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Hintergrund | | von Holger Twele

Geschichten, die für Kinder wichtig sind

Christian Lo und seine Filme

Der Norweger Christian Lo ist ein ausgewiesener Kinderfilmregisseur. Beim Filmfestival „Schlingel“ hat er 2023 eine Masterclass gehalten und über seine Erfahrungen und seine Arbeitsweise erzählt.

Foto von Christian Lo
Der Regisseur Christian Lo im Rahmen einer Masterclass beim Filmfestival "Schlingel" 2023 (c) Holger Twele

Der norwegische Regisseur Christian Lo ist nach einem Filmstudium in Großbritannien, nach einigen Kurzfilmen und vier international vielfach ausgezeichneten Filmen für Kinder einer der profiliertesten Filmschaffenden in Europa, die sich speziell dem Kinderfilm widmen – mit zeitgenössischen Themen und immer auf Augenhöhe der Kinder. Er ist fest davon überzeugt, dass Kinderfilme die besten sind, „die man als Regisseur machen kann“. Worin liegt das Geheimnis seines Erfolgs? Ein kleiner Streifzug durch sein filmisches Oeuvre, verbunden mit seinen Ratschlägen, worauf man beim Drehen von Kinderfilmen besonders achten sollte.

„Geschichten sind wichtig für Kinder“

Christian Los Filme weisen von Anfang an eine klare Linie auf und sind unverwechselbar. Es sind ausnahmslos Geschichten aus dem wahren Leben, mit dreidimensionalen Charakteren, die Stärken und Schwächen haben, die sich den Herausforderungen des Lebens stellen müssen und am Ende Erfolg beziehungsweise etwas dazu gelernt haben. Seiner Ansicht nach sind Kinder auf der ganzen Welt gleich, wenn es um das Bedürfnis nach echten Emotionen geht – und doch einzigartig. Diese Diversität möchte er auf Augenhöhe, also ganz aus der Perspektive seiner jungen Protagonist*innen mit einer gehörigen Portion Humor vermitteln. Das ist bereits in seinem ersten Kurzfilm „Punktert“ (2002) zu spüren, einer bittersüßen Liebesgeschichte voller Hoffnung und mit anrührendem Happy End. Im Unterschied zu seinem coolen Klassenkameraden Petter ist Martin eher schüchtern, vor allem wenn es darum geht, seine Gefühle für seine Mitschülerin Anna zu zeigen. Als Martin von Petter erfährt, Anna wolle sich im Einkaufszentrum mit ihm treffen, blüht Martin förmlich auf. Stunde um Stunde wartet er sehnsuchtsvoll, wird von den vorbeieilenden Menschen kaum beachtet. Als die Geschäfte schließen, hat sich Anna immer noch nicht blicken lassen.

Kinder reiben sich an der Welt der Erwachsenen und ihren Regeln, sind dieser Welt aber nicht hilflos ausgeliefert. Das zeigt Los zweiter Kurzfilm „Iver“ (2004) über einen Jungen, der sich heimlich Zugang zu einem Hallenbad verschafft, dort aber in Konflikt mit dem Bademeister gerät. Der hat es auf ihn abgesehen und maßregelt ihn ständig mit seiner Pfeife. Nach dem Ende der Öffnungszeit begegnen sich die beiden erneut, doch diesmal sind die Rollen vertauscht.

Standfoto aus Thilda und die beste Band der Welt
"Thilda & die beste Band der Welt" (c) Farbfilm, Björn Bratberg

„Den Kinderfilm muss man ernst nehmen“

Dieser Satz gilt insbesondere für die angesprochenen Themen aus der Alltagsrealität der Kinder und für echte Aufgaben, Herausforderungen und Gefühle, wie das Langspielfilmdebüt von Christian Lo zeigt. „Rafiki – Beste Freunde“ (2009) handelt von drei neunjährigen Mädchen in einem abgeschiedenen Ort in Nordnorwegen, die in die gleiche Klasse gehen und beste Freundinnen sind. Mitten in den Weihnachtsvorbereitungen ist Naisha plötzlich verschwunden. Julie und Mette finden heraus, dass Naisha und ihre Mutter über Nacht zu Bekannten nach Oslo geflüchtet sind, weil ihnen die Abschiebung nach Afrika droht. Und ausgerechnet Julies Vater, der Dorfpolizist des Ortes, ist per Dienstvorschrift daran beteiligt. So nehmen Mette und Julie heimlich den Nachtzug nach Oslo, um ihrer Freundin zu helfen. Dafür allerdings müssen sie erst einige Politiker*innen aus der Regierung überzeugen – und das gelingt oft nicht einmal den Erwachsenen.

Als Kind wurde der Regisseur selbst von anderen geärgert. Nicht zuletzt diese Erfahrungen bewogen ihn zu seinem zweiten Spielfilm „Die harten Jungs“ (2013), einer Komödie über Außenseiter und Mobbing, die in Norwegen im Schulkino sehr populär war. Im Mittelpunkt steht der elfjährige Modulf, der sich als Superheld fühlt. Denn er wird täglich von seinen Mitschülern geärgert und fühlt sich auch noch wohl dabei. Dann nämlich würden die anderen ungeschoren davonkommen. Seine neue Mitschülerin Lise ist da ganz anderer Meinung. Sie mischt sich ein und wird schnell selbst zur Zielscheibe. Daher bleibt Modulf nichts anderes übrig, als seine Strategie noch einmal zu überdenken, denn er will Lise unbedingt retten.

Nach dem Erfolg dieser beiden Filme hatte Christian Lo freie Hand für weitere Geschichten, die seiner Ansicht nach wichtig für ein junges Publikum sind und unbedingt erzählt werden müssen. Und da er selbst Musiker ist und Bass spielt, kam er für „Thilda & die beste Band der Welt“ (2018) auf die Idee, eine ungleiche, bunt zusammengewürfelte Band im Alter zwischen neun und 18 Jahren heimlich von Oslo nach Tromsø in Nordnorwegen fahren zu lassen, wo sie an einem Musikwettbewerb teilnehmen wollen. Im Verlauf dieses Feel-Good-Roadmovies müssen sie sich ihren eigenen Lügen und Schwächen stellen, ihre Eitelkeiten und ihre Eifersucht überwinden, bis sie gegen viele Widerstände von Seiten der Erwachsenen und trotz der Verfolgung durch die Polizei die versöhnliche Erfahrung machen, was echte Freundschaft bedeutet. Die Story selbst ist ganz bewusst überzeichnet und wenig glaubwürdig, die Charaktere jedoch sind es umso mehr. Das ist auch daran zu erkennen, dass der Film Siebenjährige und 20-Jährige gleichermaßen angesprochen und ihnen Mut gemacht hat, ihre Lebensträume weiter zu verfolgen – in dieser Spannweite des Publikums eine absolute Rarität im Bereich des Kinderfilms.

Mit seinem jüngsten Film „Mini-Zlatan und der liebste Onkel der Welt“ (2022) ist Christian Lo ebenfalls ein kleines Wagnis eingegangen. Denn die achtjährige Ella ist nicht nur ein Fan des Fußballspielers Zlatan Ibrahimovic, sie hat es auch faustdick hinter den Ohren und kann ganz schön fies sein. Eigentlich hatte sie sich schon darauf gefreut, die Ferien mit ihrem Lieblingsonkel Tommy zu verbringen, der immer Zeit für sie hat und für jeden Spaß zu haben ist. Doch als plötzlich Steve aus Holland vor der Tür steht, hat Tommy nur noch Zeit und Augen für ihn. Ella setzt nun alles daran, um den ungeliebten Konkurrenten so schnell wie möglich wieder loszuwerden. Dass ihr Onkel schwul ist, wird im Film so beiläufig wie selbstverständlich erzählt. Im Mittelpunkt steht vielmehr Ella mit ihren ambivalenten Gefühlen, die erst lernen muss, dass ihr Onkel nicht nur für sie allein da ist und sie mit ihren üblen Streichen die Freundschaft zwischen Tommy und ihr, aber auch zu seinem Partner Steve aufs Spiel setzt. Ganz nebenbei ist die norwegisch-schwedische Produktion auch eine Hommage an Pippi Langstrumpf und die Filme aus den 1970er Jahren, denn Ellas Großmutter wird von Pippi-Darstellerin Inger Nilsson verkörpert.

Standfoto aus Mini-Zlatan und der liebste Onkel der Welt
"Mini-Zlatan und der liebste Onkel der Welt" (c) Filmfestival Schlingel

„Das Beste geben“ – Vor und hinter der Kamera!

Die Filme von Christian Lo weisen alle eine persönliche Handschrift aus und haben dem Kinderfilm in Themenstellung und Umsetzung gleichermaßen neue Impulse gegeben. Der Erfolg dieser Filme hat viel mit den Produktionsbedingungen und mit seiner Herangehensweise zu tun. An erster Stelle steht der ungebrochene Glaube daran, dass seine Filme wichtig für das junge Publikum sind und daher realisiert werden müssen. In die Vorbereitung fließt viel Zeit, insbesondere in die sorgfältige Suche nach den richtigen Darsteller*innen, egal ob jung oder erwachsen. Die Kinderdarsteller*innen sollen beim Drehen unbedingt Spaß haben und sich nicht als Stars fühlen oder als solche behandelt werden. Eine gute Atmosphäre, offene Kommunikation, große Diversität und vor allem gegenseitiges Vertrauen sind die Grundvoraussetzung für die Arbeit am Set. Lo improvisiert gerne, aber er probt auch mit den Kindern, damit sie sich in die jeweilige Situation gut einfühlen können. Verpönt sind dagegen zu viele Wiederholungen, die jede Echtheit im Keim ersticken. Und die Szenen werden zwar vorab genau durchgesprochen, aber das Script selbst bekommen die Kinder nie zu Gesicht. Seine für alle Beteiligten möglichst stressfreie Arbeitsweise liegt nicht zuletzt daran, dass in Norwegen für Kinder etwas längere Arbeitszeiten erlaubt sind, in Deutschland ist dagegen nach maximal drei Stunden täglich Schluss. Die größte Verantwortung liegt seiner Meinung nach daher als Regisseur auch nicht in einer punktgenauen Arbeitsweise mit der Stechuhr, sondern darin, Sicherheit für die Kinder zu schaffen, sein Bestes zu geben und geeignete Leute vor und hinter der Kamera zu suchen und zu finden.

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