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Hintergrund | | von Thomas Hartmann

Familie im Wandel

Wie Kinder- und Jugendfilme über Trennungskinder erzählen

Früher fielen Geschichten über Kinder aus Scheidungsfamilien in die Kategorie Problemfilm. Heute ist das glücklicherweise nicht mehr der Fall. Kinder- und Jugendfilme bilden vielfältige Familienformen als gegenwärtige Lebensrealitäten meist wertfrei ab. Was nicht bedeutet, dass nun keine Geschichten über den Schmerz einer Trennung aus Sicht der Kinder und Jugendlichen und das „Ankommen“ in den neuen Verhältnissen mehr erzählt werden sollen. Auch die sind wichtig – und vielleicht sogar hilfreich.

Filmstill aus Paternal Leave
"Paternal Leave" (c) 2024 Match Factory Productions, Wildside

Nach einem heftigen Streit mit ihrer Mutter reist die 15-jährige Leo auf eigene Faust von Deutschland an die Küste Norditaliens. Dort hofft sie, zum ersten Mal ihren leiblichen Vater treffen zu können. Leo hat dutzende Fragen an ihn, über Jahre gesammelt und in einem kleinen Notizbuch niedergeschrieben. Schnell zeigt sich jedoch, dass das erste Kennenlernen zwischen Vater und Tochter in Form eines sachlichen Interviews zum Scheitern verurteilt ist – dafür sind beide viel zu überfordert von der unerwarteten Begegnung in der winterlich-kühlen Tristesse eines vermeintlichen Sehnsuchtsortes. Schwankend zwischen Neugier, Hilflosigkeit, Wut und Zuneigung nähern sich Leo und ihr Vater erst auf Umwegen an.

Die deutsch-italienische Koproduktion „Paternal Leave“ (Alissa Jung, 2025) stellt das Schicksal eines Kindes getrennt lebender Eltern in den Mittelpunkt und findet eine aufrichtige Tonalität für den damit einhergehenden Schmerz – bei der Tochter, wie auch beim Vater. Der in vielen Momenten berührende Film zeigt die beiden auch im Kampf um Anerkennung für die eigene Position. Und er ist ein guter Anlass, einmal einen genaueren Blick auf die Darstellung von Trennung und Scheidung im Kinder- und Jugendfilm zu werfen.

Wie es nun mal so ist

Etwa 111.000 Minderjährige waren laut statistischem Bundesamt allein im Jahr 2024 in Deutschland von Scheidungen betroffen – und Trennungen unverheirateter Elternpaare sind in dieser Erhebung noch nicht einmal berücksichtigt. So ist es nicht verwunderlich, dass die Konstellation getrennter Eltern auch im deutschen Kinder- und Jugendfilm häufig vorzufinden ist – oft jedoch eher beiläufig.

Ob nun „Kannawoniwasein“ (Stefan Westerwelle, 2023), in dem sich ein zehnjähriger Junge aus Enttäuschung über beide Eltern mit einer Freundin auf den weiten Weg zum Meer macht, „Amelie rennt“ (Tobias Wiemann, 2017), in dem die auch auf sich selbst wütende, an Asthma erkrankte Titelheldin aus einer Reha-Klinik in Südtirol ausbüchst, oder „Lola auf der Erbse“ (Thomas Heinemann, 2014), in dem sich ein Mädchen mit einem geflüchteten Jungen anfreundet, dessen Familie von Abschiebung bedroht ist. All diese Filme verbindet der dramaturgische Ansatz, dass die Hauptfiguren mit getrennt lebenden Eltern aufwachsen. Die Geschichten sind mit Trennungs- und Patchwork-Konstellationen grundiert, verzichten aber bewusst darauf, sie ins Zentrum der Handlung zu rücken. Das müssen sie auch gar nicht tun, denn glücklicherweise ist das vermeintliche Problem längst zu einer gesellschaftlich weithin akzeptierten Norm geworden.

Anstatt die individuellen Probleme und Herausforderungen, denen sich die jungen Protagonist*innen stellen müssen, pauschal auf die gescheiterte Beziehung ihrer Eltern zurückzuführen, erlauben es sich die Filme, das Thema eher beiläufig einzuflechten, und tragen damit zur Normalisierung und Akzeptanz vielfältiger Familienentwürfe bei. Eine erzählerische Errungenschaft, die Ausdruck eines fortschrittlichen Zeitgeistes ist.

Filmstill aus Kannawoniwasein
Kannawoniwasein (c) Lieblingsfilm, SadOrigami, Foto: Jens Hauspurg

Ein filmisches Trauma und seine Folgen

Dass früher anders mit dem Thema umgegangen wurde, belegt exemplarisch die wohl prominenteste Vorlage für Filme über Trennungskinder: die Kästner-Verfilmung „Das doppelte Lottchen“ (Josef von Báky, 1950). Zwei sich sehr ähnlich sehende Mädchen treffen in dieser im Landheim aufeinander und begreifen schnell, dass sie Zwillinge sind, die als Kleinkinder auf ihre geschiedenen Elternteile verteilt wurden. Empört von dieser zufälligen Entdeckung beschließen die beiden Kinder, vor der Heimreise ihre Identitäten zu tauschen, um so den jeweils anderen Elternteil kennenlernen zu können. Ein Plot mit Potenzial, auch für traumatisierende Szenen. In einer Albtraumsequenz des Films wird die Trennung der Zwillinge ziemlich drastisch dargestellt, indem der Vater ihr gemeinsames Bett mit einer überdimensional großen Säge brutal zerteilt. „Der kleine Andreas erinnerte sich später genau an diese Szene, ganz, ganz genau: Wie da ein Kind zersägt wurde, in der Mitte entzwei. Denn das ist, schließlich, endlich und ganz eigentlich, der große Kunstgriff eines großen Autors: zu zeigen, wie die Seele eines Kindes zerrissen wird unter der Scheidung der Eltern.“ (1) So erinnert sich der Autor und Produzent Andreas Steinhöfel an die Szene.

Sein cineastisches Kindheitstrauma wusste Steinhöfel später aber offenbar in schöpferische Energie umzuwandeln. Aus seiner Feder stammt die dreiteilige „Rico und Oskar“-Kinderbuchreihe, verfilmt von Neele Leana Vollmar und Wolfgang Groos (2014 bis 2016). Doch anders als in „Das doppelte Lottchen“, wo sich die Eltern am Ende zusammenraufen und es auf sanftes Drängen ihrer Kinder nochmal als „intakte“ Familie probieren, kommt es im erzählerischen Universum von Steinhöfel nicht zum Happy End in Form einer unglaubwürdigen Versöhnung. Das ist auch gar nicht möglich, denn lange Zeit hält Rico seinen Vater für tot, ertrunken beim Angeln in Italien. Einfühlsam erklärt ihm seine Mutter im Verlauf der Geschichte, dass die Realität ein wenig von seiner Fantasie abweicht: „Manche Menschen sind so unglücklich, dass sie ihr Unglück ständig an andere weitergeben müssen – und da bin ich abgehauen“, gesteht sie ihrem Sohn am Ende des zweiten Teils. Rico könnte wütend darauf reagieren, doch stattdessen zeigt er sich verständnisvoll und voller Sorge um seine Mutter. Einer von vielen Momenten, der das liebevolle und sehr stabile Mutter-Kind-Verhältnis zeigt. Als Ricos Mutter und der neue Nachbar dann endlich auch ein Paar werden, ist sein Glück ohnehin vollkommen. Anstatt also die alleinerziehende Mutter als überfordert oder unglücklich darzustellen, wird hier formvollendet das Leben einer Patchwork-Familie gezeigt – als Nebenstrang und Hintergrund der Handlung, die im Kern von der wachsenden Freundschaft zwischen dem tiefbegabten Rico und dem hochbegabten Oskar erzählt.

Filmstill aus Rico, Oskar und die Tieferschatten
"Rico, Oskar und die Tieferschatten" (c) Twentieth Century Fox

Im modernen Kinder- und Jugendfilm wird die Trennung der Eltern also nicht mehr pauschal als Problem markiert. Das ist auch richtig so, denn nicht immer müssen solche Erfahrungen für Kinder traumatische Folgen haben. Oft gelingt es Eltern gut, ihre Kinder bei der Bewältigung einer Trennung emotional zu unterstützen und die Erziehungsarbeit verantwortungsvoll untereinander aufzuteilen. Und ebenso oft leben bei ihnen glückliche Kinder, die natürlich trotzdem Sorgen haben. Nur haben diese dann eben einen ganz anderen Ursprung.

Manchmal, wie zum Beispiel in Fällen von häuslicher Gewalt, kann eine Trennung für Kinder sogar wie eine Erlösung sein. So zu sehen in „Tschick“ (Fatih Akin, 2016) der Verfilmung des erfolgreichen Jugendromans von Wolfgang Herrndorf. Darin kümmert sich Maik liebevoll um seine alkoholkranke Mutter, während er gegen seinen aggressiv und gefühlskalt auftretenden Vater regelrechte Gewaltfantasien entwickelt. In einer frühen Szene streckt er seinen Vater und dessen Geliebte mit einer Pistole blutig nieder – freilich nur in Gedanken. Erst zum Ende des Films findet dann auch die toxische Beziehung zwischen seinen Eltern ein Ende. Und Maik ist darüber sichtlich erleichtert. Dazwischen – und darauf konzentriert sich die Geschichte – begibt er sich mit Andrej, genannt Tschick, auf einen abenteuerlichen Roadtrip durch die ostdeutsche Provinz. Es ist genau diese Erfahrung, die ihm dabei hilft, sich gegenüber dem gewalttätigen Vater zu emanzipieren.

Auch mal ausgelassen feiern

Wenn es sich ein Kinder- oder Jugendfilm dagegen zur Aufgabe macht, das Thema Trennung explizit zu thematisieren, dann sollte er dies mit der gebotenen Sorgfalt und viel Einfühlungsvermögen tun. Und es sich auch mal erlauben, moderne Familienkonstellationen ausgelassen zu feiern. Es gibt Kinderfilme, denen das auf eindrucksvolle Weise gelingt. „Rhababer Rhababer“ (Mark de Cloe, 2014) zum Beispiel beschreibt mit ebenso viel Ernsthaftigkeit wie Humor die Herausforderungen einer Patchwork-Familie – und zwar aus der Perspektive der Stiefgeschwister Siem und Winnie. Angetrieben von der Sorge, dass ihre trennungserfahrenen und dadurch leicht beziehungsgestörten Elternteile ein glückliches Miteinander verpassen könnten, verfilmen die Kinder mit viel Herzblut zehn Tipps für gute Beziehungen und nehmen das Schicksal ihrer neuen Kernfamilie damit selbst in die Hand. Doch die Dreharbeiten verlaufen natürlich nicht immer reibungslos. Es kommt zu Fehlern, es gibt Streit, Eifersüchteleien und schließlich auch Versöhnung zwischen den Kindern. So lernen Siem und Winnie mindestens genauso viel über die Liebe, wie es ihre jeweiligen Elternteile tun sollen.

Und wenn es doch mal wehtut

Wieder andere Filme trauen sich, behutsam auch die leidvollen Erfahrungen von Trennungskindern aufzugreifen. In „Karo und der liebe Gott“ (Danielle Proskar, 2006) fliegen die Eheprobleme der Eltern ausgerechnet am Tag von Karos Erstkommunion auf. Unter dem Einfluss dieses für sie so besonderen Tags sucht das achtjährige Mädchen Rat beim „lieben Gott“, den sie in einem leicht verwahrlosten alten Mann gefunden zu haben glaubt, der Tür an Tür zur neuen Wohnung ihrer Mutter lebt. Das mehr als ungleiche Duo gibt sich gegenseitig Halt, doch das erklärte Ziel, die Ehe der Eltern gemeinsam zu retten, scheitert. Trotzdem wächst Karo an der eigentümlichen Freundschaft zum „lieben Gott“ spürbar über sich hinaus und findet für sich eine Perspektive, die die Trennung der eigenen Eltern langsam integriert.

Die Kraft der Fantasie unterstützt Karo dabei, mit der neuen Situation umgehen zu können. Ein erzählerischer Kunstgriff, der bei einem derart aufwühlenden Thema gerade für jüngere Kinder anschlussfähig ist und der auch in dem kurzen Animationsfilm „Der Kleine und das Biest“ (Johannes Weiland/Uwe Heidschötter, 2009) zur Anwendung kommt. Darin verwandeln sich die Eltern, die sich kürzlich getrennt haben, in fast furchteinflößende, irgendwie aber auch liebenswerte Biester, mit denen der richtige Umgang erst einmal gelernt sein will. Diese geschickte metaphorische Umdeutung schafft eine verständliche Analogie zum für Kinder nur schwer verständlichen Gemütszustand frisch getrennter Eltern. Klar, dass sich Mama und Papa mit der Zeit auch wieder in ganz normale Menschen zurückverwandeln, die ihr Kind beide weiterhin lieb haben.

Filmstill aus Paternal Leave
"Paternal Leave" (c) 2024 Match Factory Productions, Wildside

Selbstverständlich sollte man jungen Zuschauer*innen aber auch den Blick auf die manchmal harte Realität zutrauen und zumuten. Dem niederländischen Dokumentarfilm „Ab dem Moment änderte sich alles“ (Eef Hilgers, 2021) gelingt das auf berührende Weise. Behutsam begleitet er acht Kinder zu ihren individuellen Erinnerungen an den Moment, in dem ihre Eltern ihnen verkündeten, dass sie sich trennen werden. In eindrucksvollen Bildern hält diese minimalistisch inszenierte Studioproduktion die Zeit an und betrachtet einen für Kinder lebensverändernden Augenblick wie durch ein Brennglas. Das ist oft schmerzhaft, immer zutiefst aufrichtig, vor allem aber sehr ermutigend. Zurück bleibt nämlich die Botschaft, dass das erdrückende Gefühl des Verlusts vorübergehen wird. Sicher nicht sofort, aber Schritt für Schritt. Der Moment der Trennung der eigenen Eltern, das verdeutlichen die Erzählungen der jungen Protagonist*innen, markiert nicht zwangsläufig das Ende eines bis dahin glücklichen Lebens, sondern die unfreiwillige Abzweigung hin zu einem neuen Lebensentwurf, der ebenso glücklich machen kann.

Es ist gut, dass es auch solche Filme gibt, denn sie können von Trennung betroffenen Kindern und Jugendlichen als Spiegel ihrer eigenen Lebenserfahrung dienen und zugleich als Fenster in neue Lebensentwürfe wirken. Dieses Potenzial löst sich allerdings nur dann ein, wenn Kinder auch dazu bereit sind, sich diesem Thema zu stellen. Oft aber – und das ist ihr gutes Recht – möchten sie damit erst mal in Ruhe gelassen werden. Akut betroffenen Kindern sollte es deshalb selbst überlassen sein, ob sie die Trennung ihrer Eltern unterstützt durch einen Film reflektieren möchten. Falls ja, dann bietet die eingangs erwähnte Produktion „Paternal Leave“ jetzt eine gute Gelegenheit dafür. Eltern dürfen sich von dieser Einladung übrigens ausdrücklich mit angesprochen fühlen. Der Alltag von Kindern und Erwachsenen vollzieht sich schließlich nie in getrennten Welten. Auch nicht im Kinder- und Jugendfilm.

 

(1) Steinhöfel, Andreas: „Kästners fliegendes Doppel – Lebenswirklichkeit und Weltverständnis: Wie ein kleiner Junge seinen ersten Spielfilm überlebte.“ In: Drachen reiten, Freunde finden, älter werden. Entdeckungen für junge Filmfans. (Koll, Horst-Peter, Hrsg), Schüren Verlag, Marburg, 2023

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