Closet Monster
Auf Sooner: Fantasie als Schutzraum und Sanftheit als Widerstand. Oscar erlebt homofeindliche Gewalt und findet einen Weg, sich zu behaupten.
Es beginnt mit einem Traum: Der 10-jährige Oscar und sein Vater teilen ein Gute-Nacht-Ritual, das Oscar schöne Träume verspricht und seine kindliche Fantasie anregt. Der Frieden dieser Eingangsszene währt allerdings nicht lange: Oscars Mutter verlässt die Familie, sein Vater verarbeitet das Ende der Ehe nicht gut, ist kleinlich, eifersüchtig, vorwurfsvoll. Oscar zieht sich zunehmend in seine eigene Gedankenwelt zurück, spricht mit seiner Hamsterdame Buffy – wunderbar humorvoll gesprochen von Isabella Rossellini –, deren Ratschläge ihn weit über die Pubertät hinaus begleiten.
Kurz nach der Trennung seiner Eltern wird Oscar Zeuge einer Vergewaltigung: Ein Junge wird mit einer Eisenstange so schwer verletzt, dass er fortan im Rollstuhl sitzt. Als Oscar seinen Vater fragt, warum dem Jungen dies angetan wurde, lautet die lapidare Antwort: „Er ist schwul.“
Von da an wird die Eisenstange zu einem wiederkehrenden Symbol für homofeindliche Gewalt – eines, das Oscar auch in seiner Fantasiewelt heimsucht. Das Trauma gräbt sich tief in seine Vorstellungskraft ein und wird Teil seiner inneren Kämpfe. Denn auch Oscar ist schwul. „Closet Monster“ erzählt von der Erkenntnis dieser Tatsache, aber auch von Kämpfen um Akzeptanz.
Der Film schildert einerseits in schonungslos-authentischer Weise die Homofeindlichkeit, die Oscar als schwuler Teenager von seinem verständnislosen Vater ertragen muss, lässt uns aber auch an seiner Entwicklung zum jungen Mann teilhaben. In mit viel Feingefühl inszenierten Szenen zeigt er, wie Oscar schrittweise entdeckt, wer er ist und was er will.
Oscar träumt von einer Karriere als Special-Effects-Künstler, bewirbt sich an einer renommierten Schule in New York City, macht Fotoshootings mit seiner besten Freundin Gemma in Monster-Make-up. Die (Selbst-)Gespräche mit Buffy sind dabei eine wichtige Quelle des Trosts und der Motivation.
Beim Ferienjob im Baumarkt begegnet Oscar dem gleichaltrigen Wilder – es ist ein Crush auf den ersten Blick. Und obwohl sich später herausstellt, dass Wilder Oscars Gefühle nicht erwidert, ist er trotzdem derjenige, der zumindest ein paar Fragen beantworten und ein paar Wunden in Oscars Seele heilen kann. Eine Szene, die so schön gedreht ist, dass sie noch lange nachwirkt.
Auch filmisch kann „Closet Monster“ überzeugen. Die visuelle Gestaltung unterstreicht Oscars Innenleben gekonnt: Farblich kontrastreiche Szenen spiegeln emotionale Umbrüche, die Kamera bleibt oft nah an ihm und macht seine Verletzlichkeit spürbar. Der Soundtrack verbindet elektronische Klänge mit melancholischen Tönen und schafft eine Atmosphäre zwischen Traum und Realität, die Oscars Zerrissenheit, aber auch seine Hoffnung spiegelt.
Auf diese Weise entsteht eine Coming-of-age-and-out-Geschichte, die definitiv keine leichte Kost, keine Gute-Laune-Unterhaltung, dafür aber ein anrührendes und wunderschön inszeniertes Porträt eines jungen Mannes ist, der, trotz aller Bemühungen seiner Umwelt, Hass und Verbitterung in ihm zu säen, nicht verlernt, Sanftheit zuzulassen – und darin nicht nur Gleichgesinnte, sondern sogar seine innere Stärke findet.
Len Klapdor
Kanada 2016, Regie: Stephen Dunn, Homevideostart: 16.06.2025, FSK: ab 12, Empfehlung: ab 16 Jahren, Laufzeit: 90 Min., Kamera: Bobby Shore, Schnitt: Bryan Atkinson, Musik: Maya Postepski, Todor Kobakov, Produktion: Rhombus Media, Best Boy Entertainment, Verleih: Elevation Pictures/Sooner, Besetzung: Connor Jessup (Oscar Madly), Aaron Abrams (Peter Madly), Aliocha Schneider (Wilder), Isabella Rossellini (Buffy), Sophia Banzhaf (Gemma)
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