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Hintergrund | | von Barbara Felsmann

2023 – Ein gutes Jahr für den Kinderfilm?

Die Konferenz „Zukunft Kinderfilm“ in Weimar

Über die Situation und die Zukunft des Kinderfilms in Deutschland wurde und wird immer wieder diskutiert – auf Tagungen, in Panels, bei Veranstaltungen auf Festivals und nun Anfang September auf einer zweitägigen Konferenz in Weimar. Ins Leben gerufen hat sie das Kuratorium junger deutscher Film unter dem schlichten, aber vielversprechenden Titel „Zukunft Kinderfilm“.

Vorweg muss dazu gesagt werden, dass der Kinderfilm in der deutschen Kinolandschaft so schlecht gar nicht dasteht. Mit mehr als 20 Kinostarts im Jahr hat er sich zu einer nicht zu unterschätzenden Wirtschaftskraft entwickelt, unter den zehn besucherstärksten Filmen eines Jahres finden sich immer wieder auch Kinderfilme mit 700.000 bis 1.5 Millionen Besucher*innen. Doch dies sind in der Regel Familienfilme, die auf bekannten Marken und Buchvorlagen, meist Klassikern, beruhen und mit einem erheblichen Werbebudget ausgestattet sind. Schwer haben es in Deutschland nach wie vor originäre Stoffe, aber auch Filme, die nicht so bekannte Kinderbücher adaptieren.

Zukunft heißt: das Jahr 2023

Doch eine Analyse der gegenwärtigen Situation war nicht das Thema dieser Konferenz. Eher ging es den Veranstalter*innen darum, konkrete Ideen und Vorschläge zur Verbesserung der Situation des deutschen Kinderfilms erarbeiten zu lassen. Die „Zukunft“ wurde deshalb auch genau abgegrenzt auf einen Zeitraum von fünf Jahren. Wie soll der deutsche Kinderfilm zu diesem Zeitpunkt dastehen und was muss sich bis dahin verändern? Und so machten sich die 200 Teilnehmer*innen an die Arbeit, berieten über Marketingstrategien und eine bessere Sichtbarmachung von Kinderfilmproduktionen in der Öffentlichkeit, über Filmbildung, die Partizipation der Zielgruppe und nicht zuletzt über Qualität und mehr Vielfalt im Kinderfilmbereich.

Grundsätzlich wurde konstatiert, dass sich der gesellschaftliche und kulturpolitische Stellenwert des Kinderfilms in Deutschland verbessern muss. Der Kinderfilm soll als Kulturgut anerkannt und entsprechend gefördert werden und muss in der Politik stärker verankert werden. Es wurde auch immer wieder betont, dass die Filmförderung eine Produktion für Kinder nach gleichen Kriterien wie andere Kinoproduktionen behandeln sollte. Denn Kinderfilme sind nicht billiger herzustellen, bedenkt man allein die längeren und aufwändigeren Dreharbeiten mit den Kinderdarsteller*innen.

Desweiteren ist es unerlässlich, dass der Bereich „Kinderfilm“ bis 2023 an Filmhochschulen etabliert wird und spezielle Vorlesungen und Seminare für Filmstudierende angeboten werden. Ein großes Thema war ferner die Notwendigkeit von effektiven Marketingstrategien, die mit 25 Prozent der Herstellungskosten eines Films zu veranschlagen sind. Dabei sollte das Marketing bereits bei der Stoffentwicklung beginnen und hier schon die zukünftige Verwertung mitdenken beziehungsweise in Gang setzen – eine Zielsetzung, die jedoch noch einmal gründlich erörtert werden sollte, weil so die Gefahr besteht, dass das Marketing Einfluss auf das Drehbuch nimmt, etwa durch Platzierung von Produktwerbung oder gar durch inhaltliche Vorgaben zugunsten der Vermarktung.

Die Zielgruppe selbst

Die Zielgruppe soll bis 2023 stärker zu Wort kommen. Bisher hat sie Entscheidungsgewalt bei der Vergabe von Preisen auf Festivals, seit einiger Zeit gibt es die Jugend Film Jury bei der FBW, die Bewertungen und Empfehlungen für Kinder- und Jugendfilme herausgibt. Doch die Partizipation der Zielgruppe muss erweitert werden. Kinder und Jugendliche sollen bereits bei der Produktion von Filmen in Entscheidungsprozesse einbezogen und bei der Drehbuchentwicklung mit ins Boot geholt werden. Hier lohnt ein Blick zu doxs! Das Duisburger Dokumentarfilmfestival für Kinder und Jugendliche praktiziert dies mit dem Projekt doku.klasse schon seit 2014 sehr erfolgreich.

Ein großes Thema, das die Zielgruppe betrifft, war außerdem der Bereich Filmbildung, die Einrichtung eines Familienkinotags, an dem einmal im Jahr Familien kostenlos ins Kino gehen können, die bundesweite Förderung engagierter Kinderkinos, der Ausbau von Filmclubs und die Einführung eines festen wöchentlichen Sendeplatzes für Kinderfilme in der ARD und dem ZDF, der von der ganzen Familie wahrgenommen werden kann. Auch die Eltern bildeten auf der Konferenz eine Zielgruppe. Nicht nur für sie ist es besonders wichtig, die FSK-Freigaben zu differenzieren und durchschaubar zu machen. Und zwar bis 2023!

Das Verhältnis von Qualität und Erfolg

Was sind die Kriterien für einen erfolgreichen Kinderfilm? So lautete die Ausgangsfrage für zwei Gruppen, die sich mit inhaltlichen und künstlerischen Aspekten auseinandersetzten. Dass Erfolg heute hauptsächlich an Besucherzahlen festgemacht wird, ist viel zu kurz gegriffen und muss dringend verändert werden. Künstlerische Maßstäbe, Innovation, mutige Themenstellungen und Nachhaltigkeit müssen bei der Bewertung verstärkt eine Rolle spielen. Gute Kinderfilme müssen – diese Erkenntnis ist keineswegs neu – ihre Geschichte mehrschichtig erzählen und sich an verschiedene Altersgruppen, nicht zuletzt auch an Erwachsene, wenden. „Als erstes müsst ihr vergessen, dass ihr einen Kinderfilm macht“, verkündete Bestsellerautorin Cornelia Funke per Skype auf der Konferenz. Und in einem von Bernd Sahling aufgezeichneten Werkstattgespräch kam noch einmal der 2012 verstorbene DEFA-Regisseur und Drehbuchautor Helmut Dziuba zu Wort, der unter anderem den Kinderfilmklassiker „Sabine Kleist, 7 Jahre…“ (1982) realisierte und erklärte, dass ein Kinderfilm immer eine gute Frage stellen und der Filmemacher nicht zwingend die Antwort wissen müsse. Dieses Postulat wurde interessanterweise immer wieder von den Konferenzteilnehmer*innen aufgegriffen. Denn diese Ausgangsposition nimmt das junge Publikum ernst und traut ihm auch etwas zu, eine Position, die heutzutage im Kinderfilmbereich seltener zu finden ist. Sicher liegt das auch am gesellschaftlichen Bild von Kindheit in einer Zeit, in der Kinder behütet werden sollen, vor allem vor der Realität, in der sie kaum noch ungeplante Freizeit verbringen können und statt einer „Streifkindheit“ eine sogenannte „Inselkindheit“ durchleben, also von einer betreuten Freizeit zur anderen „hoppen“.

Kinderfilm im Jahr 2023 soll sich durch mehr Genrevielfalt, durch Originalität und eine größere Themenvielfalt auszeichnen, durch eine stärkere Diversität (im weitesten Sinne und nicht nur vor der Kamera) und durch innovative künstlerische Handschriften. Humor wurde immer wieder als wichtiges Element im Kinderfilm angesehen, aber auch diskutiert, dass Erfolgskonzepte nicht kopiert werden können. Erörtert wurde ebenfalls die Frage, ob Filme für das junge Publikum immer Kinderfiguren brauchen oder ob es nicht in der Realität so ist, dass sich Kinder heutzutage verstärkt für Erwachsenenwelten interessieren und in fremde, unbekannte Welten eintauchen wollen. Und da sind wir wieder bei der guten Frage und der noch nicht bekannten Antwort.

Bekannte Fragestellungen, für die Gegenwart formuliert

Die Verbesserung der Situation und Qualität des Kinderfilms in Deutschland beschäftigt in ähnlichen Fragestellungen bereits Generationen von Filmemacher*innen. Die Ergebnisse auf dieser Konferenz sind deshalb auch nicht grundsätzlich neu. Aber sie sind engagiert „durchdekliniert“ und auf einen Stand gebracht worden, der den aktuellen Produktions-, Distributions- und gesellschaftlichen Bedingungen entspricht. Damit hat letztendlich eine neue Generation den Faden aufgenommen. Und wenn auch kein Manifest an die Politik verabschiedet wurde, sind die zahlreichen Teilnehmer*innen der Konferenz nicht nur mit viel Input nach Hause gefahren, sondern auch mit dem Willen, in ihren Bereichen zu schauen, was konkret verändert und neu angestoßen werden muss und kann.

Barbara Felsmann

Das Konferenzkonzept

Keine aneinandergereihte Vortragsserie mit der üblichen Kaffee- und Mittagspause erwartete die 200 Vertreter*innen aus der Kinderfilmbranche, sondern ein raffiniert ausgedachtes „Mitmachprogramm“. Ausgeklügelt hat dieses Konzept die Firma The Value Web. Am ersten Tag der Konferenz wurden die Teilnehmer*innen in Gruppen bis zu zwölf Leuten aufgeteilt. Jede Gruppe hatte die Aufgabe, einzelne Schwerpunkte, die zum Thema „Zukunft des Kinderfilms“ diskutiert werden sollen, zu erarbeiten. Zwischendurch teilte sich das Team auf, um verschiedene 30-minütige Impuls-Referate zu besuchen und die wichtigsten Extrakte mit in die Überlegungen einzubeziehen. Am Ende des ersten Konferenztages wurden dann im großen Podium die Diskussions- und Arbeitsthemen für den nächsten Tag festgezurrt und die Teilnehmer*innen trugen sich nun in die jeweiligen Themengruppen ein. Am zweiten Tag hatten dann die einzelnen Themengruppen zweieinhalb Stunden Zeit, um sich zu ihrem jeweiligen Schwerpunkt auszutauschen und Vorschläge beziehungsweise Maßnahmen für das Jahr 2023 zu erarbeiten. Die Ergebnisse wurden dann in einer Abschlussveranstaltung präsentiert. Über zwei Tage hatte sich in den Räumen des Weimarer Kulturzentrums mon ami eine unglaublich kreative Atmosphäre ausgebreitet, von den Konferenzteilnehmer*innen wurde Engagement und Veränderungswillen gefordert – und gerne geleistet.

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