Karla
Im Kino: Karla zieht vor Gericht, um sich gegen den sexuellen Missbrauch durch ihren Vater zu wehren. Nach einer wahren Geschichte.
Bayern, 1962: Bei einem Osterausflug mit der Familie flieht die 12-jährige Karla und verlangt auf einer Polizeiwache nach einem Richter. Den Grund nennt sie zunächst nicht, lässt sich aber auch nicht abschütteln. Als der Richter Dr. Friedrich Lamy geholt wird, erstattet sie Anzeige gegen ihren Vater nach § 176 wegen „unzüchtiger Handlungen“. Karla hat sich darüber in der Bibliothek belesen und will sich endlich zur Wehr setzen. Richter Lamy ist zunächst skeptisch, doch Karlas Beharrlichkeit überzeugt ihn. Allerdings gibt es ein großes Problem: Karla vermag nicht, die Vorfälle in allen Einzelheiten zu schildern. Auch einer gynäkologischen Untersuchung verweigert sie sich.
Richter Lamy spürt, dass Karla seine Hilfe braucht. Geduldig hört er zu, drängt sie nicht, sondern gibt ihr stattdessen ein Hilfsmittel an die Hand: eine Stimmgabel. Diese soll die Befragungen für Karla erleichtern. Immer dann, wenn sie etwas nicht aussprechen kann, schlägt Karla die Stimmgabel an. Letztendlich hat Richter Lamy jedoch keine Beweise, keine Zeugenaussagen und damit wenig Chance vor Gericht. Trotzdem ist er fest entschlossen, für das Recht des mutigen Mädchens zu kämpfen.
„Karla“ beschäftigt sich mit einem Thema, das heute noch genauso aktuell ist wie in den 1960er Jahren, in denen der Film spielt. Es geht um sexuellen Missbrauch und vor allem um den mühsamen Kampf, gehört zu werden und Gerechtigkeit zu erfahren. Wie verhält sich die Rechtsprechung, wenn ein traumatisierter Mensch nicht über den erlittenen sexuellen Missbrauch sprechen kann? Wenn er es nicht schafft, bei der notwendigen Schilderung der Einzelheiten die Qualen noch einmal zu durchleben? Das ist die Frage, die dieser Film auf eine sehr bewegende, eindringliche Weise verhandelt.
Drehbuchautorin Yvonne Görlach erzählt hier die wahre Geschichte einer nahen Verwandten. Sie ist nicht namentlich genannt, aber im Abspann sind Fotos von ihr zu sehen. Dieser Stoff hat Regisseurin Christina Tournatzés von Anfang an ergriffen und so entstand ihr erster langer Spielfilm. Wichtig war den beiden Filmemacherinnen, dass dieses schwierige Thema behandelt wird, ohne den Missbrauch durch den Vater in Worten zu schildern, geschweige denn in Bildern zu zeigen. Verschwommene Rückblenden beschreiben Karlas Ängste sowie die Ohnmacht, sich gegen die Gewalt ihres Vaters nicht wehren zu können. Bewegend sind vor allem auch Karlas Reaktionen während der Gespräche mit Richter Lamy, wenn die traumatischen Erlebnisse sie einholen. Hier wird bereits deutlich, welchen Strapazen die 12-Jährige später vor Gericht ausgesetzt sein wird.
Gespielt wird Karla mit großer Präsenz von Elise Krieps, Tochter der Schauspielerin Vicky Krieps. Sie vermag, die Beharrlichkeit und Stärke wie aber auch die Verletzungen ihrer Figur überzeugend darzustellen. Um der Figur Karla nahe zu kommen, deren Entwicklung nachvollziehen zu können, wurde für Elise extra chronologisch gedreht.
Auf ganzer Linie überzeugt auch Rainer Bock. Denn „Karla“ lebt ebenso von der Zivilcourage seines Richters, der Partei ergreift, obwohl er damit Ansehen und Stellung aufs Spiel setzt. Wie einfühlsam sich die Beziehung zwischen dem Mädchen und dem Richter entwickelt, ist eine der großen Stärken dieses Films, der im Stil eines Kammerspiels nicht nur unter die Haut geht, sondern auch bis zum Schluss fesselt.
Barbara Felsmann
Deutschland 2025, Regie: Christina Tournatzés, Kinostart: 02.10.2025, FSK: ab 12, Empfehlung: ab 15 Jahren, Laufzeit: 104 Min., Buch: Yvonne Görlach, Kamera: Florian Emmerich, Ton: Alex Rubin, Schnitt: Isabel Meier, Produktion: Jamila Wenske, Melanie Blocksdorf/ achtung.panda!, Verleih: Eksystent Filmverleih, Besetzung: Elise Krieps (Karla), Rainer Bock (Richter Lamy), Imogen Kogge (Frau Steinberg), Torben Liebrecht (Karl Ebel), Katharina Schüttler (Viktoria Ebel) u. a.
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