Mission Sternenhimmel
Entdeckt bei der Berlinale: Celeste fliegt ins Weltall und zurück bleibt ihr Roboter-Freund. Selten schöner Animationsfilm von einem Multitalent.
Es beginnt mit einem Traum. Auf einem einsamen Planeten strandet ein Raumschiff. Die junge Astronautin ist ausgestiegen, blickt zum roten Himmel empor, grüßt die weit entfernte Erde und sinkt auf die Knie, erschöpft, traurig, vielleicht mutlos. In diesem Augenblick schreckt Celeste aus ihrem Traum auf, schaut durchs Fenster und grüßt mit der gleichen, zärtlichen Geste den Mond am Nachthimmel. Das Mädchen geht durch die stille Wohnung, vorbei an einer Galerie mit Erinnerungsfotos. Darauf sieht man: ihre Mutter mit einem Baby im Arm; ihre Mutter mit der herangewachsenen Celeste vor einer Forschungsstation; ihre Mutter vor einer startbereiten Weltraumrakete; Celeste, die aus einem Geschenkkarton einen lebensgroßen Roboter auspackt; die drei zusammen beim Eisessen; schließlich wieder die Mutter, die erneut in den Weltraum startet.
Nicht viel mehr als zwei Minuten währt diese eindringliche Eröffnungsszene, und doch wird in ihr bereits nahezu alles gesagt, besser: gezeigt. Denn der Animationsfilm „Mission Sternenhimmel“ kommt ohne jedes gesprochene Wort aus, die notwendigen Informationen gibt es allein in Bildern und in kleinen Gesten, den Augen und der Körperhaltung der Figuren. Mit alldem springt der Film durch Raum und Zeit, wechselt zwischen Vergangenem und Gegenwärtigem und verweist mitunter gar auf Kommendes – denn die junge Astronautin im Traum ist Celeste selbst auf einer Mission, die noch gar nicht stattfand.
Neben Celestes abwesender, doch in jeder Sekunde präsenter Mutter (sie ist wohl von einer Mission nicht zurückgekehrt) gibt es nur noch jenen Roboter, der schon früh für das Seelenleben des verwaisten Kindes zuständig war und auch für die junge Erwachsene ein treuer Begleiter und fürsorglicher Freund ist. Solches Science-Fiction-Szenario einer Gesellschaft, in der alleinstehende Kinder von programmierten Maschinen sowohl körperlich als auch seelisch versorgt werden, könnte erschrecken, hier aber ist es das Fundament für die hinreißend schöne, traurig-melancholische und trostvolle Geschichte einer tiefen Freundschaft. Darauf programmiert, Celeste durch ihr Leben zu helfen, hat der Roboter selbst Gefühle entwickelt: Mit „seinem“ Menschenkind verbinden ihn unverbrüchliche Zuneigung, emotionale Empathie und selbstlose Liebe. So ist es denn auch der Roboter, der in der Nacht von Celestes Traums lautlos seine Ladestation verlässt, um dem traurigen Mädchen in den kleinen Innenhof zu folgen. Sanft stößt er dessen Schaukel an und sorgt in doppelter Hinsicht für Bewegung. Celestes beklemmender Traum verflüchtigt sich, Freude und Heiterkeit kehren auf ihr Gesicht zurück.
In schönen, feinsinnig-subtilen Nuancen erzählt „Operation Sternenhimmel“ vom Erwachsenwerden eines Mädchens: von seinen großen Erwartungen ans Leben, seinem Weg entlang alltäglicher Nöte, Einsamkeit, Sorgen und Ängsten, aber auch voller Momente puren Glücks. Bei allem geht es stets ums Wachsen an den eigenen Erfahrungen, das Zulassen von Veränderungen, um Mut und Selbstermutigung. Celeste liebt ihre mechanisch-digitale Ersatzmutter über alles, und doch bleibt ihr keine andere Wahl: Weil sie erwachsen wird, muss sie ihren Beschützer zurücklassen. Sie tritt in die Fußstapfen ihrer Mutter, wird ebenfalls Forscherin und bricht zu ihrer ersten Allein-Mission ins Weltall auf. Dramatische Abenteuer erwarten die junge Reisende, fressgierige Monster knabbern an ihrem Raumschiff, bedrohen ihr Leben. Damit wandelt sich der Film im Mittelteil zum rasanten Weltraumabenteuer – und doch geht es auch hier immer um Selbsterkundung: das Bestehen im Angesicht von Einsamkeit und Bedrohung.
Der kanadische Regisseur Kid Koala (eigentlich Eric San) ist ein künstlerisches Multitalent, erfolgreich als Musiker, Komponist, DJ und Gestalter von Graphic Novels. „Mission Sternenhimmel“, sein erster Kinofilm, basiert auf einem seiner Comic-Romane: „Space Cadet“ gestaltete er in der Tradition schwarz-weißer Holzschnitte und legte der Geschichte des Mädchens und seines Roboters eine Musik-CD bei, deren Stücke man an bestimmten Momenten der Bildergeschichte abspielen soll. Solch zusammenwirkendes Kunst-Erleben prägt auch „Operation Sternenhimmel“: Die gestalterisch reduzierte, „flache“ Großstadtkulisse steht im Gegensatz zur verspielten Fantastik der Weltraumszenen, während klug eingesetzte, popkulturelle Verweise Stimmungen und Gefühle verstärken. Einmal sitzen Celeste und Roboter in einem Diner, das Kid Koala aus dem berühmten Gemälde von Edward Hopper zitiert („Nighthawks“, 1942), und immer wieder erklingen anspielungsreiche Pop- und Jazz-Songs wie „Moonriver“ und „Fly Me the Moon“. Die wunderbare Sängerin Emilíana Torrini verspricht (stellvertretend für den Roboter), dass sie warten will: „I Will Wait For You”, und so heißt das Chanson von Jacques Demy und Michel Legrand aus dem französischen Spielfilm-Klassiker „Die Regenschirme von Cherbourg“ (1964).
Unbedingt müsste man auch über Celestes Roboter-Beschützer und seine tragische Heldenrolle sprechen – was freilich nur möglich wäre, wenn man den herzzerreißenden Ausgang der Geschichte verraten würde. Offensichtlich ist, so viel sei gesagt, dass der Roboter zuallererst Platzhalter für sehr menschliche Lebens- und Lernprozesse ist: programmiert auf das (Be-)Hüten einer nachwachsenden Generation, selbstlos bis zur Erschöpfung, verzweifelt nach seinem Platz im späten Dasein suchend, bereits „auf Reserve“ und doch weitsichtig genug, seine einprogrammierte Fürsorglichkeit weiterzugeben. Das poetischste Sinnbild für dieses geniale Generationenporträt findet der Film im Origami, der japanischen Kunst des Papierfaltens: Aus einfachen Papierblättern basteln Celeste und der Roboter mit Geschick und Fantasie wahre Kunst-Stücke, eines davon wird der Roboter seiner Freundin und Ziehtochter mit auf ihre Reise geben. Und Celeste wird es in Ehren halten, für immer und ewig.
Horst Peter Koll
Space Cadet - Kanada 2025, Regie: Eric San (aka Kid Koala), Festivalstart: 16.02.2025, FSK: ab 6, Empfehlung: ab 8 Jahren, Laufzeit: 89 Min., Buch: Mylène Chollet, nach dem Comic-Buch „Space Cadet“ von Kid Koala, Schnitt: Corinne Merrell, Alain Baril, Musik: Kid Koala, Produktion: Les Films Outsiders, Verleih: eksystent
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