Hintergrund | | von Reinhard Kleber
Ein Kino zum Wohlfühlen
Vorbildliche Kinderkinos: Das Casablanca in Nürnberg
Landauf, landab gibt es in Deutschland Filmtheater, die herausragende Programme für Kinder und Jugendliche gestalten. Manche glänzen mit einer hochwertigen Filmauswahl für die junge Zielgruppe, andere bieten zusätzlich Mitmachaktionen oder medienpädagogische Aktivitäten an. Viele Kinos setzen auf aktuelle Titel, andere zeigen auch ältere Werke oder Filmklassiker. Doch wie finanzieren engagierte Kinderkinos ihre Angebote? Von wem werden sie gefördert? Und wie können sie eine Publikumsbindung aufbauen? In unserer neuen Reihe nehmen wir vorbildliche Kinderkinos unter die Lupe. Zum Auftakt: Das Casablanca in Nürnberg.
Das Casablanca Kino in der Nürnberger Südstadt, das über drei Säle mit 160 Sitzen verfügt, weist eine besondere Organisationsstruktur auf: 1976 in einer ehemaligen Druckerei gegründet, wurde das Programmkino 2009 von einer Gruppe von Kino-Enthusiast*innen saniert und neu eröffnet. Sie gründeten den gemeinnützigen Verein Casa e.V., der das Kino mit Unterstützung vieler Ehrenamtlicher trägt und inzwischen mehr als 1600 Mitglieder hat. Mit ihren Beiträgen bilden die Mitglieder das finanzielle Fundament des Kinos, während die Eintrittsgelder den Löwenanteil der Einnahmen ausmachen.
Damit finanziert das Casablanca ein ambitioniertes Programm: Neben einem Schulkino zeigt es Filme für Kinder, Erwachsene und Senior*innen und organisiert regelmäßig außergewöhnliche Filmreihen. Programmschwerpunkte sind unter anderem Filme in Originalfassung, Dokumentar- und Kurzfilme. Darüber hinaus leistet das Team wertvolle Kulturarbeit jenseits der bloßen Filmvorführung, bietet Konzerte, Lesungen, Diskussionen und Vorträge. Für das vorbildliche Programm zeichnete der FilmFernsehFonds Bayern das Casablanca 2023 mit dem Hauptpreis für das beste Kino im Freistaat aus.
Eltern müssen draußen bleiben
Das Kernstück des Kinderfilmangebots des Casablanca ist der 2013 gegründete CasaKidsClub. So heißt ein kostenloses Filmangebot für Kinder zwischen 6 und 13 Jahren. Die Mitglieder können zwei Mal im Monat am Samstag ab 13.30 Uhr gemeinsam einen ausgewählten Kinderfilm sehen. Der Clou dabei: Die Eltern müssen draußen bleiben. „Das finden die Kids ziemlich cool“, berichtet Christoph Forster, der im Casablanca das Kinderkinoprogramm koordiniert. Begleitet wird die Vorführung jeweils von einem Rahmenprogramm, das erfahrene Medienpädagog*innen gestalten.
Jeweils am Sonntag nach einem solchen KidsClub-Termin läuft der gleiche Film um 15 Uhr in einer Familienvorstellung ohne Begleitprogramm. Hier dürfen Eltern teilnehmen, müssen aber wie ihre Kinder Eintritt zahlen (sieben beziehungsweise fünf Euro).
Bei den Samstagsterminen ist die Zahl der teilnehmenden Kinder begrenzt, daher ist jeweils eine vorherige Anmeldung per E-Mail nötig. Wer sein Kind für den KidsClub anmelden möchte, muss nur online oder vor Ort den Anmeldebogen ausfüllen. Das Kind erhält dann einen Mitgliedsausweis, der auch als Eintrittskarte dient. Die Mitgliedschaft ist jederzeit kündbar, beinhaltet keine Verpflichtungen der Kinder oder Erziehungsberechtigten und endet automatisch mit dem 14. Geburtstag des Kindes.
Das Kino als besonderen Ort kennenlernen
„Kino mit Courage“ – das ist das Motto der Kinomacher*innen. Doch wie schlägt sich das in den Programmen für Kinder und Jugendliche nieder? „Das Tolle an unserem kostenlosen KidsClub ist, dass wir verschiedenste Kinder und Familien erreichen, unabhängig von ihrem Hintergrund“, sagt Forster. „Bei der Auswahl der Filme legen wir natürlich Wert darauf, dass die medienpädagogisch sinnvoll sind und dass die eine große Bandbreite von Themen abdecken und Werte wie Toleranz und Mitgefühl beinhalten, die wir den Kindern gerne mitgeben möchten.“ Generell sei in der Kinder- und Jugendkinobildung wichtig, den Kindern erstmal nahezubringen, dass Kino ein besonderer Ort ist und es eben Unterschiede zu Netflix gibt.
Großen Wert legt das Casablanca auch auf das Rahmenprogramm, wie Forster betont. „Wir zeigen den Kindern nicht nur einfach einen Film und dann gehen die wieder. Im KidsClub werden sie vielmehr eingebunden. Die medienpädagogischen Betreuer*innen sprechen vorher mit ihnen über das Plakat. Welche Erwartungen weckt das? Dann stellen sie einige Fragen, damit die Kinder während der Vorführung schon über die Antworten nachdenken können. Nach dem Film können sie dann das Gesehene vertiefen und über den Film nochmal reflektieren. Und die Betreuer*innen malen, basteln oder spielen mit den Kindern. Bei dem Film 'Der wilde Roboter' (Chris Sanders, 2024) haben die Kids zum Beispiel mit Malkreiden den Bürgersteig vor dem Kino verschönert und Baumwurzeln gemalt, um anschaulich zu machen, welche Wurzeln sie im Leben haben.“
Als gutes Beispiel für ein solches Rahmenprogramm führt Forster auch den Kinderfilm „Rosa und der Steintroll“ (Karla Nor Holmbäck, 2023) an. „Das drehte sich um das Thema Angst. Der Film richtete sich eher an die jüngere Zielgruppe, etwa ab sechs Jahren. Da haben wir über Fragen geredet wie: Vor was haben wir Angst? Wie können wir diese Angst bekämpfen? Dann hat jedes Kind sein Angstmonster gemalt. Besonders spannend war, dass auch die Betreuungskräfte mitgemacht haben und ebenfalls ihre Monster gezeichnet haben. Sie haben damit den Kindern gezeigt: Wir haben manchmal auch Angst, auch wenn wir älter sind als ihr.“

Kino auf Empfehlung
Im Casablanca findet das Kinderprogramm praktisch nur am Wochenende statt. Das hat einen einfachen Grund: Das Kino öffnet wegen begrenzter personeller Kapazitäten erst um 16.30 oder 17 Uhr. Damit lassen sich reguläre Nachmittagsvorführungen für Kinder nicht realisieren. „Wir haben intern schon diskutiert, die Öffnungszeiten in den Nachmittag auszuweiten, konnten uns aber nicht dazu durchringen“, sagt der Theaterleiter Matthias Damm. Wegen dieser zeitlichen Einschränkung bekomme das Casablanca Kinderfilme in der Regel auch nicht zum Bundesstart, sondern erst etwas später. In den Ferien pausiert der KidsClub normalerweise. Einzige Ausnahme sind die Weihnachtsferien. „Da machen wir jeden Tag ab 15 Uhr Programm“, erklärt Forster.
Jenseits des regulären Programms bietet das Arthouse-Kino unter der Woche viele Vorführungen für Horte und Schulen an. „Da sind wir superaktiv und hatten im Jahr 2023 allein 170 Vorstellungen mit 5600 Kids“, berichtet Damm. „Mit den Vorstellungen für Horte und Schulen machen wir insgesamt viel mehr Zuschauer*innen als mit dem KidsClub. Wir verzeichnen da auch deutlich steigende Besuche*innenzahlen.“
Forster ergänzt: „Wir kriegen regelmäßig sehr viele Anfragen von Lehrer*innen, die schon mal bei uns waren und schätzen, wie unkompliziert das hier läuft. Viele melden sich auch auf Empfehlung bei uns. Auch da versuchen wir nicht einfach nur den Film zu zeigen, sondern laden oft Expert*innen ein oder organisieren einen Workshop. Das hat sich übrigens nach der Corona-Pandemie, unter der Führung meiner Vorgängerin Laura Oehme, sehr erfreulich entwickelt.“
Publikumsbindung
Die kostenfreien Vorführungen des KidsClub kann sich das Casablanca leisten, weil es Fördergelder der Filmförderungsanstalt (FFA) erhält. Da die Sonntagsvorstellungen aber Eintrittsgelder generieren, ergibt sich eine Mischkalkulation. „Unter dem Strich verdienen wir mit dem Kinderprogramm durchaus Geld, das ist für uns aber nicht entscheidend. Wir sind ja gemeinnützig und sehen das Kinderprogramm als Investition in die Zukunft“, unterstreicht er Theaterleiter. Allerdings stünden aktuell Fragezeichen über der Medienpädagogikförderung der FFA. „Für das aktuelle Jahr haben wir eine Förderung beantragt und genehmigt bekommen. Wir wissen aktuell nicht, ob sie weiter geführt wird.“ Außerdem erhält das Casablanca auch Fördergelder für Young Audiences von dem europäischen Kinoverbund Europa Cinemas, dem es angehört.
Doch wie erreicht das Casablanca das junge Publikum? Und wie stellt es eine Publikumsbindung her? „Das Casa ist ein Ort, an dem sich die Kinder wohlfühlen. Viele kommen regelmäßig und kennen sich untereinander. Sie finden es hier toll, bringen ihre Geschwister mit und laden ihre Freundinnen und Freunde ein. Gewissermaßen stellen sie die Publikumsbindung selbst her“, sagt Forster. „Wir schicken zudem regelmäßig Flyer an Schulen und Horte, damit noch mehr Kids von unseren attraktiven Programmen erfahren. Im vorigen Jahr haben wir in einer Aktion besonders treue Besucher*innen belohnt, indem wir diesen Kindern einen Brief geschrieben haben, mit Flyern, die sie an ihre Clique weitergeben konnten. Das war ein großer Erfolg, denn wir hatten etliche Neuanmeldungen.“
Der Kinderkinomacher hat beobachtet, dass sich das junge Publikum laufend erneuert. „Wir haben durchaus Stammgäste, aber bei jeder Staffel kommen auch neue Kids dazu. Das ist eine bunte Mischung. Wir sehen Kinder, die nur einen Film pro Staffel anschauen, aber auch solche, die bei jedem Film dabei sind.“
Das Casablanca-Team hat die Erfahrung gemacht, dass bei den öffentlichen Vorstellungen die populären Titel besser besucht sind. „Bei den KidsClub-Veranstaltungen lassen sich die Kinder auch gerne mal überraschen und schauen sich einen unbekannten Titel an“, sagt der Theaterleiter. „Es ist jedoch viel schwerer, die Eltern zu motivieren, mit in einen kleinen tschechischen Kinderfilm wie 'Tony, Shelly und das magische Licht' (Filip Pošivac, 2023) zu gehen als in einen Disney-Film.“
Bei den Samstag-Vorführungen legen die Veranstalter eine Obergrenze fest. „Dieses Limit hängt davon ab, wie viel Betreuungspersonal zur Verfügung steht. Da ist 60 die absolute Obergrenze“, berichtet Damm. Bei den Sonntagsvorstellungen ist die Resonanz erfahrungsgemäß etwas geringer. „Das reicht von einstelligen Zahlen bis 30 Gästen. Es kommt sehr darauf an, welche Filme es sind.“

Große Bandbreite angestrebt
Bei der Zusammenstellung der Staffeln achtet das Team des KidsClubs auf eine bunte, diverse Mischung. „Es ist uns wichtig, auch Filme zu zeigen, die keinen großen Verleih haben“, berichtet Forster. „In der nächsten Staffel läuft eine schöne Doku über Polarfüchse, für die schon viele Anmeldungen vorliegen. Wir zeigen aber auch einen Mainstream-Film wie 'Die Schule der magischen Tiere 3' (Sven Unterwaldt, 2024), weil er sehr beliebt ist bei den Kids. Aber auch ältere Filme bekommen eine Chance. In der vorletzten Staffel war 'Pippi Langstrumpf' (Olle Hellbom, 1969) dabei. Das ist ein zeitloser Klassiker ist, der nach wie vor bei Jung und Alt gut ankommt.“
Doch wie divers ist das Kinderkinopublikum? Nutzen vorrangig Zuschauende aus dem Bildungsbürgertum die Angebote? Oder geht es quer durch die Bank? „Ich schätze, das Publikum ist schon divers“, sagt Forster. „Aber ich wünsche mir, dass es noch ein bisschen diverser wird. Wir haben auf jeden Fall Kinder aus ganz Nürnberg, mit Migrationsgeschichte und auch ohne. In letzter Zeit hat es mich sehr gefreut, als Eltern uns angeschrieben und gefragt haben, ob ihre Tochter mit Down-Syndrom vorbeikommen kann. Im Casablanca ist es uns wichtig, dass der Einstieg in die Filmkunst niedrigschwellig und für alle Kinder zugänglich ist. Bei uns sollen alle Kids Spaß haben und sind im KidsClub willkommen!“
Auch wenn die etablierten Angebote für das junge Publikum derzeit erfolgreich laufen, denkt das Casablanca-Team doch über neue Ideen und Formate nach. „Wir überlegen, ob wir ein separates Angebot für die etwas älteren Jugendlichen erstellen können“, betont der Kinoleiter. „Die Altersgruppe zwischen 14 und Anfang 20 findet derzeit bei uns leider so gut wie nicht statt. Es wäre schön, wenn wir die Jugendlichen halten könnten, die mit 14 den KidsClub verlassen müssen. Das ist aber schwierig, weil der Arthouse-Sektor zu wenig Filme liefert, die für diese Altersgruppe attraktiv sind. Wir denken über Konzepte nach, sind da aber noch ziemlich am Anfang.“