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Hintergrund | | von Reinhard Kleber

Eine unglaubliche Begeisterungsfähigkeit

Die Lichtspiele Kalk in Köln

Nach dem Casablanca in Nürnberg stellen wir als zweites Kino in der Reihe mit vorbildlichen Kinderkinos die Lichtspiele Kalk in Köln vor. Das Ein-Saal-Kino im rechtsrheinischen Stadtgebiet hat sich mit einem ebenso vielfältigen wie ambitionierten Programm für Kinder und Jugendliche einen Namen gemacht und seit 2017 dafür etliche Auszeichnungen erhalten. Besondere Akzente setzen die innovationsfreudigen Kinomacher*innen mit Kino für die Kleinsten, Repertoire-Filmen, Filmfavoriten und anderen Spezialreihen. Doch auf welchen Wegen sprechen die Lichtspiele die Zielgruppe im Stadtviertel an? Wie finanzieren sie ihre Angebote? Wie stimmen sie die Programme für Erwachsene mit denen für Kinder ab?

Außenaufnahme des Kinos LIchtspiele Kalk
Ein Teil von Köln: Die Lichtspiele Kalk - Quelle: Lichtspiele Kalk

Die Lichtspiele Kalk sind das einzige Kino im rechtsrheinischen Teil Kölns. Das Kino wurde erst im November 2017 eröffnet und ist damit eines der jüngsten in der Stadt. Es hat auch sonst eine außergewöhnliche Vergangenheit. Denn es befindet sich im Haus des ehemaligen Union-Lichtspieltheaters, das 1948 die Türen öffnete und 1974 den Betrieb einstellte. Danach wurde das Gebäude anderweitig genutzt. Erst 2014 wurde das Innere im Zuge einer Projektentwicklung freigelegt und das vergessene Kino wiederentdeckt. Es war sogar nahezu in seinem ursprünglichen baulichen Zustand erhalten. So entschlossen sich Jennifer Schlieper und Felix Seifert, das Kino zu reaktivieren. Dafür war jedoch eine aufwändige Sanierung notwendig. So dauerte es noch vier Jahre, bis die neuen Lichtspiele Kalk mit moderner Technik eröffnen konnten. Das Stadtteilkino verfügt nur über einen Saal mit 95 Sitzen und ist barrierefrei.

Von Anfang an bieten die Lichtspiele neben einem ambitionierten Programm-Mix aus Mainstream, Arthouse, Specials und Retrospektiven für das erwachsene Publikum auch ein abwechslungsreiches Programm für Kinder und Jugendliche mit Filmperlen auch jenseits der Hollywood-Großproduktionen. Von dienstags bis freitags laufen dort meistens vier Filme und am Wochenende sechs. In den Schulferien wird werktags ein Kinderfilm gezeigt, am Samstag und Sonntag ein oder zwei Kinderfilme. In den Wochen mit Schulunterricht gibt es ebenfalls an jedem Samstag und Sonntag einen oder zwei Kinderfilme, manchmal auch noch einen am Freitag.

Der schönste Film meiner Kindheit

„Ein tägliches Angebot während der Schulzeit lohnt sich nicht“, sagt der Geschäftsführer Felix Seifert. „Wir haben das ausprobiert, aber das ist verlorene Liebesmüh. Die Kinder und Jugendlichen haben zu lange Unterricht bis in den Nachmittag hinein.“ Man müsse auch berücksichtigen, dass am Nachmittag die normale Programmschiene für die Erwachsenen beginnen müsse. Die könne man nicht einfach verschieben.

Als ein Problem für viele Kinos sieht Seifert die Abwanderung der älteren Jugendlichen. „Die Heranwachsenden zwischen 13 und 17 Jahren, teils auch darüber hinaus, sind für unsere Art, Kino zu machen, schwer zu erreichen. Für diese Altersgruppe ist das Filmangebot leider zu schmal, das können wir auch nicht auffangen. Aufgrund der eigenen Programmstruktur könne man keine Neustarts von Marvel-Filmen oder anderen Hollywood-Titeln anbieten. „Dann wären wir ein ganz anderes Kino.“ Es bleibe jedoch die Hoffnung, dass diese jungen Leute wiederkommen, wenn sie älter sind und sich dann erinnern: „Hey, in dem Kino war ich mal als Elfjähriger und habe den schönsten Film meiner Kindheit gesehen“, so der Kinochef.

Szenenfoto Königin von Niendorf
"Königin von Niendorf" (c) UCM.ONE

Filme aus allen Himmelsrichtungen

Im August 2025 hat sein Team das Kinder- und Jugendprogramm aufgefrischt und systematisiert, bestehende Angebote verstetigt und neue Programmschienen eingerichtet. Unter dem Titel „Kinder- & Jugendfilm-Favoriten!“ präsentiert es nun jeden Monat drei Vorstellungen mit Lieblingsfilmen. „Das sind beachtenswerte Kinder- und Jugendfilme aus den letzten zehn Jahren, die wir in unser Herz geschlossen haben“, betonen die Kinomacher*innen. „Wie das beim Publikum ankommt, wissen wir noch nicht“, so Seifert. Ganz erfreulich gestartet ist die Vorführung von „Die Königin von Niendorf“ (Joya Thome, 2017), da waren am Sonntag 16 Leute. Das klingt erstmal wenig, ist aber okay für einen so kleinen Film.“

Neu im Programm ist die Filmreihe „Studio Ghibli“. Einmal im Monat wird sonntags mittags ein Anime des berühmtesten japanischen Trickfilmstudios gezeigt. Als erste Ghibli-Titel laufen „Das Schloss im Himmel“ (Hayao Miyazaki, 1986), „Mein Nachbar Totoro“ (Hayao Miyazaki, 1988) und „Kikis kleiner Lieferservice“ (Hayao Miyazaki, 1989). An die neue Reihe hat Seifert große Erwartungen: „Wir wissen aus Erfahrung, dass die Studio Ghibli-Filme immer wieder einen hohen Zuspruch haben, die sind einfach sehr bekannt. Anime und Manga sind schon seit etwa 20 Jahren in Deutschland unter Kindern und Jugendlichen extrem populär. Das macht sich bemerkbar.“

Ebenfalls neu ist die Reihe „Märchen aus aller Welt“. Sie soll künftig jeden zweiten Monat sonntags um 13.30 Uhr stattfinden, wie Seifert betont. „Da wollen wir ein Stück weg von Produktionen aus den USA und Westeuropa und den Fokus auf internationales Kino richten. Märchenfilme lassen sich ja in so gut wie jedem Land finden.“ Bei den Recherchen für die neue Reihe habe er bereits großartige Beispiele gesehen: „Die fabelhafte Reise der Marona“ (Anca Damian, 2021), „Tony, Shelly und das magische Licht“ (Filip Pošivač, 2023), „Yuku und die Blume des Himalaya“ (Rémi Durin, Arnaud Demuynck, 2022). „Wir möchten aber auch schauen, was Asien, Afrika und Lateinamerika zu bieten hat.“

Schon länger gibt es die Filmreihe Cinemania Kids. Sie ging aus der Reihe Cinemania Kalk hervor, die außergewöhnliche Filme für Erwachsene zeigt, dazu gehören zeitgenössische Besonderheiten ebenso wie Filmklassiker. Ein zentrales Kriterium: „Der Film sollte älter als zehn Jahre sein, sonst wäre der Abstand zu gering zu unserer Favoriten-Reihe ’Lichtspiele’“, sagt Seifert. Bisher ging Cinemania Kids nur lose und unregelmäßig über die Bühne. „Ab August bieten wir das fest alle zwei Monate“, so Seifert. Zu sehen sind dann der Fantasyfilm „Momo“ von Johannes Schaaf aus dem Jahr 1986 (und zwar einen Monat vor dem Kinostart der Neuverfilmung), der erste lange Wallace & Gromit-Kinofilm „Auf der Jagd nach dem Riesenkaninchen“ (Nick Park, Steve Box, 2005), Jim Hensons „Die Reise ins Labyrinth“ (1986) mit David Bowie sowie der deutsche Kinderfilmklassiker „Nordsee ist Mordsee“ (1976) von Hark Bohm.

In den Lichtspielen Kalk kommen auch sehr junge Gäste auf ihre Kosten. „Wir zeigen in unserem Mini-Kinderkino gerne auch Langfilme, die für kleinere Kinder sind, zum Beispiel den aktuellen Animationsfilm ’Heidi – Die Legende vom Luchs’ (Toby Schwarz, Aizea Roca Berridi, 2025)“, erläutert der Kinomann.

Dazu gehören nicht zuletzt die Kurzfilmpakete des Luftkind Filmverleihs. Die sorgfältig ausgewählten Kurzfilme sind durchgängig ohne Altersbeschränkung freigegeben und werden sozusagen vorschulkindergerecht ohne vorherige Trailershow und mit gedimmtem Licht während der Vorstellung gezeigt. „Der Verleih bietet vier solcher Programme mit Animationsfilmen, die man schön im Wechsel spielen kann. Jedes Paket ist ja nur knapp 40 Minuten lang. Eine solche Spiellänge ist viel besser geeignet für junge Kinobesucher*innen als Filme mit 80 oder 90 Minuten“, erklärt Seifert.

Wie gut die Trickfilme beim jungen Publikum ankommen, hat er kürzlich bei einer Sonderveranstaltung mit vielen Kinoerstbesucher*innen erlebt. „Beim fünften und letzten Kurzfilm haben alle 80 Kids im Saal gestanden und geschrien. Die haben nicht mal gemerkt, dass sie stehen. Das würden Erwachsene niemals tun, egal wie gut ihnen der Film gefällt. Die Begeisterungsfähigkeit ist bei Kindern unglaublich.“

Szenenfoto aus Der Drachen
Aus dem Kurzfilmprogramm "Zusammen staunen": "Der Drachen" (c) Luftkind

Querfinanzierung durch populäre Filme

Und wie ist die Resonanz auf das Programmangebot für Kinder? Seifert bilanziert: „Je größer und bekannter ein Film ist, umso mehr Zuspruch erfährt er – analog zum Programm für Erwachsene – auch von Kindern und Jugendlichen.“ Man merke schon, dass die bekanntesten Filme bei den Heranwachsenden unter anderem Disney-Produktionen seien. Filme wie „Vaiana 2“ (David Derrick Jr., Jason Hand, Dana Ledoux Miller, 2024), „Lilo & Stitch“ (Dean Fleischer Camp, 2025), „Alles steht Kopf 2“ (Kelsey Mann, 2024) oder „Elio“ (Madaline Sharafian, Domee Shi, Adrian Molina, 2025) seien „nicht nur bei uns sehr gut besucht, sondern würden auch verstärkt nachgefragt“. Sobald die Plakate aufgehängt seien, können man sich darauf einstellen, dass wochenlang potenzielle Kunden vorbeikommen und danach fragen.

Man dürfe sich nicht beschweren, dass ein populärer Film eben auch der besser besuchte sei. „Die kleineren, weniger populären Filme spielen wir natürlich trotzdem. Die geringeren Einnahmen nimmt man dann in Kauf. Die Mindereinnahmen werden dadurch aufgefangen, dass andere Filme besser besucht sind.“ Außerdem sei man nie gefeit vor Überraschungen. „Da erscheinen zu einem kleinen unbekannten Film plötzlich viele Interessenten, während ein größer eingeschätzter Film stärker zusammengeklappt ist als erwartet.“

Erschwingliche Eintrittspreise

Das Stadtteilkino wartet mit einer breitgefächerten, gemäßigten Preisstaffel auf. Ein Ticket für Erwachsene kostet neun Euro, Menschen bis 25 Jahre sowie Schüler*innen und Studierende zahlen acht Euro, Inhaber des Köln-Passes sieben Euro. Mit dem Köln-Pass bekommen zum Beispiel Bürger*innen mit wenig Geld, Menschen mit Behinderung und Asylbewerber*innen Vergünstigungen bei Bus, Bahn, Bildung, Kultur und Sport. Ein Ticket für Kinder und Jugendliche kostet 4,50 Euro, mit Köln-Pass vier Euro. Begleitpersonen von Minderjährigen zahlen 6,50 Euro oder ermäßigt 5,50 Euro.

Weil kinoaffine Kinder ihre Eltern manchmal mit ins Kino „schleppen“, drücken die Kinomacher auch schon mal ein Auge zu. „Bei uns darf ein Kind auch drei Erwachsene als Begleitpersonen mitbringen, die eine Preisermäßigung bekommen“, sagt Seifert. Er hat beobachtet, dass zu den Kindervorstellungen viele Kinder ohne Eltern in den Lichtspielen erscheinen. „Die kommen allein, mit Geschwistern oder Freundinnen und Freunden, so dass sie dann zu zwei, dritt oder viert ins Kino gehen. Bei den bescheidenen Ticketpreisen ist dann hin und wieder noch Geld für eine Cola übrig.“ Hier macht sich bemerkbar, dass das Kino vor allem große und kleine Gäste aus dem Viertel anzieht. „Die kommen dann oft zu Fuß, wenn sie fußläufig wohnen, oder eben mit dem Fahrrad.“

Publikumsbindung vor allem mit gutem Programm

Eine Notwendigkeit für besondere Schritte zur Stärkung der Publikumsbindung sieht der Kinogeschäftsführer nicht. „Wie könnte man sie herstellen? Wir setzen vor allem auf ein gutes Programm, das eine hohe Varianz aufweist. Wir suchen gute Filme aus und haben recht viel Repertoire-Anteil. Das Concessions-Angebot ist breit, die Kinotechnik solide und der Saal ist zwar eher klein, aber sehr schön. Dieses Feedback kriegen wir ja auch von unseren Gästen.“

Um das wöchentliche Kinoprogramm bekannt zu machen, nutzen die Lichtspiele den Newsletter und die Homepage. Problematisch ist in den Augen von Seifert, dass die größte örtliche Tageszeitung keinen Filmspiegel mehr druckt. „Das ist sehr schade, denn wir kennen Kundinnen und Kunden, die keinen Internetzugang und damit echte Probleme haben, herauszufinden, welche Filme wir aktuell spielen.“

Filmstill aus Tony, Shelly und das magische Licht
"Tony, Shelly und das magische Licht" (c) eksystent

Immer wieder Programmprämien

Für viele Arthouse-Kinos spielen die Programmprämien von Filmfördereinrichtungen eine wichtige Rolle zur finanziellen Stabilisierung. So auch bei den Lichtspielen. Das Kölner Kino bekommt seit Jahren fast regelmäßig Auszeichnungen für gute Kinder- und Jugendprogramme von der Film- und Medienstiftung NRW, dem Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) und Europa Cinemas. Bei der genannten europäischen Einrichtung bilden die Lichtspiele einen Abspielverbund mit dem Zazie Kino in Halle (Saale). „Bei Europa Cinemas darf man einen Spielverbund gründen, wenn man als Kino allein nicht die Mindestzahlen bei den Zuschauenden erreicht“, erläutert Seifert.

Viele Kölner Kinder lernen die Lichtspiele auch durch die häufigen Schulkino-Vorführungen kennen. Im Schnitt finden dort 70 bis 80 Schulkino-Termine pro Jahr statt. Besonders turbulent wird es meist vor den Ferien. „Klassische Nachfragehöhepunkte sind die jeweils letzte Woche vor den Sommer- und den Weihnachtsferien, da haben wir beinahe täglich, manchmal sogar zwei Mal am Tag das Schulkino zu Gast“, berichtet Seifert. „Die Schulklassen schauen sich zum Ende des Schuljahres gerne etwas Unterhaltsames wie zum Beispiel ’Vaiana 2’ an. Manchmal haben die ausgewählten Filme aber auch einen Unterrichtsbezug, etwa bei ’Tschick’, falls das Buch in der Schule gelesen wird.“

Der Geschäftsführer hat festgestellt, dass vor allem drei, vier Schulen aus der Umgebung regelmäßig Klassen entsenden. Zu seiner Überraschung muss das Kino dafür nicht einmal aktiv werden. „Als die ersten Anfragen kamen, haben wir gedacht, wir müssen das bewerben und alle Schulen anschreiben. Aber dann haben wir gemerkt, das brauchen wir nicht, die Klassen kommen von selber.“ Offensichtlich funktioniere da die Mund-zu-Mund-Kommunikation.

Viele Gäste aus dem Ferienlager

Eine enge Verbindung haben die Kalker Lichtspiele zum HöVi-Land geknüpft. Die Abkürzung steht für die rechtsrheinischen Kölner Stadtteile Höhenberg und Vingst. Viele der dort lebenden etwa 25.000 Einwohner*innen haben ein unterdurchschnittliches Einkommen. Katholische und evangelische Kirchengemeinden organisieren seit 1994 in Vingst jeden Sommer für drei Wochen ein Feriencamp mit Zeltstadt, in dem bis zu 600 Kinder und Jugendliche aus finanziell benachteiligten Familien Urlaub machen können. Auf dem Freizeitprogramm steht dabei auch jeweils ein Kinobesuch zu günstigen Preisen. „Während die Veranstalterinnen und Veranstalter die Filme selbst aussuchen, übernehmen wir die Filmbestellung und Organisation. Die Teilnehmenden kommen dann nach Alter gestaffelt in Gruppen, die zwischen 50 und 75 Kinder stark sein können, an fünf oder sechs Terminen zu uns.“

Als Publikumsrenner haben sich auch die Kindergeburtstage erwiesen, die Geburtskinder im Kino feiern können. Seifert: „Wir decken dann einen Tisch mit einem Happy Birthday-Banner, stellen Geschirr und Dekoration bereit. Kuchen können die Gäste selbst mitbringen. Die Kinder schauen sich erst einen Film an und feiern dann eine Stunde bei uns im Foyer. Wir berechnen dafür Paketpreise mit deutlich günstigeren Preisen für Eintritt, Popcorn und Getränk. Für die Eltern ist das Ganze auch vorteilhaft, weil sie zu Hause nichts aufräumen müssen.“ Der Geschäftsführer schätzt, dass bis zu 30 Prozent der Besucher*innen des Kinder- und Jugendprogramms an Kindergeburtstagen teilnehmen. „Im Herbst, Winter, Frühling werden eigentlich fast jedes Wochenende ein oder zwei Geburtstage bei uns gefeiert.“

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