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Ninjababy

Entdeckt bei der Berlinale: Ein ebenso komisch-absurder wie überraschender Film über eine junge Frau, die ungewollt schwanger wird.

Ab und zu ist von Frauen zu lesen, die nicht bemerken, dass sie ein Kind erwarten, obwohl die Schwangerschaft schon weit fortgeschritten ist. Genau das passiert der 23-jährigen Rakel. Sie liegt auf dem Untersuchungsstuhl der Frauenärztin, die ihr erklärt, dass sie im sechsten Monat schwanger ist. Entgegen Rakels Hoffnung kann sie ihr nicht einfach so eine Pille geben, mit der sie den Fötus wieder loswerden kann. Rakel tobt. Was soll das? Sie hat getrunken und Drogen genommen in den letzten Monaten, das Kind wird bestimmt Schäden davontragen. Ihre Begleitung, der sympathische Aikido-Lehrer Mos fügt unterdessen an, dass das Kind ja dann nicht von ihm sein könne, ist ihre gemeinsame Nacht doch noch nicht so lange her.

Rakel ist eine junge Frau, deren Leben wenig Struktur hat. Sie wohnt mit ihrer besten Freundin Ingrid zusammen, feiert gerne und das Chaos in ihrem Zimmer spiegelt ihre innere Verfassung. Da passt es ins Bild, dass ihr gar nicht aufgefallen ist, dass sie schon seit Monaten ihre Periode nicht hatte. Ihre große Leidenschaft ist das Malen. Ob mit Bleistift oder Aquarell: Rakel hat wirklich Talent! Wenn sie an ihrem Tisch sitzt und mit Stift und Papier beschäftigt ist, Comicwelten entwirft, oder Mos aus dem Gedächtnis zeichnet, ist sie ganz bei sich. Sie lebt ihre Kreativität so intensiv aus, dass ihre Phantasiewelten im Film lebendig werden, indem der reale und der gezeichneten Kosmos eine Verbindung eingehen. Dicke gezeichnete, animierte Regentropfen gehen auf sie nieder, über das Gesicht ihrer Freundin wird gekritzelt und ihr ungeborenes Kind wird als animierte Comicfigur, die sie „Ninjababy“ nennt, lebendig. Einmal erweckt, ist es ab jetzt ihr ständiger Begleiter und heftet sich an ihre Fersen. Mal hangelt sich Ninjababy vom Regalbrett herunter, ein anderes Mal agiert es so nervig auf dem Schreibtisch, dass Rakel es mit einer Tasse einfängt, damit es endlich Ruhe gibt. Das kleine Etwas macht ihr Vorwürfe und erörtert mit ihr, welche Lösungen es gäbe, jetzt, wo es doch auf jeden Fall zur Welt kommen wird. Vielleicht könnte Angelina Jolie es adoptieren, zusätzlich zu ihren anderen sechs Adoptivkindern? Ninjababy verselbständigt sich als schlechtes Gewissen, das laut äußert, was Rakel nur ganz im Geheimen denkt. Eine zuweilen skurrile Kommunikation, die für Witz und absurde Situationen sorgt.

Die Geschichte schlägt ein paar Haken und überrascht mit ungeahnten Wendungen. So hat der biologische Vater ein „Blaze the Lord“-Poster an der Wand hängen und denkt nur an Sex, weshalb Rakel ihn ausschließlich „Dick Jesus“ nennt. Aber gerade mit dieser Figur lernen wir, dass man sich täuschen kann, denn in ihm regen sich starke Vatergefühle, während trotz Schwangerschaft in Rakel keine Mutterinstinkte erwachen.

Eine werdende Mutter in den Fokus zu nehmen, die diese Rolle bis zum Schluss ablehnt, ist ein Tabuthema. Dabei ist es kein Hass, den sie dem Baby entgegenbringt, denn sonst wäre ihre Kreation des Ninjababys nicht so herzzerreißend hilflos und anrührend. Rakel hat die Mutterrolle für sich einfach „nicht auf der Liste“, wie sie sagt. Es ist ungewöhnlich, dass wir einen solchen Lebensentwurf kennenlernen, ohne ihn zu verurteilen. Die Schwangere macht sich trotzdem ganz verantwortungsvoll Gedanken, was aus dem Kind werden soll. Deshalb nimmt sie zum Beispiel unerkannt an einem Treffen für zukünftige Adoptiveltern teil und stellt mit Entsetzen fest, dass diese furchtbar unsympathisch sind und im Grunde alle Nazis, weil sie weiße, norwegische Kinder wollen. Eine witzig-entlarvende Szene, die für Rakel jedoch in Verzweiflung endet, da ihr immer weniger eine gute Lösung für ihr Baby einfällt.

Regisseurin Yngvild Sve Flikke hat sich die Autorin der zugrundeliegenden Graphic Novel „Fallteknikk‟ Inga Sætre zur Realisierung der gescribbelten Animationen ins Team geholt. Die Comicanteile geben dem Film den einzigartigen Look und sorgen in einer genial geglückten Kombination von Animation und Live Action für den richtigen Rhythmus, wodurch über weite Strecken ein sinnlicher Film entstand. Wenn Rakel ihren Schwarm Mos trifft, sieht man nicht nur optisch kleine Funken aus ihrer Brust emporsprühen, sondern hört das Knistern auch auf der Tonspur. Schauspielerin Kristine Kujath Thorp ist ein Glücksfall für die Rolle, spielt sie ihre Verzweiflung doch gleichzeitig mit Wut und Trauer über ihre Unfähigkeit, eine verantwortungsvolle Frau und werdende Mutter zu sein. Ihre Veränderung durch die Schwangerschaft verfolgen wir mit Spannung. Diese ist allerdings anders als zunächst vermutet.

Katrin Hoffmann

© Motlys
14+
Spielfilm

Ninjababy - Norwegen 2021, Regie: Yngvild Sve Flikke, Festivalstart: 01.03.2021, FSK: keine FSK-Prüfung, Empfehlung: ab 14 Jahren, Laufzeit: 103 Min. Buch: Johan Fasting, Inga Sætre, nach der Graphic Novel „Fallteknikk“ von Inga Sætre. Kamera: Marianne Bakke. Musik: Kåre Chr. Vestrheim. Schnitt: Karen Gravås. Produktion: Motlys. Verleih: offen. Darsteller*innen: Kristine Kujath Thorp (Rakel), Arthur Berning (Dick Jesus), Nader Khademi (Mos), Tora Dietrichson (Ingrid), Herman Tømmeraas (Stimme Ninjababy) u. a.

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