliche, verfolgt von waffenschwingenden Psychokillern, durch die Gegend stolpern und oft nur eine Funktion haben: die des billigen Kanonenfutters. Inspiriert vom Boom eben jenes Slasher-Subgenres in den 1980er-Jahren entstanden und entstehen immer wieder nachlässig erzählte, achtlos inszenierte Produktionen, die ihr Publikum einzig über reißerische Exzesse fesseln wollen. Wirklich ernst nehmen kann man solche Werke nicht. Ein genauerer Blick auf den Schreckensoutput zeigt allerdings, dass derartige Auswüchse nur eine Seite der Medaille sind. Das Horrorkino, seit jeher eine Projektionsfläche für Tod, Trauer und Schmerz, kann auch anders. Sehr wohl gibt es unheimliche Filme oder Serien über junge Menschen, denen viel an einer mehrdimensionalen Figurenzeichnung liegt, die gruselige Bilder nicht selbstzweckhaft einsetzen, sondern sie ganz konkret mit traumatischen Erfahrungen verknüpfen.
Trauer als Plot-Vorwand und als handlungsleitendes Motiv
Festmachen lassen sich die Unterschiede am besten im direkten Vergleich. Im modernen Slasher-Klassiker „Scream – Schrei!“ (Wes Craven, 1996), der vor allem wegen seiner Metawitze Berühmtheit erlangte, betrauert die Hauptfigur Sidney Prescott den noch vor Einsetzen der Handlung verübten Mord an ihrer Mutter. Ihr Schmerz scheint immer mal wieder durch. Bei Licht betrachtet ist der Verlust aber nur ein Aufhänger für einen wilde Haken schlagenden, Horrorklischees munter kommentierenden Rätselplot. Echtes Interesse, sich mit dem Innenleben der Protagonistin zu befassen, besteht von Seiten der Filmemacher*innen nicht. Ganz anders sieht das in „Talk to Me“ (2022) aus, dem Regiedebüt der australischen Zwillingsbrüder Danny und Michael Philippou, das Ende Juli 2023 in den deutschen Kinos anlief. Motor der Geschichte ist hier die Trauer der Teenagerin Mia, die vor zwei Jahren ihre Mutter unter nie ganz geklärten Umständen verloren hat. Als wäre der plötzliche Tod ihrer wohl engsten Bezugsperson nicht schon schlimm genug, distanziert sich die junge Frau in ihrer Schockstarre auch noch von ihrem Vater, weist ihn zurück, da er möglicherweise etwas mit dem Ableben seiner Ehefrau zu tun hat. Gerade die Szenen im elterlichen Haus zeugen von einer bedrückenden Schwere, einem tiefen emotionalen Graben. Etwas wärmer wirken, zumindest in der ersten Hälfte, die Momente, die Mia mit ihrer besten Freundin und deren kleinem Bruder zeigen. Bei ihnen sucht und findet sie ein wenig Halt.
Mias Verzweiflung und ihre Verunsicherung drücken sich bereits im flehentlichen Filmtitel aus. Einerseits bezieht er sich auf die Regeln eines mysteriösen Partyspiels, mit dem die Protagonistin in Kontakt kommt. Andererseits schreit er geradezu heraus, wie sich Mia fühlt und was ihr innigster Wunsch ist. Zu gerne würde sie noch einmal mit ihrer Mutter sprechen, sie fragen können, wie sie verstarb. Möglich scheint dies, als sie selbst an besagtem Partygame teilnimmt und über eine einbalsamierte Hand die Schwelle zur Geisterwelt überschreitet.
„Talk to Me“ arbeitet fortan durchaus mit klassischen Schocktaktiken wie im Hintergrund umherhuschenden Schatten und einer anschwellenden Tonspur. Augenblicke des Innehaltens sind jedoch nach wie vor präsent. Und überhaupt bezieht der Horrorfilm seine verstörende Kraft vor allem aus Mias Dilemma. Die Sehnsucht, mit ihrer Mutter zu reden, ist absolut verständlich. Wir drücken ihr die Daumen, dass sie Antworten erhalten möge. Gleichzeitig löst Mia durch ihr vom Schmerz geleitetes Handeln aber auch eine verheerende Kettenreaktion aus. Gutes gewollt, blutiges Chaos gestiftet, lautet die traurige Erkenntnis.
Monster als Seelenspiegel
Rund zwei Monate vor „Talk to Me“ schlug mit der Stephen King-Adaption „The Boogeyman“ (Rob Savage, 2023) ein ähnlich gelagerter Gruselthriller hierzulande in den Kinos auf. Wieder ist es der Verlust der Mutter beziehungsweise der Ehefrau, der in diesem Fall zwei Schwestern und ihrem Vater dramatisch zusetzt. Anders als im Spukstreifen der Philippou-Brüder vermissen die Mädchen allerdings die Unterstützung des verbliebenen Elternteils. Junge Menschen, die noch nicht mit beiden Beinen fest im Leben stehen, ihren Platz in der Welt noch suchen müssen, trifft es zweifellos besonders hart, wenn die Familie unverhofft von einem Todesfall erschüttert wird. In einer solchen Lage braucht es Zusammenhalt, Schultern zum Anlehnen. „The Boogeyman“ dagegen entführt uns in ein häusliches Umfeld, über dem beklemmende Sprachlosigkeit liegt. Der Vater entzieht sich, lässt seine Kinder mit ihren Ängsten allein. Und das, obwohl er als Therapeut ständig Fremden hilft. Demonstrativ setzt der Film seine Abwesenheit in Szene. Zuweilen hat es fast den Anschein, als habe ihn das Haus verschluckt. Ein spannender Erzählkniff ist die Idee, die Konfusion der Töchter zum Nährstoff der titelgebenden Spukkreatur zu machen. Weil in ihrem Heim so viel nicht bewältigte Trauer herrscht, kann sich das Wesen, das Schmerz zum Überleben benötigt, dort wunderbar einnisten.
In der Veräußerung tiefenpsychologischer Prozesse weist der Grusel-Drama-Mix „Before I Wake“ (Mike Flanagan, 2016) Ähnlichkeiten mit „The Boogeyman“ auf. Der Kummer des Waisenjungen Cody über den Krebstod seiner Mutter wird auch in Flanagans Film zum Einfallstor für finstere Vorgänge und das Auftauchen einer Schreckgestalt. Dieses Wesen, Canker Man genannt, entpuppt sich am Ende als eine verzerrte Verkörperung der Verstorbenen, die in den Erinnerungen des Kindes zunehmend verblasst. Tricktechnisch mag hier manches ausbaufähig sein. Schön ist es dennoch, dass die unheimliche Kreatur einmal nicht zu einer bloßen Geisterbahnattraktion verkommt. Über sie lässt uns der Regisseur vielmehr in die aufgewühlte Seele Codys blicken.
Mehr Innenleben als Effekt
Wohltuend behutsam wird der Tod eines geliebten Menschen auch in der britischen Horrorserie „Red Rose“ (Schöpfer: Michael und Paul Clarkson, 2022) verhandelt. Auf der Plot-Ebene geht es darin um eine geheimnisvolle App, die ihre User*innen erst in den Wahnsinn, dann in den Selbstmord treibt. Besonders in der ersten Hälfte legt der Achtteiler jedoch, verglichen mit anderen Schauergeschichten über Jugendliche, überraschend viel Augenmerk auf das Befinden seiner Protagonist*innen. Als Roch, scheinbar die treibende Kraft der Erzählung, in der zweiten Folge unerwartet stirbt, sind ihre beste Freundin Wren und der Rest der Clique schwer getroffen. Statt die Handlung konsequent voranzutreiben, halten die Clarksons mehrmals den Lauf des Geschehens an und lassen die Teenager*innen über ihre Trauer sprechen. Gerade Wren macht sich große Vorwürfe, da sie sich mit Roch kurz vor ihrem Ableben zerstritten hat. Sich nun nicht mehr versöhnen zu können, verstärkt den Schmerz erheblich. Erfreulich auch, dass die Serie die ganze Bandbreite der filmischen Mittel nutzt, um die Fassungslosigkeit zu veranschaulichen. In Erinnerung bleibt etwa der Einsatz einer melancholisch-andächtigen Version des Songs „Barbie Girl“.
Trugbilder als Schutzmechanismus
Nicht selten wird im Horrorgenre beim Umgang mit Tod und Trauer auch auf das Element des unzuverlässigen Erzählens zurückgegriffen. Figuren, die einen nahestehenden Menschen verloren haben, lassen diesen kraft Imagination unbewusst wieder auferstehen – ein seelischer Schutzmechanismus gegen die niederschmetternde Realität. Allzu oft schielen die Filmemacher*innen dabei aber einzig und allein auf die Wucht der am Ende stehenden Enthüllung, dass Person XY nicht mehr lebt. Manchmal jedoch geht es zum Glück etwas tiefer. Ein positives Beispiel: der österreichische Psychoschocker „Ich seh, ich seh“ (Veronika Franz und Severin Fiala, 2014), der das besondere Band zwischen Zwillingen erforscht.
Statt den Tod seines Bruders Lukas zu akzeptieren, steigert sich der zehnjährige Elias, geplagt von Schuldgefühlen, in die Annahme hinein, die von einer Gesichtsoperation nach Hause zurückgekehrte Frau sei nicht seine Mutter. Erschütternd ist nicht so sehr die vorhersehbare Offenbarung auf der Zielgeraden. Unter die Haut geht dagegen, wie stark Elias‘ Abwehrmechanismen sind. Lukas, der stets an seiner Seite war, kann, darf nicht tot sein. Irgendetwas anderes, eine Verschwörung, muss vor sich gehen – weshalb der Junge Foltermethoden anwendet, um die Wahrheit ans Tageslicht zu bringen. „Ich seh, ich seh“ weidet sich keineswegs lustvoll an seiner Eskalationsspirale, sondern macht durch seine Gewaltspitzen deutlich, welchen Schaden die Seele des Protagonisten genommen hat.
Hastig heruntergekurbelte Splatter-Streifen und aufdringliche Geisterbahnheuler gibt es wie Sand am Meer. Und doch hat unser kleiner Streifzug hoffentlich gezeigt, dass Horrorfilme und -serien durchaus sensibel und originell von der Trauer und den Traumata junger Menschen erzählen können. Auch wenn es manchmal aussichtslos erscheint – es lohnt sich, nach Werken zu suchen, die nicht nur auf den schnellen Buh-Effekt aus sind und deren Schreckensbilder stattdessen Aufschluss geben über das Innere der im Zentrum stehenden Charaktere.