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Hintergrund | | von Christopher Diekhaus

Hilfe, ich mutiere!

Body Horror im Jugendfilm

Besonders fies ist in Horrorfilmen immer die Konfrontation mit der Verletzlichkeit des eigenen Körpers – was dann auch gerne mal in Form von Verwandlungen auf die Spitze getrieben wird. Ein Erzählelement, dass es auch ins Jugend-Hororkino geschafft und dort eine besondere metaphorische Bedeutung hat. Schließlich ist die körperliche Veränderung der Jugendphase fest eingeschrieben. Ein Streifzug durch die Abgründe des Jugendfilms mit Geschichten über Transformationen, Selbstzweifel, Kontrollverlust, Begehren und manchmal auch einer Art Wiedergeburt.

Filmstill aus Animalia
"Animalia" (c) Studiocanal

Angst ist das zentrale Merkmal des Horrorkinos. Angst etwa vor Geistern, Monstern oder Serienkillern. Oft bricht das Grauen von außen in die Welt der Protagonist*innen ein. Genauso gut kann es aber auch direkt aus dem Inneren der Hauptfiguren kommen. Eben dies geschieht in vielen Vertretern des sogenannten Body Horrors, einem Subgenre, das Schrecken in (blutigen) körperlichen Veränderungen zu Tage treten lässt. Dass gerade Jugendfilme auf diese Spielart häufiger zurückgreifen, muss nicht verwundern. Ist die Zeit der Pubertät, der langsame Prozess des Erwachsenwerdens, doch konkret verbunden mit physischen Transformationen, die als bedrückend, gar unheimlich empfunden werden können.

Wie ein völlig neues Wesen

Anfang 2024 erschien mit „Animalia“ (Thomas Cailley, 2023) hierzulande ein Film, der Seuchenerzählung, Selbstfindung, Fantasy und Familiendrama auf spannende Weise kombiniert. Im Zentrum der Handlung: der Teenager Émile und eine nebulöse Krankheit, die Infizierte in wilde tierähnliche Kreaturen verwandelt. Ein Virus, das beunruhigende Mutationen hervorruft, schreit geradezu nach gruseligen Körperbildern. Dem Regisseur geht es jedoch keineswegs um plumpe Schockeffekte. Body Horror kommt hier zum Einsatz, um von einer aufwühlenden Identitätsreise zu erzählen und ganz allgemein hervorzuheben: Beim Übertritt in die Erwachsenenwelt fühlt man sich womöglich wie ein völlig neues Wesen.

Dass seine Mutter infiziert ist und er sie damit verloren hat, setzt Émile anfangs massiv zu. Als er selbst von der Krankheit erfasst wird, muss er lernen, sein baldiges animalisches Ich anzunehmen. Der Weg der Verwandlung – über erratischeres Verhalten, eine präsenter werdende Tonkulisse und einen stärkeren Zug in die Natur vermittelt – führt nicht nur zur Abnabelung von seinem Vater, der lange die Hoffnung auf eine gemeinsame Zukunft beschwört. In den Blick nimmt der Film auch die Frage, wie die Gesellschaft Außenseiter*innen behandelt. Vielerorts schlagen den als Monster bezeichneten Infizierten Hass und Gewalt entgegen. Eine aufkeimende Romanze zwischen Émile und einer unangepassten Mitschülerin bildet allerdings ein zartes positives Gegengewicht.

Ähnliche Überlegungen bestimmen das intim gefilmte Horrordrama „When Animals Dream“ (Jonas Alexander Arnby, 2014). Hier ist es die 16-jährige Marie, die merkwürdige Veränderungen – blutige Fingernägel, ungewöhnlicher Haarwuchs – an sich bemerkt und von der Gemeinschaft ihres Dorfes zunehmend angefeindet wird. Die gerade im Jugendalter besonders ausgeprägte Sorge vor Zurückweisung, vor Ausgrenzung klingt in diesem Szenario deutlich an. Ebenfalls reizvoll, was der Regisseur über Kontrolle und Kontrollverlust zu sagen hat. Marie erkennt nicht nur, dass sie zu einer Werwölfin mutiert. Nach und nach begreift sie auch, dass ihre Mutter bereits diesen Prozess durchgemacht hat und nun gewaltsam, mit Spritzen und im Rollstuhl, im Zaum gehalten wird. Bezeichnend für die Entwicklung der Hauptfigur ist die plötzlich hervorbrechende Lust auf Sex, ein weiterer Aspekt, der konkret auf die Erfahrungen der Pubertät verweist. Erfahrungen, die natürlich mit Ängsten verknüpft sein können.

Filmstill aus Blue my mind
"Blue My Mind" (c) Meteor

Lust und Leid

Schon die Stephen-King-Verfilmung „Carrie – Des Satans jüngste Tochter“ (Brian De Palma, 1976) kreist um ein sexuelles Erwachen, dem große Verunsicherung anhaftet. Die Titelheldin ist eine schüchterne Teenagerin, die von ihrer wahnhaft religiösen Mutter nie aufgeklärt wurde. Die erste Blutung in der Mädchenumkleide beim Sportunterricht wird daher für sie zu einem regelrechten Body-Horror-Moment. Nicht wissend, warum ihr Körper so reagiert, gerät sie in Panik, was ihre Mitschülerinnen zu übelsten Demütigungen animiert.

Sich der Erwachsenenwelt zu nähern, heißt auch, den eigenen Körper und die eigenen sexuellen Sehnsüchte intensiver kennenzulernen. Furios bebildert dies der Schweizer Spielfilm „Blue My Mind“ (Lisa Brühlmann, 2017), der aus einer klassischen Grundkonstellation einen ambitionierten Selbstfindungstrip kreiert. Zunächst scheint sich die 15-jährige Mia nach einem Umzug mit typischen Teenagersorgen herumzuschlagen. Neue Stadt, neue Leute und nervige Eltern. All das kennt man zur Genüge. Was die Debütarbeit besonders macht, ist allerdings die schmerzhafte Erkenntnisreise der Hauptfigur, die sich ihrer Herkunft als Meereswesen langsam bewusst wird. Im Zuge ihrer Mutation freundet sie sich mit ihrer offenherzigen Klassenkameradin Gianna an und testet sich geradezu zwanghaft sexuell aus. Nicht zuletzt in der Hoffnung, ihre Identitätsverwirrung verdrängen zu können.

Unter Druck

Eine große Rolle spielt das Thema Sex auch im Psychothriller „Black Swan“ (Darren Aronofsky, 2010), der den Absturz einer labilen Balletttänzerin schildert. Ninas großes Ziel: in einer neuen „Schwanensee“-Aufführung die Doppelrolle des anmutigen weißen und des bösen schwarzen Schwans zu ergattern. Für den zweiten Part soll sie ihre gefährliche, verführerische Seite hervorkitzeln, sich fallen lassen, ihre kontrollierte Haltung aufgeben. Besonderes Augenmerk legt Aronofsky auf den Erwartungsdruck, der jungen Menschen in der Findungsphase ihres Lebens zusetzen kann. Nina selbst ist superehrgeizig, will sich etwas beweisen. Daneben gibt es ihre Mutter, ebenfalls eine frühere Ballerina, die sich für ihre Tochter den Erfolg wünscht, den sie selbst nie hatte. Wie ein Kind geht sie mit Nina um, die eigentlich viel zu alt für ihr pinkfarbenes Mädchenzimmer ist. Als weitere destruktive Kraft entpuppt sich der übergriffige Tanzdirektor, der die die Protagonistin aggressiv anspornt, ihre Lust zu erforschen. Body Horror beschreibt in diesem Fall auf expressive Weise, wie sehr sich Nina in ihrer Rolle verliert. Transformationen finden nicht tatsächlich statt, sondern spielen sich nur in ihrem Kopf ab. Ein Ausschlag am Rücken, der auf einen Hang zur Selbstverletzung hindeutet, wird in Ninas Wahrnehmung immer gravierender, bis ihr im letzten Akt schwarze Flügel wachsen. Die Verwandlung in den dunklen Schwan, auf die sie so hingearbeitet hat, ist damit abgeschlossen und die Grenze der seelischen Belastung erreicht.

Filmstill aus Hatching
"Hatching" (c) Capelight Pictures

Interessante Parallelen zu „Black Swan“ weist der finnische Horrorbeitrag „Hatching“ (Hanna Bergholm, 2022) auf. Mit der zwölfjährigen Tinja, einer Turnerin, haben wir auch hier eine junge Sportlerin, die unter großem Druck steht. Ihre Mutter, ein Ex-Eiskunstläuferin, ist sogar noch ein ganzes Stück toxischer als das Pendant bei Aronofsky, da sie ständig drängt, mehr zu trainieren, und den angeblich vorhandenen Babyspeck ihrer Tochter unverhohlen kritisiert. Überdies nutzt sie als Bloggerin jede Gelegenheit, um den keineswegs störungsfreien Familienalltag als pastellfarbene heile Welt zu inszenieren. Wie viele junge Menschen schaut Tinja zu ihrer Mama auf, möchte sie glücklich machen. Gleichzeitig erzeugt die eingeforderte Perfektion aber auch enormes Unbehagen. Während „Black Swan“ den Stress der Hauptfigur in eine mit Horrorbildern gespickte Psychose überführt, wählt „Hatching“ einen anderen Weg. Tinjas Verunsicherung, ihre Verzweiflung und ihre unterdrückte Wut manifestieren sich in einem zunächst vogelähnlichen Wesen, das aus einem im Wald gefundenen Ei entschlüpft. Mit diesem Geschöpf, das die Zwölfjährige quasi ausbrütet, ist sie von Anfang an körperlich und geistig aufs Engste verbunden. Schmerzen, die die Kreatur empfindet, spürt auch Tinja. Und Dinge, die ihr Angst bereiten, versucht das „Monster“ auf drastische Weise aus der Welt zu schaffen. Der Unterschied zu Ninas Schicksal: Das Wesen ist keine Halluzination. Auch für Außenstehende existiert es und nimmt im Verwandlungsprozess irgendwann die Gestalt der Protagonistin an.

Mit dem Unbehagen umgehen

Geschichten wie diese über unheimliche körperliche Veränderungen führen in die Abgründe des Jugendfilms und bereichern das Angebot. Body Horror macht diffuse Ängste junger Menschen greifbar, verwandelt sie in etwas Handfestes, mit dem man sich konkret auseinandersetzen kann. In etwas, das hilft, das eigene Unbehagen besser zu verstehen und vielleicht sogar mit ihm umzugehen. Ganz grundsätzlich wollen viele dieser Filme zeigen, dass Unsicherheiten und physische Transformationen zum Aufwachsen dazugehören und man sich nicht für sie schämen muss.

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