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Von uns wird es keiner sein

In der ZDF Mediathek: Ein Schulalltag voller Unausgesprochenem. Wer steckt hinter dem Video – und was offenbart sich zwischen den Zeilen?

Ein normaler Schultag am Gymnasium wird durch ein Video aufgewirbelt, in dem eine Person ihren Selbstmord ankündigt, während Bilder des Schulgebäudes gezeigt werden. Für alle ist sofort klar: Das Video stammt von einem Schüler oder einer Schülerin der Oberstufe. Es enthält zudem ein Ultimatum: „Findet mich. Bevor es zu spät ist.“

Die Folgen dieses Ereignisses erleben wir aus den Perspektiven der Schüler*innen Mina, Waldi, Julia und Tom sowie ihres jungen Lehrers Ritchie Ludger, der sich die Sache sehr zu Herzen und dafür auch Streit im Kollegium in Kauf nimmt. Dabei haben alle Figuren ihr Päckchen zu tragen: Mina muss ihrem psychisch mehr und mehr eskalierendem Vater elterliche Verantwortlichkeiten abnehmen und gerät darüber immer öfter mit ihm in Streit. Tom fühlt sich seit dem Selbstmord seiner Schwester einige Jahre zuvor von Familie und Freund*innen zunehmend entfremdet. Julia fokussiert all ihre Unsicherheiten auf ihre schulischen Leistungen und paukt wie eine Besessene. Und Waldi kann sich mit dem bei Geburt zugewiesenen Geschlecht nicht identifizieren – und fürchtet die Reaktion der Familie, vor allem seines stark pubertierenden jüngeren Bruders, dessen Hauptinteresse gerade der Frage gilt, wie er durch Pumpen und Proteinshakes möglichst schnell möglichst männlich werden kann.

Über all diese großen und kleinen Probleme reden die vier Freund*innen aber kaum bis gar nicht miteinander, was zur Schlüsselszene des Films am Anfang führt. Die vier spekulieren über den oder die Macher*in des Videos, was Julia dazu verleitet, festzustellen: „Von uns wird es keiner sein. Wir würden uns das doch erzählen. Oder nicht?“ Die auf diese Aussage folgende Stille ist so laut und randvoll mit Unausgesprochenem, dass sie kaum zu ertragen ist.

Was sich im Verlauf entfaltet, ist ein Film über die psychischen Folgen der Corona-Pandemie für junge Menschen, der diese nicht mal erwähnen muss. Die vier Freund*innen sind eindeutig von den Jahren in Isolation und Einsamkeit gezeichnet: Der Gedanke, ehrlich über ihre negativen Gefühle und Erlebnisse zu sprechen und gegenüber dem nächsten Umfeld eine authentische Person zu sein, löst eine diffuse und dennoch deutlich spürbare Scham bei allen vieren aus. Es braucht die eine oder andere Konfrontation, ein Missverständnis, eine Packung Antidepressiva und ein unerwartet zu Herzen gehendes Coming-Out, bis die Figuren in der Lage sind, die Frage nach dem oder der Urheber*in des Videos zu lösen.

Inszeniert ist „Von uns wird es keiner sein“ mit einem Wechsel aus tristen Farben und Sonnenschein, ruhigen Bildern und einer klugen Dramaturgie, die es schafft, die verschiedenen Perspektiven sowohl in ihrer Einzigartigkeit als auch in ihrer Verzahnung miteinander zu erzählen. So werden die mitunter unerwarteten Parallelen sichtbar, die einen noch mehr wünschen lassen, die Freund*innen und ihr beherzter Lehrer würden endlich miteinander beziehungsweise mit ihrem jeweiligen Umfeld reden. Dabei profitiert der Film deutlich von der herausragenden Leistung seiner jungen Darstellenden, die den Stoff auch über das eine oder andere Klischee hinwegtragen. Lobend zu erwähnen sei hier auch Anna Schudt, die aus ihren wenigen Szenen zuverlässig das Beste rausholt. Dem Film gelingt es zudem, sein zentrales Rätsel lange aufrecht zu erhalten, ohne dass es zu sehr in den Hintergrund tritt oder belanglos wird. Die Auflösung (bei der niemand zu Tode kommt) ist nicht überraschend, wenn man die Statistiken zu Suiziden kennt.

Insgesamt ist „Von uns wird es keiner sein“ ein klug inszenierter Film, der seinem schweren Thema mit Feingefühl und scharfer Beobachtung ebenso gerecht wird wie der Weltwahrnehmung seiner jugendlichen Hauptfiguren.

Len Klapdor

© ZDF
15+
Spielfilm

Deutschland 2025, Regie: Regie: Simon Ostermann, Homevideostart: 09.10.2025, FSK: ab 12, Empfehlung: ab 15 Jahren, Laufzeit: 89 Min., Kamera: Johannes Greisle, Musik: Lisa Morgenstern, Schnitt: Ramin Sabeti, Produktion: Arte, Chromosom, Warner Bros. IPTV, ZDF, Verleih: Arte/ZDF, Besetzung: Derya Akyol (Mina), Lukas von Horbatschewsky (Waldi), Mina-Giselle Rüffer (Julia), Kosmas Schmidt (Tom), Sabin Tambrea (Ritchie Ludger), Mariele Millowitsch (Gabi Trautstein), Anna Schudt (Jenni, Julias Mutter), u. a.

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