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Hintergrund | | von Stefan Stiletto

Ich filme, also bin ich

Kinder- und Jugendfilme über das Filmemachen

Auf Veranstaltungen wie dem Bundes.Festival.Film. bekommen junge Nachwuchsfilmer*innen eine Bühne, aber auch das Kino feiert immer wieder junge Menschen, die zur analogen oder digitalen Kamera greifen. Mal beeinflussen die selbst gedrehten Filme auf positive Art die Wirklichkeit, mal verhindern sie eine reife Auseinandersetzung mit dieser. Mit dem hohen Niveau realer Nachwuchsfilmer*innen haben die Kinogeschichten allerdings oft nicht so viel zu tun und als Inspiration für eigene Filmprojekte mit Aussicht auf ein größeres Publikum taugen sie nur bedingt. Spaß machen sie trotzdem. Und erzählen dabei auch viel über die Bedeutung von Medien im Prozess des Aufwachsens.

Filmstill aus Die Fabelmans
"Die Fabelmans" (c) Universal

Ich bin mal ganz ehrlich: Wenn ich bei den Vorauswahlsichtungen zum Deutschen Jugendfilmpreis einen Film sehen würde, wie ihn der 17-jährige Lawrence Kweller aus „I Like Movies“ (Chandler Levack, 2022) oder Greg und Earl, ebenfalls 17, aus „Ich und Earl und das Mädchen“ (Alfonso Gomez-Rejon, 2015) gedreht haben – dann würde ich wohl nicht dafür plädieren, ihn an die Jury weiterzureichen. Sorry, Lawrence, sorry, Greg und Earl, ihr hattet sicher euren Spaß, aber in eurer Altersklasse sind Saturday Night Live-Parodien mit Perücken oder Sockenpuppen-Parodien von „Uhrwerk Orange“ eher nicht konkurrenzfähig. Denn die Wahrheit ist auch: Was im Kino gerne als Eigenproduktion von Kindern und Jugendlichen verkauft wird, ist doch meist eher irgendwie betont quirky, naiv oder niedlich, entspricht aber nicht der teils schier unglaublichen Qualität der Filme, die jährlich bei den Hot Spots des Nachwuchsfilms wie dem Bundes.Festival.Film., dem FiSH, der Werkstatt der jungen Filmszene oder dem Up & Coming auf der großen Leinwand zu sehen sind. Nichtsdestotrotz (oder gerade deswegen) feiert der Profifilm, von Arthouse bis Independent, im Kinder- und Jugendfilmbereich immer wieder gerne die Kunst des Filmemachens und die jungen Filmemacher*innen, die sich (früher) 16mm-Kamera, (später) Camcorder oder (heute) Smartphones schnappen und mit großer Leidenschaft ihre eigenen Geschichten erzählen.

Nostalgischer Blick zurück in die eigene Kindheit

Diese Erzählweise hat durchaus biografische Züge. Wenn Garth Jennings in „Son of Rambow“ davon erzählt, wie zwei ungleiche Kinder sich verbünden und, inspiriert von „Rambo“ (Ted Kotcheff, 1982), damit beginnen, eigene Actionfilme zu inszenieren, dann ist das auch ein Teil seiner eigenen Medienbiografie. Während bei Jennings im Alter von fünf Jahren durch „Star Wars“ (George Lucas, 1977) die Liebe zum Kino zündete, war es im Alter von zwölf Jahren „Rambo“, der seine Fantasie zum Tanzen und ihn zum Filmemachen brachte. „Arran, Part 1“ hieß der zehnminütige Film, den Jennings selbst mit Freund*innen und Familie im Anschluss an „Rambo“ drehte, ohne überhaupt eine Ahnung davon zu haben, wie man eigentlich Filme macht. (Auf der britischen Blu-ray von „Son of Rambow“ ist der Film übrigens als Extra enthalten.) Aber glücklicherweise belässt es Jennings in „Son of Rambow“ nicht bei der Kindheitserinnerung. Die Nostalgie ist nur ein Teil der Geschichte, eine Stimmungslage, vor der dann noch eine viel größere Geschichte erzählt wird.

Dass der vaterlose Will in dem von Sylvester Stallone gespielten Vietnamveteranen eine Vorbildfigur entdeckt, der er in seinem selbst gedrehten Film nacheifert, ist dabei ein Aspekt. Überdies werden die Dreharbeiten aber auch eine Folie für eine Freundschaftsgeschichte. Mit dem oft angeberischen und rauen Lee Carter hatte Will zuvor in der Schule nur die Rolle als Außenseiter gemeinsam. Das neu entdeckte Hobby schweißt die beiden Jungen schließlich zusammen, bis der Zusammenhalt durch einen arroganten Austauschschüler aus Frankreich sogleich wieder auf die Probe gestellt wird. Nicht zuletzt ist das Filmen hier aber auch ein Akt des Widerstands. Denn Wills Mutter gehört einer medienfeindlichen Sekte an.

Filmstill aus Son of Rambow
"Son of Rambow" (c) Senator

Unverständnis erntet auch Joe in „Super 8“ (J.J. Abrams, 2011). Sein Vater hält nicht viel davon, dass Joe mit seinen Freunden irgendwelche Zombiegeschichten dreht. Doch für Joe sind die Dreharbeiten nicht nur ein großer Spaß, sondern auch die perfekte Möglichkeit, seiner Flamme Alice näher zu kommen. Durch das Objektiv der Kamera darf er Alice beobachten, ganz nah an sie heranzoomen, sie aus nächster Nähe anschmachten – bis ein gewaltiges Zugunglück gleich neben dem Drehort die schöne Szene stört und aus der Coming-of-Age-Geschichte Science-Fiction-Horror und eine Hommage an die großen Spielberg-Filme der frühen 1980er-Jahre wird. Da wundert es nicht, dass auch in Steven Spielbergs eigener Quasi-Autobiografie „Die Fabelmans“ (2022) eine Zugentgleisung eine wichtige Rolle spielt. So begeistert ist der junge Sammy, Spielbergs Alter Ego, von dem Zug-Crash in „Die größte Schau der Welt“ (1952), dass er die Kollision eines Autos mit einem Zug nach dem Kinobesuch zu Hause mit einer unerhört teuren Modelleisenbahn nachstellen und filmen will. Aber im Kern erzählt „Die Fabelmans“ doch nicht nur von einer Filmemacher-Karriere. Denn durch die Linse von Sammys Kamera kommt nebenbei noch eine ganz andere Wahrheit ans Licht, die den Erwachsenen im Alltag verborgen bleibt. Seine Filme zeigen, wie er die Eltern sieht, und schenkt manchen ihrer Blicke und Bewegungen eine Aufmerksamkeit, die im Alltag nicht da wäre.

Wie schön, wenn auch schon junge Filmemacher*innen dieses Erzählmuster verwenden und Erinnerungen an erste eigene Filmversuche eine neue Ebene hinzuzufügen! In „Ball of Terror“ (gezeigt beim Bundes.Festival.Film. 2024) etwa erzählt der 18-jährige Regisseur Moritz Wohlleben über eine Gruppe von Kindern, die auf einem Feld eine Filmszene drehen wollen. Bilbo, der junge Regisseur im Film, ist besessen von seiner Idee und weiß genau, was er will. Er schreit auf seine Schauspieler ein, wird dabei persönlich, nur um das zu bekommen, was er sehen will. Und ganz nebenbei, in wenigen Worten, offenbart sich ein Drama von häuslicher Gewalt. Wenn Paul vor Bilbos Kamera auf den Ball einprügelt, dann spiegelt sich darin, was er selbst zu Hause erlebt hat. Als die Szene zur Zufriedenheit von Bilbo im Kasten ist, geht es längst nicht mehr um den Film und fraglich ist auch, was eigentlich von der Freundschaft geblieben ist.

Filmstill aus Die Mitchells gegen die Maschinen
"Die Mitchells gegen die Maschinen" (c) Sony, Netflix

Filme als Beziehungskiller und Beziehungsretter

Ein Erzählmuster, das viele Filme über junge Filmemacher*innen eint, betrifft auch die Beziehung zwischen Eltern und Kindern. In „Die Fabelmans“ ist das Filme-Hobby des Sohns für den Vater eine unzugängliche Welt. Es ist ein Freund des Vaters, der Sammy schließlich unterstützt. Ganz ähnlich sieht es in „Die Mitchells gegen die Maschinen“ (Mike Rianda, 2021) aus, in dem die junge Katie Mitchell zuhause allerlei aberwitzige Filme dreht und von einem Filmstudium in Kalifornien träumt. Auch hier ist die Filmbegeisterung Ursache für einen Vater-Tochter-Konflikts. Früher einmal waren Katie und ihr Vater ein Herz und eine Seele. Dass der Vater nun überhaupt keinen Sinn für das Talent seiner Tochter hat, wiegt daher umso schwerer; es braucht einen langen Roadtrip, eine durchgeknallte KI und ziemlich viel Action, um das Verhältnis wieder zu kitten. Doch entscheidend ist, wie das Medium in diesen Filmen immer wieder als Hindernis eingesetzt wird. Für die jungen Menschen wird es zum Mittel, sich selbst zu behaupten und für das einzustehen, was ihnen wichtig ist – ob das den Eltern nun gefällt oder nicht.

Da ist es geradezu erleichternd, wenn ein Film auch einmal den anderen Weg wählt und die Eigenproduktion vom Beziehungskiller zum Beziehungsretter wird. In „Maya, donne moi un titre“ (2024) dokumentiert Michel Gondry, wie er durch ein Hin- und Herwerfen von Ideen über eine große Distanz den Kontakt zu seiner weit entfernt lebenden Tochter aufrecht erhalten hat. Gondrys Tochter Maya liefert Titel und Filmidee, der Papa bastelt aus Tonpapier Figuren und Hintergründe und erweckt sie als Legetrick zum Leben.

Filmstill aus Binti
"Binti" (c) Barnsteiner

Jenseits der Film-Bubble

Stand für Wills und Lee Carters Film „Rambo“ Pate und für Sammy „Die größte Schau der Welt“ (1952) von Cecil B. DeMille, so sind auch Greg und Earl in „Ich & Earl & das Mädchen“ geprägt von ihrer Filmleidenschaft. Mit selbst gedrehten Parodien wie „A Sockwork Orange“ oder „The 400 Bros“ zollen sie den von ihnen heiß geliebten Filmklassikern Tribut (und in keinem anderen Film bislang wurden die Prestige-DVDs der Criterion Collection so prominent im Szenenbild ausgestellt wie hier). Mit der Leichtigkeit in diesem Frühling ist es jedoch vorbei, als Greg von seiner Mutter gebeten wird, sich ein wenig mit Rachel zu beschäftigen. Rachel hat gerade eine Krebsdiagnose erhalten, es ist absehbar, dass sie sterben wird. Über Rachel lernt Greg, sich dem Leben zu öffnen. Und auch seine Filme-Bubble platzt. Wenn er am Ende für Rachel einen Film dreht, dann ist dieser viel reifer und viel persönlicher als all seine Filme zuvor. Sie sind mehr als nur ein Gag, sie sind ein Mittel, um sich auszudrücken und um anderen etwas mitzuteilen. Haben ihn die Filme bislang vom echten Leben ferngehalten, führen sie ihn nun dorthin.

Das verbindet Greg mit Lawrence aus „I Like Movies“, der – ebenfalls – am liebsten mit seinem besten Freund Parodien dreht und nicht merkt, wie sehr er sich von seinen Mitmenschen entfernt, je mehr er in seiner Filmbegeisterung aufgeht. Durch seine Egozentrik schießt er sich ins Aus, was auch der Nebenjob in einer Videothek nicht besser macht. Bis er durch die Geschäftsführerin einen anderen Blick auf das Filmgeschäft werfen kann und erkennt, dass da noch etwas anders ist im Leben.

Dokumentieren, was wichtig ist

Von Anfang an ganz in der Wirklichkeit verortet wiederum sind die Filme, die Chris, Binti und Kayla drehen. Sie alle wollen nicht die künftigen Regiestars sein, sondern nutzen die technischen Möglichkeiten zum Selbstausdruck und zur Kommunikation. Prägnant fängt Sean Wang in „Didi“ (2024) die Zeit der frühen Nuller-Jahre ein, als YouTube seinen Siegeszug antritt und das Web 2.0 verspricht, nicht nur Konsument*in und Empfänger*in, sondern auch Produzent*in und Sender*in sein zu können. Der 13-jährige Chris ist eigentlich unscheinbar; als er beginnt, Skatevideos zu drehen, steigt sein Ansehen. Etwa zehn Jahre später nutzt die zwölfjährige Protagonistin in „Binti“ (Frederike Migom, 2019) ihr Smartphone, um lustige Clips über ihr Leben zu drehen oder sich für die Rettung von Okapis einzusetzen, während Kayla in „Eighth Grade“ (Bo Burnham, 2018) mit YouTube-Clips eine Selbstsicherheit vorspielt, die sie gar nicht hat. Die Filme feiern die Kreativität der jungen Filmemacher*innen und ihren Ideenreichtum, werfen aber zugleich auch einen kritischen Blick auf die Medienwelt. Neu dabei ist, wie sich die Qualität des Filmemachens verschoben hat. Die Filme sind Teil des Alltags geworden.

Filmstill aus Didi
"Didi" (c) Focus Features, Talking Fish Pictures, Universal

Die Kamera ist immer dabei

Auf die Spitze getrieben wird dies durch Filme im (gefakten) Found Footage-Stil, die eine radikale Subjektivität vortäuschen. Josh Trank etwa stellt in „Chronicle“ (2012) das Muster des Superheldenfilms gleich mehrfach auf den Kopf. Nachdem sie einen blau leuchtenden Kristall berührt haben, verfügen die drei Teenager Andrew, Steve und Matt plötzlich über telepathische Fähigkeiten – ein großer Spaß, bis sich die Sache mit der Verantwortung aufdrängt und alles aus dem Ruder läuft. Das subjektive Erleben der Teenager, die sich auf einmal besonders fühlen, macht der Film radikal formal sichtbar. Denn (fast) jedes Bild des Films stammt aus einer Kamera, mit der Andrew sein Leben aufzeichnen will. Geradezu dokumentarisch wirkt der Film dadurch – und lässt die übersinnlichen Kunststücke der jungen Männer noch außergewöhnlicher aussehen. In „Ab ans Meer“ von Jirí Mádl (2014) wiederum hält der elfjährige Tomáš, der später einmal in die Fußstapfen seines Idols Miloš Forman treten will, seinen ganzen Alltag filmisch fest. Konsequent zeigt auch dieser Film nur Tomáš’ Blick auf die Welt und dabei vor allem: welchen Bildausschnitt er wählt und welche Perspektive, was ihm wichtig ist und was nicht. Dabei wird die Kamera ebenso zum Spielzeug wie zum Überwachungsinstrument, wenn Tomáš etwa seine Eltern heimlich beim Sex filmt oder versucht, die geheimnisvollen Ausflüge seines Vaters aufzuklären. So wird der selbst gedrehte Film auch zu einer Art audiovisuellem Tagebuch, das Etappen des Erwachsenwerdens festhält.

Mit Found Footage spielt auch Derik Rodrigues in seinem Film „Ananas.mp4“, der 2025 im Rahmen des Bundes.Festival.Film. gezeigt wird. Ein aberwitziger (inszenierter) Rückblick auf eine Beziehung, zusammengestellt aus drei Videoschnipseln, die irgendwann mal aufgenommen und abgespeichert wurden. Eine wunderbare Geschichte über ein Ananasglas als ziemlich unglücklichen Liebesbeweis, eine Jungs-Freundschaft, aber auch über Medien und Erinnerung. So läuft das heute: Die Kamera ist immer dabei. Ob die Dateien dann eines Tages auch wiedergefunden werden oder im digitalen Nirvana landen, ist allerdings eine andere Frage.

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