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Lionhearted – Aus der Deckung

Im Kino: Dokumentarfilm über einen Boxverein, der Jugendlichen weit mehr bietet als Sport: Perspektive, Lebenshilfe, Familie, Gemeinschaft.

„Ich kämpfe, um nie wieder kämpfen zu müssen“, sagt ein junger Boxer, den der Münchener Boxtrainer Ali Cukur wie so viele von der Straße geholt hat. Jede*r ist bei Ali willkommen, auch wenn er Vorstrafen oder andere massive Probleme mitbringt. Alle hier, sagt Ali, haben innere Risse. Aber genau darum geht es ja bei diesem Sport: wieder aufstehen und weitermachen.

Im Boxtraining sind alle gleich. Burak war oft in Schwierigkeiten, bevor er bei den Löwen des TSV 1860 München angefangen hatte. Blut hat ihn besonders getriggert, wenn der Gegner am Boden lag, ging es erst richtig los für ihn. Durch das Boxen hat er Selbstbeherrschung gelernt. Saskia bringt eine traurige Familiengeschichte und ein angeschlagenes Selbstvertrauen mit. „Das Boxen ist mein Leben‟, sagt sie, „alles daran ist echt‟. Sie will körperlich an ihre Grenzen gehen. Raschad hatte als schwarzer Jugendlicher einen schwierigen Start in Deutschland, Ausgrenzung und Vorurteile erlebt. Deshalb hat er viel Mist gebaut, jetzt ist er als Jugendtrainer und Meistertitelträger anderen ein Vorbild. Mittelgewicht Abu Fela bringt auch Rassismuserfahrungen mit, im Ring lähmt ihn manchmal die Angst vor Schlägen, dabei hat das Leben ihm die größten Wunden zugefügt. Als Sohn türkischer Gastarbeiter*innen kann Ali seine jungen Schützlinge nur zu gut verstehen. Mitgefühl, klare Regeln und immer ein offenes Ohr, das sind seine Arbeitswerkzeuge.

Der Dokumentarfilm „Lionhearted‟ begleitet die Reise der Box-Familie ins alljährliche Boxcamp. Dieses Jahr geht es nach Ghana, in die Slums von Accra. Was die jungen Sportler*innen dort sehen, erleben und erfahren, wird ihr Leben ändern. Für viele ist es der erste Kontakt mit einer völlig anderen Welt, die ihnen ihre eigenen Ängste und Probleme spiegelt und sie Dankbarkeit lehrt. Die Menschen in dem Slum leben wortwörtlich auf Müllhalden, die sich bis zum Horizont erstrecken. Aber in der Boxschule dort wird ein ebenso engagiertes Projekt vorangetrieben. Der ehemalige ghanaische Ex-Boxmeister Charles Quartey holt Straßenkinder in seinen Verein, gibt ihnen Essen, ein Dach über dem Kopf. Denn Boxen, so das Motto von allen, kann dir Hoffnung und eine neue Perspektive geben.

Es ist höchste Zeit, den Boxsport aus seiner ehemaligen Schmuddelecke als „Brutalo-Sport“ zu holen. Denn im Boxen geht es vor allem darum, keine Schläge zu kassieren, das ist Alis Leitbild. Übersetzt ins Leben heißt das: gar nicht erst in Schwierigkeiten kommen. Denn das Leben, so ist Ali Cukur überzeugt, ist ein Sinnbild für das Boxen. Er lehrt seine Schützlinge Schnelligkeit und immer nur aus der Deckung heraus zuzuschlagen. Aber weit darüber hinaus gibt er ihnen einen sicheren Ort, an dem jeder sein kann, wie er ist, und mit all seinen Problemen und Fehlern akzeptiert wird. Er lehrt sie, Disziplin und Strukturen im Leben selbst zu schaffen. Und mit der Trainingsreise nach Ghana öffnet er ihnen die Augen dafür, wie privilegiert ihr Leben in Deutschland ist und schärft ihr Bewusstsein für ihre Chancen. Sehr eindrucksvoll an dem berührenden und unterhaltsamen Dokumentarfilm sind die Luftaufnahmen aus Accra – Müll so weit das Auge reicht. Menschen und Tiere, die in den qualmenden Müllbergen leben.

Aus dem engagierten Dokumentarfilm ist der Verein „Be Lionhearted!“ hervorgegangen, der Spenden sammelt für Schulworkshops in Deutschland mit Ali und seinen Boxschüler*innen, um Werte wie Mut und Empathie erfahrbar zu machen. Außerdem werden Spenden für die Schulinitiative in Ghana gesammelt. Ali Cukur hat darüber hinaus einen großen Traum: die Gründung eines Boxinternats für Straßenkinder in Accra. Jede*r von der Straße und Hoffnungslosigkeit gerettete Jugendliche ist ein Riesenerfolg für den Boxsport.

Christiane Radeke

 

© Filmperlen
12+
Dokumentarfilm

Lionhearted – Aus der Deckung - Deutschland 2019, Regie: Antje Drinnenberg, Kinostart: 23.09.2021, FSK: ab 0, Empfehlung: ab 12 Jahren, Laufzeit: 90 Min. Buch: Antje Drinnenberg. Kamera: Janis Willbold. Schnitt: Anya Schulz. Produktion: Firsthand Production, Bilderfest. Verleih: Filmperlen

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