Mario
Karriere oder Liebe? Marcel Geislers Drama setzt sich mit Homosexualität im Fußball auseinander.
„Ich weiß einfach nicht, ob ein solcher Profi heute unbeeinträchtigt seinem Beruf als Profisportler nachgehen könnte,“ sagte Philipp Lahm 2021 in einem Interview mit dem Stern. Dem gegenüber stellten sich ebenfalls 2021 fast 800 deutsche Fußballer*innen, die ihren Kollegen*innen in den deutschen Profiligen ihre Unterstützung aussprachen, sollten sich homosexuelle Fußballer*innen outen wollen. Der Appell mit dem Titel ‚Ihr könnt auf uns zählen!‘ wurde im Magazin „11 Freunde“ veröffentlich. Trotz diesem Aufruf gibt es 2024 in Deutschland immer noch keinen öffentlich geouteten schwulen aktiven Profifußballer.
Der Film „Mario“ von Regisseur Marcel Geisler aus der Schweiz nimmt sich genau dieser Thematik an. Geisler liefert damit einen der ersten Filme die sich mit Homosexualität im Fußball auseinandersetzen und dabei die Liebe zwischen zwei Teamkollegen auf zärtliche Weise darstellt.
Der titelgebende Protagonist des Films, der Schweizer Mario (Max Hubacher) träumt von einer Karriere als Profifußballer. Dafür hat er die perfekten Vorrausetzungen. Als Leon (Aaron Altaras) eines Tages aus Hannover neu in den Verein kommt, bekommt er einen ehrgeizigen Gegenspieler. Aus der anfänglichen Rivalität, wird allerdings schnell eine Freundschaft und bald auch eine Liebe. Als diese jedoch im Verein die Runde macht, werden die beiden vor die Wahl gestellt: Karriere oder Liebe. Vor allem Mario tut alles, um seine Karriere nicht zu gefährden: Er verleugnet seine Beziehung zu Leon und sucht sich eine Alibi-Freundin, um die Sponsoren und den Verein zufrieden zu stellen. Leon tut sich zunehmend schwerer, seine homosexuelle Identität und seine Liebe zu Mario zu leugnen. Letzten Endes zerbricht die Beziehung und ihre Wege trennen sich: Mario wird Profifußballer und Leon geht zurück nach Hannover.
„Ich wusste nicht, dass es dich gibt,“ sagt Leon zu Mario in einer der intimsten Szenen des Films und fasst damit den Umgang mit Homosexualität im Fußball zusammen. Nach einem ersten Kuss und einer ersten gemeinsamen Nacht, die der Regisseur explizit, aber gleichzeitig auch sehr zärtlich inszeniert, gibt es noch anfänglich Unsicherheiten bei Mario, doch er lässt sich von Leons Selbstbewusstsein im Umgang mit seiner Homosexualität mitreißen. Es entstehen fast träumerische Szenen in denen Geisler zeigt, wie ein gemeinsames Leben der beiden aussehen könnte. In diesen schwingt immer die Hoffnung mit, die Liebe zwischen ihnen und der Traum von der Karriere seien gleichzeitig möglich, vorausgesetzt man sei vorsichtig genug. Die beiden werden allerdings schnell von der Realität eingeholt: Ein Teamkollege hat sie beobachtet. Mario und Leon werden unter Druck gesetzt. Marcel Geisler zeigt dabei wie abgeklärt und systematisch die Fußballbranche mit dem Thema Homosexualität umgeht: Die Beiden sollen sich in der Öffentlichkeit am besten nicht mehr zusammen zeigen, sich Alibi-Freundinnen suchen und alles dementieren, was ihre Liebe und Beziehung angeht. Nähe zwischen Männern darf im Fußball die Schwelle zu intimen Gefühlen nicht überschreiten. Die Stimmung im Team kippt zunehmend. Der Film schreckt dabei nicht davor zurück, verbale homofeindliche Übergriffe von Teammitgliedern zu zeigen. Hier wird deutlich wie tief verwurzelt und strukturell homofeindliche Stereotype sind und den gesamten (Männer-)Fußball durchziehen.
Neben der Homosexualität im Fußball, verhandelt der Film die oft im gleichen Kontext auftauchende Frage nach einer eindeutigen Definition von Männlichkeit. So werden durch die Figuren des ehrgeizigen Vaters von Mario, der seinen Traum durch seinen Sohn leben will, des Managers der sich einzig und allein um das Image von Mario sorgt oder des explizit homophoben Mitspielers unterschiedliche Formen von Männlichkeit gezeigt. Gleichzeitig wird Leon auch als ein zärtlicher männlicher Charakter eingeführt: Er ist locker, selbstbewusst und kann Nähe zulassen. Es sind aber vor allem die wenigen weiblichen Figuren, wie Marios Mutter Evelyn (Doro Müggler) und seine beste Freundin und spätere Alibifrau Jenny (Jessy Moravec), die verständnisvoll und unterstützend agieren. Und doch grenzen sie sich zum Ende des Films hin immer mehr von den gewaltvollen Entscheidungen der Männer ab.
Am Ende ist es die Mischung aus institutionellem Druck und dem Mobbing der Teamkollegen an der die Beziehung zwischen Leon und Mario zerbricht. Mario steht trotz seiner erträumten Profikarriere letztendlich verwirrt und traurig ohne Leon auf dem Platz. Jubelt ihm die Menge auch dafür zu? Hat er die richtige Entscheidung getroffen? Man wünscht sich, eine Entscheidung wäre gar nicht nötig gewesen.
Konrad Neiße
Übrigens: „Mario“ und andere tolle Filme sind Teil des Themendossiers „Gender & Lieben“. Werfen Sie doch mal einen Blick rein.
Mario - Schweiz 2018, Regie: Marcel Gisler, Kinostart: 18.10.2018, Homevideostart: 14.12.2018, FSK: ab 0, Empfehlung: ab 12 Jahren, Laufzeit: 118 Min., Buch: Thomas Hess, Marcel Gisler, Frederic Moriette, Kamera: Sophie Maintigneux, Schnitt: Thomas Bachmann, Musik: Michael Duss, Martin Skalsky, Christian Schlumpf, Produktion: Triluna Film AG, Carac Films, Schweizer Radio und Fernsehen (SRF), Teleclub AG , Verleih: Pro-Fun, Besetzung: Max Hubacher (Mario Lüthi), Aaron Altaras (Leon Saldo), Jessy Moravec (Jenny Odermatt), Jürg Plüss (Daniel Lüthi), Doro Müggler (Evelyn Lüthi)
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