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Hintergrund | | von Hanna Reifgerst

Es könnte Filme für Kinder geben!

Als der FDK, damals noch Fonds Deutscher Kinderfilm, am 21. Oktober 1978 in Frankfurt am Main gegründet wurde, waren nur 13 Personen anwesend. Trotzdem trat man mit nichts weniger an als dem Wunsch nach einer Revolution.

„Schafft Filme für unsere Kinder!“

Zuvor hatte man in dem Manifest von 1977 „Schafft Filme für unsere Kinder“ festgehalten: „Unsere Kinder sehen täglich 3,2 Stunden fern: Vom Schaukelstuhl über den Vorabendkrimi und den Werbe-Western bis zur Abendshow. (…) Im Kino sehen unsere Kinder Walt Disney und die bunte Tierwelt, Pistolenhelden und Supermänner: Für Erwachsene gedreht, für Kinder und Jugendliche zugelassen. In der bundesdeutschen Filmproduktion gibt es Kinder vor allem als drollige Akteure, frühreife Schulmädchen und zugkräftige Werbeträger.“

Unterschrieben von 119 Filmschaffenden, Schriftsteller*innen, Wissenschaftler*innen und Pädagog*innen wie Alexander Kluge, Edgar Reitz oder Hark Bohm forderte man einen gemeinnützigen Fond mit der Aufgabe, losgelöst von „Gewinnaspekten des kommerziellen Marktes“ Förderkriterien zu sammeln und daraus Vertriebswege für Kinderfilme zu entwickeln, ausgestattet mit 20 Millionen DM, um als Start 20 Kinderfilme innerhalb von 3 Jahren zu verwirklichen, denn „der Kinderfilm ist eine kulturelle und soziale Aufgabe“.

Wurde der deutschen Filmlandschaft insgesamt eine Rettungsbedürftigkeit zugeschrieben, so galt dies insbesondere für den Kinder- und Jugendfilm. Die Nachkriegs-BRD bis Ende der 1950er-Jahre produzierte durchschnittlich 114 Filme pro Jahr, hauptsächlich Heimat- und Schnulzenfilme, aber davon auch jährlich acht Märchenfilme für Kinder und Familien. 1958 übernahm dann das Fernsehen mit zwei Millionen Apparat-Besitzer*innen die Rolle des Leitmediums, verknüpft mit einer Novellierung des Jugendschutzgesetzes, das ein generelles Filmverbot für Kinder unter sechs Jahren verhängte. Rettungsversuche wie die Auslobung des „Deutschen Kinder- und Jugendfilmpreises“, der 13 Jahre in Folge nicht vergeben und schließlich eingestellt wurde, oder die „Aktion Kuno“, eine Interessengemeinschaft von Filmverleiher*innen und dem Institut für Film und Bild in München scheiterten, bevor überhaupt eine eigenständige Filmlandschaft für das junge Publikum jenseits der Märchenfilme entstehen konnte. Der Kinderfilm der BRD stand jahrzehntelang ohne staatliche Förderung, ohne Lobby da.

Eine Lobby für den Kinderfilm entsteht

1977 war endlich ein Aufwind spürbar: Nach über 20 Jahren Diskussion und Planung, gründet das Bundesministerium für Jugend, Familie und Gesundheit auf Empfehlung der UNESCO das Kinder- und Jugendfilmzentrum als zentrale Stelle für Erfahrungs- und Materialaustausch. Doch im Austausch, zum Beispiel zwischen den Ministerien des Inneren, das zu der Zeit den Deutschen Filmpreis vergab, der Wirtschaft, das die Rechtshoheit über die FFA innehielt, und dem Ministerium für Jugend, Familie, Gesundheit, sowie auf Länderebene, deren Zuständigkeitsbereich die Kultur, also auch der Film war, spielte der Kinderfilm keine Rolle. Und hier setzte der neu gegründete Verein an.

Das geforderte Budget kam zwar nicht zustande, genauso wenig wie der Name, der schon bald auch aus juristischen Gründen in „Förderverein Deutscher Kinderfilm“ geändert wurde. Aber es hatte sich unter dem gewählten Vorstand, bestehend aus Hans Strobel, Walter Schobert und Dr. Jürgen Barthelmes, erstmalig eine sehr agile, unabhängige Gruppe zusammengefunden, die sich in gemeinnütziger Arbeit den Interessen der Kinder und Jugendlichen widmet, die bis dato keine Vertretung in der Medienbranche hatten.

Graswurzelarbeit

In der Aufbauarbeit des Vereins werden fortan insbesondere Informationen zusammengetragen – aus dem Ausland, von den Fernsehanstalten – und Vorschläge erarbeitet, wie im bestehenden Fördersystem beispielsweise über die Novellierung des Filmfördergesetzes der Kinderfilm besser verankert werden kann. Schon damals lag ein besonderer Fokus auf der Filmbildung. Das Lehren und Lernen durch Medien wurde durch konkrete Projekte gefördert, wie etwa die „Kinderfilmlandschaft Nordrhein-Westfalen“ (1982/83), bei der in zehn Kinos neue deutsche Kinderfilme vorgestellt wurden, den verleihübergreifenden Kinderfilmkatalog (1984 und 1988) oder den Videokatalog (1986) als Hilfe für Eltern, Pädagog*innen, Biblio- und Videotheken. Damit wurde noch ein weiterer Effekt erzielt: In endloser Graswurzelarbeit wurde der Kinderfilm nicht nur in der Fachöffentlichkeit und in Partnerorganisationen wie dem Kinder- und Jugendfilmzentrum oder dem Bundesverband Jugend und Film, sondern auch bei Institutionen und Verbänden jenseits der Filmbranche wie beispielsweise dem Kinderhilfswerk immer präsenter. Daraus resultierte auch der Entschluss aus dem Jahr 1986, dem Vorstand ein Kuratorium aus gesellschaftspolitisch relevanten Personen der Kultur, Politik und Medien zur Seite zu stellen.

Die Wende hat auch Folgen für den Kinderfilm

Der Mauerfall 1989 brachte auch für den bis dahin nur in der BRD aktiven Verein große Herausforderungen. Mit dem Zusammenbruch der DEFA stand der bislang so geschätzte Kinderfilm in der DDR vor dem Aus, von 20 Prozent aller Fernseh- und Kinofilme zum totalen Produktionsstopp. Doch nicht nur das: In der Mitgliederversammlung im Februar 1990 war das Deutsche Kinderfilm- und Fernsehfestival Goldener Spatz in Gera Thema, denn auch diese Erfolgsgeschichte der DDR drohte in der Wendezeit unterzugehen. „Es ist den damaligen Mitgliedern des Vorstands – Ellen Witzel, Gabriele Rosslenbroich und Thomas Draeger – gelungen, den entscheidenden Anstoß für die Rettung des ’Goldenen Spatz’ nach 1989 durch den Stiftungsgedanken, an der Gründung der Stiftung mitzuarbeiten und mit Elke Ried die Anregung für die erste Leitungspersonalie nach der Etablierung der Stiftung zu geben“, so Dr. Uwe Rosenbaum, damaliger Sprecher des Vorstands.

Ab 1993 betrieb der Förderverein sogar die Kinderjury des Goldenen Spatzen als eigenes Projekt - von der Auswahl der Kinder bis zur Betreuung während des Festivals, bis diese 1997 an die neu gegründete Deutsche Kinder-Medien-Stiftung übertragen wurde. Heute gehört die Jury mit Kindern aus allen Bundesländern sowie den deutschsprachigen Regionen im Ausland zu den Alleinstellungsmerkmalen des Goldenen Spatzen.

Feste Strukturen

War der Verein in den ersten Jahren aus personellen wie finanziellen Gründen noch wie ein Wanderpokal mit den jeweiligen Geschäftsführer*innen von München nach Köln, nach Duisburg, wieder nach München, nach Düsseldorf gewandert, wurde er 1998 erstmalig beim Goldenen Spatz in Thüringen sesshaft, wo bis heute die Geschäftsstelle angesiedelt ist.

Dominierende Themen in den 1990er-Jahren waren der Austausch mit europäischen Ländern in Kooperation mit der ECFA, der Aufbau einer Kinderfilm-Datenbank, die im gerade boomenden Internet mit Kinderfilm-Online.de öffentlich zugänglich gemacht wurde, sowie Drehbuchworkshops und Fachgespräche. Eine der größten Errungenschaften ist fraglos der Umbau des Kuratoriums junger deutscher Film als ständige Fördereinrichtung unter Einbindung der Länderförderer. Es ist auch Verdienst des Fördervereins, so Dr. Uwe Rosenbaum, dass das KjdF „bis heute als wichtige Anschubförderung für den Kinderfilm erhalten ist“.

Schon immer verstand sich der Verein darauf, in einer Vorreiterrolle Projekte anzuschieben. Das kollegiale Verhältnis mit den Förderpartner*innen sowie der nachhaltige Aufbau der Projekte des Fördervereins dürften hierbei zum Erfolg beigetragen haben. „Ob Drehbuchwerkstatt, Kinoschiff, Neuausrichtung des Kuratoriums junger deutscher Film, Starthilfe für den Goldenen Spatz (…), Kinderfilm-Online, Akademie für Kindermedien, Besonderer Kinderfilm oder Formate aus Thüringen: Mut, Innovation und Ausdauer kennzeichnen die Arbeit des Fördervereins Deutscher Kinderfilm e.V. für Qualität und Vielfalt“, sagt Margret Albers, die ab 2000 Sprecherin des Vorstandes war. Die nüchterne Feststellung „Es gibt zu wenig gute Kinderstoffe“ führte in diesem Jahr auf Initiative der Kommission Produktionsförderung C beim BKM eine Reihe von Partner*innen zusammen, um etwas dagegen zu tun. Autor*innen sollten motiviert werden, für Kinder zu schreiben, ein Fortbildungsangebot sollte sie dabei unterstützen und qualifizieren. In der Tradition der in den 1980er- und 1990er-Jahren durchgeführten Autor*innen-Workshops wurden unter der Studienleitung von Margret Albers und Thomas Hailer die Akademien zur Entwicklung von Kinderfilmstoffen ins Leben gerufen. Nunmehr im 19. Jahrgang, gehört die Akademie für Kindermedien zu den Grundpfeilern der kreativen Kinderfilmbranche.

Neue Initiativen für die Produktionsförderung

Als die jüngsten Projekte des Vereins, aber mit nicht weniger Prestige gelten „Formate aus Thüringen“ und „Der besondere Kinderfilm“. Mit diesen beiden Initiativen ist man dem ursprünglichen Ziel der tatsächlichen Produktion von Inhalten für Kinder und Jugendliche näher gekommen. Seit 2013 wurden fünf Kinderfilme und eine Serie für junge Erwachsene realisiert, weitere Stoffe sind in der Entwicklung und unmittelbaren Drehvorbereitung. Und auch außerhalb der Initiativen ist eine Wandlung spürbar: Waren vor fünf Jahren noch zehn bis zwölf deutsche Kinderfilme pro Jahr im Kino zu sehen, in der Regel Literaturverfilmungen, Fortsetzungen und Marken-Adaptionen, waren 2017 bereits 28 Produktionen unter den Top 100 der FFA. Mehr Filme bedeutet nicht nur, dass der Kinderfilm in Deutschland sich zu einem ökonomischen Faktor entwickelt hat; mehr Filme bedeutet auch mehr Vielfalt.

Aus ehemals 13 Mitgliedern sind 208 geworden, für die der Verein ein Dach für verschiedenste Engagements bildet – ob innerhalb der drei großen Projekte oder im Alumni-Netzwerk, bei monothematischen Treffen zur Aktualisierung der Referenz-Festivalliste oder der Novellierung der FSK-Freigaben. Es ist also nur logische Folge gewesen, dass sich der Verein zum 40. Geburtstag mit dem Kuratorium junger deutscher Film und weiteren Partner*innen zusammengetan hat, um die Konferenz „Zukunft Kinderfilm“ am 6. und 7. September in Weimar zu gestalten. Wo soll der Kinderfilm in fünf Jahren, also im Jahr 2023, stehen? Die letzten 40 Jahre des Fördervereins sind ohne Frage eine Erfolgsgeschichte, wenngleich noch viel zu tun ist: „Der Kinder- und Jugendfilm muss als Kulturgut begriffen werden, als ein gesellschaftlich-kulturelles Angebot, das denselben Stellenwert hat wie zum Beispiel Literatur, Musik, Theater. Auch im Film können die Bedürfnisse der Kinder, ihre Wünsche, Erwartungen und Tagträume ernst genommen und ihr Recht auf Teilhabe an allen in einer Gesellschaft materiell und kulturell zur Verfügung stehenden Gütern eingelöst werden.“ So wurde es bereits im Manifest aus dem Jahr 1977 gefordert.

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