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Hintergrund | | von Holger Twele

Hamster war gestern

Freundschaften mit wilden Tieren im Kinderfilm

Tierfreundschaftsfilme sind im Kinderfilmbereich ein beliebtes Subgenre. Doch die bekannten Tierarten wie Hunde, Hamster und Pferde bekommen zur Zeit mächtig Konkurrenz. Löwen, Pandas oder Wölfe werden stattdessen zu Vertrauten der Kinder. Die Filme spielen mit dem Reiz des Außergewöhnlichen – und betonen oft die Achtung der Natur.

Filmstill aus Mia und der weiße Löwe
"Mia und der weiße Löwe" (c) Studiocanal

Freundschaften mit Tieren hatten im Kinderfilm schon immer Konjunktur. Im Prinzip kann man da nichts falsch machen. Waren es bislang vor allem Hunde, Katzen, Hamster und Pferde, die eine zentrale Rolle spielten, sind es seit einigen Jahren zunehmend wilde und – aus westeuropäischer Sicht – exotische Tiere. Denn was als exotisch gilt, hängt schließlich stark vom jeweiligen Land und der Kultur ab. Löwen oder Kamele beispielsweise findet man in Deutschland eher im Zoo oder im Zirkus, in afrikanischen Ländern sieht das anders aus. Bis vor wenigen Jahren galten Wölfe in Deutschland als ausgerottet und waren entsprechend außergewöhnlich – im Unterschied zu Osteuropa oder Skandinavien. Angesichts der derzeitigen Häufung von Kinderfreundschaften mit nicht-heimischen und exotischen Tieren im Realfilm stellt sich die Frage: Sind Lassie oder Ostwind plötzlich nicht mehr attraktiv genug? Oder gibt es ganz andere Gründe dafür, warum unter anderem die Filme von Gilles de Maistre das aktuelle Kinoangebot so stark verändert haben?

Ein bisschen Sensation

Abenteuer in der freien Natur, in klassischen Stadtlandschaften, auf dem Bauernhof und selbst in der Wohnung lassen sich auch mit den gängigen Haustieren erleben. Daran wird sich auch in Zukunft nichts ändern. Ganz anders sieht es aus, wenn die Tiere in freier Wildbahn leben, oft sehr scheu sind und den Kontakt mit Menschen eher meiden oder ihm als Raubtier zur Gefahr werden können. Wenn sich Kinder mit solchen Tieren anfreunden, ist das eine kleine Sensation, die sich auf der Leinwand im Zusammenspiel mit der Natur zudem in großartigen Bildern vermitteln lässt. Der ökonomische Aspekt von der Herstellung bis zur Auswertung spielt dabei eine wesentliche Rolle. Solche Filme sind häufig etwas teurer. Sie spielen in schwer zugänglichen Landschaften, was die Produktionskosten in die Höhe treibt. Bei wilden oder wild lebenden Tieren müssen sich die menschlichen Darsteller*innen erst an die Tiere gewöhnen und umgekehrt, letztere möglichst schon kurz nach der Geburt. Das bedingt eine lange Vorbereitungs- und Produktionszeit und ein hohes Risiko für einen Kinder- und Familienfilm. Eine solche Investition muss sich an der Kinokasse bezahlt machen, wobei das Exotische und der Sensationsaspekt fast schon unabdingbar sind und zugleich die angesprochenen Zielgruppen deutlich erweitern. In den letzten Jahren sind Artenschutz und Umweltzerstörung stärker ins öffentliche Bewusstsein gedrungen. In einer Wechselwirkung machen sich die Filme mit exotischen und wilden Tieren diese Thematik zunutze und wirken umgekehrt darauf ein, auf diese Probleme weltweit aufmerksam zu machen. Im Unterschied zu den Haustieren sind diese Tiere in ihrer Existenz oft gefährdet oder gar vom Aussterben bedroht.

Gegen die Erwachsenen, für die Jungtiere

Das narrative Grundmuster von Freundschaftsfilmen mit wilden Tieren unterscheidet sich zumindest in Teilen von anderen Tierfreundschaftsfilmen, wie bereits in „Amy und die Wildgänse“ (Carroll Ballard, 1996) zu erkennen ist. Schon hier vermischen sich der Reiz des Neuen und Unbekannten mit einem Schuss Rebellion und Ungehorsam. Denn was Amy vorhat, entspricht in keiner Weise den Vorstellungen der Erwachsenen. Ein tragisches Ereignis, der Verlust eines geliebten Menschen oder ein handfester Familienkonflikt bilden die narrative Grundlage dieses Films (und fast aller anderen einschlägigen Filme). Amy hat ihre Mutter verloren. Sie entdeckt in einer durch Bulldozer zerstörten Naturlandschaft ein verwaistes Vogelnest, nimmt die Eier mit nach Hause und wird nach dem Schlüpfen der Küken zur prägenden Gänsemutter. Um ihre Schützlinge allerdings zum Überwintern in North Carolina zu bringen, bedarf es der Hilfe ihres Vaters. Dieser baut ein Leichtflugzeug, in dem Amy auf einem wahrhaft abenteuerlichen Flug die Wildgänse auf dem Flug ins Winterquartier begleitet. Mehr als 20 Jahre später hat Nicolas Vanier in „Der Junge und die Wildgänse“ (2019) den Stoff übrigens neu verfilmt, diesmal allerdings in Europa und mit einem widerspenstigen Jungen als Hauptdarsteller.

Filmstill aus Amy und die Wildgänse
"Amy und die Wildgänse" (c) Columbia TriStar

Der erzählerische Fokus auf Jungtiere hat noch andere wichtige Vorteile. Diese sind zum Teil verletzt, haben ihre Eltern oder den Kontakt zu ihrer Familie verloren. Das mobilisiert den Schutzgedanken bei den Kindern und beim Publikum, entspricht zudem dem klassischen Kindchenschema. Spaß und Spiel mit den Tieren verbinden sich mit dem Kuschelfaktor und erleichtern die Identifikation zwischen Mensch und Tier. Wie die jungen menschlichen Protagonist*innen befinden sich auch die Tiere in der Phase des Erwachsenwerdens. Und das bringt typische Themen des Coming-of-Age zum Tragen, vor allem den mutigen Schritt hin zu eigenständigem Handeln und Selbstbehauptung mit einer gehörigen Portion Auflehnung gegen die Regeln der Erwachsenen.

Einige der genannten narrativen Elemente werden zum Glück variiert, etwa in „Kim und die Wölfe“ (Pedar Nordlund, 2003). Denn hier wird die zwölfjährige Kim bei einer missglückten Klettertour in den norwegischen Bergen zunächst einmal von einer Wölfin und ihrem Jungen gerettet, eine Umkehrung der eben beschriebenen Figurenkonstellation. Erst später wird Kim zur Retterin, als sie erfährt, dass Jäger die Wölfin töten wollen und sie Mittel und Wege finden muss, das zu verhindern.

Verbunden mit der Natur

Der Mensch ist Teil der Natur, selbst wenn das von denen vergessen oder verdrängt wird, die vor allem Geld damit verdienen wollen und sie ausbeuten. Das Verhältnis zur Natur in Industriestaaten ist generell sehr ambivalent, denn der Mensch hat sich längst von der Natur entfremdet und nicht selten werden unberührte Natur und die darin lebenden Tiere als Gefahr und Bedrohung erlebt. Sogenannte Naturvölker, viele Indigene und offenbar vor allem Kinder und junge Menschen haben dagegen ein noch eher ungebrochenes und positives Verhältnis zur Natur, was auch in den „Heidi“-Verfilmungen immer wieder zum Ausdruck kommt.

Das spart Konflikte allerdings nicht aus, wie der „Der Fuchs und das Mädchen“ (Luc Jacquet, 2007) zeigt. Ein Fuchs hält sich weitgehend von den Menschen fern. Das weckt die Neugier eines elfjährigen Mädchens, von dem man nicht einmal den Namen erfährt. Es versucht mit viel Geduld und einigen Tricks, das Vertrauen dieses Fuchses zu gewinnen. Das gelingt erst nach einem harten Winter, den der Fuchs unter bangem Hoffen des Mädchens übersteht. Märchenhaft angelegt, ist es vielleicht der ehrlichste Film über die Freundschaft zwischen Kindern und wildlebenden Tieren. Der Film widersetzt sich auf den ersten Blick dem narrativen Grundmuster der hier thematisierten Filme, betont aber gleichfalls den Respekt vor den wild lebenden Tieren und die notwendige Achtung der Natur. Zudem fokussiert er eindringlich auf die zentrale Frage, wie sich die Freundschaft zwischen Kind und Tier weiterentwickeln könnte. Gehört zur Freundschaft dazu, loslassen zu können und die Tiere in ihrer Freiheit zu belassen? Was ist die beste Lösung und für wen? Eine Frage, die in den Filmen häufig gestellt, aber sehr unterschiedlich beantwortet wird. Jacquets Film zeigt auch die Grenzen solcher Freundschaften auf, zumal wenn sie von besitzergreifender Zuneigung geprägt sind.

Filmstill aus Der Fuchs und das Mädchen
"Der Fuchs und das Mädchen" (c) Studiocanal

Imaginäre wilde Tiere

Ein Sonderfall sind Filme, in denen die wilden Tiere eine Wesensverwandtschaft mit den menschlichen Protagonist*innen aufweisen oder einer für alle sichtbaren realen Grundlage entbehren. Gemeint sind keine bloßen Fantasiegeschöpfe, sondern zum Beispiel Totemtiere oder Tiere, die auf imaginäre Weise mit Verstorbenen und Ahnen in Verbindung stehen. Sie beruhen auf einem animistischen Weltbild, das vor allem für Kinder einen besonderen Reiz ausübt, gerade wenn sie zwischen Realität und Fiktion noch nicht eindeutig unterscheiden können, sich von der Magie und dem Übernatürlichen emotional besonders angezogen fühlen oder kulturell mit spirituellen Weltbildern aufwachsen. Alles ist möglich! Hinzu kommt, dass auch wilde und exotische Tiere identitätsstiftend sind und zur Identifikation einladen.

In „Shana – Das Wolfsmädchen“ (Nino Jacusso, 2014) kann die zwölfjährige indigene Shana den Tod ihrer Mutter nicht überwinden, bis sie einem Wolf in den Wald folgt, der sie zu den Geistern ihrer Ahnen führt. Und in „Mein Totemtier und ich“ (Sander Burger, 2022) soll die auf einem Schiff nach Rotterdam geborene Anna, deren Eltern aus dem Senegal stammen, mit ihrer Mutter und dem kleinen Bruder als illegale Einwanderer*innen abgeschoben werden. Durch einen Zufall ist Anna gerade nicht zuhause, als die Polizist*innen auftauchen. Zusammen mit ihrem Freund macht sie sich auf die Suche nach dem Vater, wobei ihr ein riesiges imaginäres Stachelschwein folgt, das sich als Helfer und als Annas Totemtier erweist.

Dass solche ungewöhnlichen Figurenkonstellationen dank ihrer magischen Elemente durchaus den Geschmack des Publikums treffen, beweist nicht zuletzt der anhaltende Erfolg der Filmreihe „Die Schule der magischen Tiere“ (seit 2020), wobei hier der Gedanke der eingeschworenen Gemeinschaft in einer Peer Group hinzukommt, der bei den anderen Filmen fehlt, in denen fast immer Einzelgänger*innen im Mittelpunkt stehen.

Filmstill aus Shana - Das Wolfsmädchen
"Shana - Das Wolfsmädchen" (c) One Filmverleih

Artenschutz und Ökologie – Die Filme von Gilles de Maistre

Wie kein anderer hat der französische Regisseur, Autor und Produzent Gilles de Maistre in seinen Tierfreundschaftsfilmen den Artenschutz als zentrale Botschaft verankert. Bereits zuvor hatte er in Dutzenden von Dokumentarfilmen das Schicksal von Kindern auf der ganzen Welt in den Mittelpunkt gestellt, deren Kindheit auf vielfältige Weise zerstört wurde, etwa indem sie Kindersoldaten wurden, auf die schiefe Bahn und ins Gefängnis gerieten, gehörig gemacht oder auch überbeschützt wurden. Wegweisend ist hier sein Dokumentarfilm „Morgen gehört uns“ (2019), in dem er Kinder zeigt, die überall auf der Welt für eine bessere Zukunft kämpfen. Zunehmend bettete er seine fiktionalen Filmstoffe in die vorgefundene Realität ein, was auch für seine Tierfilme gilt.

In „Mia und der weiße Löwe“ (2018) zieht die zehnjährige Mia von London nach Südafrika, wo ihre Eltern eine Löwenzucht betreiben. Ihr ablehnende Haltung gegenüber dem Ortswechsel ändert sich, als ihr das weiße Löwenbaby Charlie anvertraut wird. Drei Jahre später ist das Raubtier erwachsenen geworden, doch Mia möchte immer noch mit ihm spielen. Da die Eltern um das Leben ihrer Tochter besorgt sind, wollen sie das Tier verkaufen. Mia sieht keinen anderen Ausweg, als mit Charlie in ein fernes Schutzreservat zu fliehen, wo er unbesorgt in freier Wildbahn leben kann.

Eine andere Perspektive, die näher an den Tieren selbst ist, nimmt „Der Wolf und der Löwe“ (2021) ein. Hier wachsen auf einer abgelegenen Insel in Kanada ein Wolfswelpe und ein junger Löwe bei der verwaisten Musikstudentin Alma auf, bis sie von einem Ranger verschleppt werden. In Parallelmontage erzählt der Film, wie sich Alma auf die Suche nach den beiden Tieren macht, während diese unabhängig voneinander und selbstständig ihren Weg nach Hause suchen. So macht der Film aufmerksam für die Verantwortung des Menschen für die Natur und das Wohl von Tieren, das sicher nicht darin liegen kann, als bloße Attraktion zu enden.

Noch konsequenter bezieht „Ella und der schwarze Jaguar“ (2024) Stellung für den Schutz von Tieren und gegen Umweltzerstörungen und Rodungen, die ihnen den natürlichen Lebensraum nehmen. Im Amazonasgebiet kommen noch Drogen-, Waffen- und Tierhandel dazu. Ella wuchs bis zu ihrem sechsten Lebensjahr mit ihren Eltern im Regenwald auf und freundet sich mit einem jungen weiblichen Jaguar an, den sie Hope nennt. Nachdem ihre Mutter, die sich als Tierschützerin engagiert, von Wilderern ermordet wird, zieht der Vater mit seiner Tochter nach New York. Als Ella mit 13 Jahren zufällig erfährt, dass Hope durch Wilderer und Profiteure in Lebensgefahr schwebt, macht sie sich auf den Weg in die alte Heimat, um das Tier zu retten. Eine tollpatschige Lehrerin, die von ihren eigenen Ängsten nahezu gelähmt ist, heftet sich an die Fersen von Ella, um sie zurückzuholen. Leider ist diese Mischung aus engagiertem Abenteuerfilm und Komödie nicht rundum gelungen. Die zahlreichen Running Gags sorgen zwar für Lacher, machen die Geschichte angesichts der realen Bedrohungen allerdings wenig glaubhaft.

Filmstill aus Moon, der Panda
"Moon, der Panda" (c) 2024 Mai Juin Productions, Gaumont, France 2 Cinéma; Foto: Cara Cao

Im neuesten Film von Gilles de Maistre „Moon, der Panda“ (2025) macht der zwölfjährige Tian bei einem nicht ganz freiwilligen Besuch bei seiner Großmutter in den Bambuswäldern von Sichuan die Bekanntschaft mit einem Panda-Baby. Es wird schnell zu seinem besten und einzigen Freund, obwohl es in China streng verboten ist, sich den Pandabären zu nähern. Als er erkennt, dass Moon, wie er das knuffige Tier nennt, durch zerstörten Lebensraum in Gefahr gerät, setzt er alles daran, um seinen Freund zu retten. Der Tag für Moon ist mit dem Kauen von Bambus, Spielen und Schlafen voll ausgefüllt, was seine begrenzten schauspielerischen Qualitäten entschuldigt. Immerhin gestattet der ganz auf Kuschelfaktor getrimmte Film zum Ende hin noch einen etwas tieferen Einblick in die Lebenswelt dieser chinesischen Bären.

Ob Gilles de Maistre sein bisheriges Erfolgsrezept mit Filmen über Kinderfreundschaften zu wilden Tieren fortsetzt, bleibt abzuwarten. Fest steht allerdings, dass Tierschutz und Ökologie aus ähnlich gelagerten Filmen heute nicht mehr wegzudenken sind. Vermutlich wird es daneben weiterhin Kinderfilme über Freundschaften und Abenteuer auch mit domestizierten Tieren geben, zumal wenn sie auf bewährten Romanvorlagen beruhen. Denn die Anknüpfungspunkte zum Lebensalltag von Kindern bleiben dort erhalten, was bei den Freundschaften mit wilden Tieren nur selten der Fall ist.

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