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Festivals | | von Barbara Felsmann

Vertrauen auf die Bildsprache

Neue Dokumentarfilme bei doxs! 2019

Ein Karrieresprung: Das Dokumentarfilmfest für Kinder und Jugendliche doxs! gehört seit diesem Jahr gleichberechtigt zur Duisburger Filmwoche. Gleich geblieben ist das hohe Niveau der Beiträge, die mit selbstbewussten Protagonist*innen aufwarten, Gefühlswelten sichtbar machen und die Augen nicht vor existenziellen Problemen junger Menschen in der heutigen Welt verschließen.

„La vraie vie‟ („Marseille, zum Mond und zurück‟) (c) Festival

„Wenn man jemand anders am Ellbogen leckt, dann merkt der das nicht“, erklärt ein Junge zusammen mit seinen beiden Freunden lachend vor der Kamera und das ganze Kino lacht mit, applaudiert sogar. Der neue Trailer von doxs!, dem Dokumentarfilme für Kinder und Jugendliche bei der Duisburger Filmwoche, verblüfft, macht Spaß und provoziert Heiterkeit. So selbstbewusst kommen die jungen Protagonist*innen im diesjährigen Programm des Festivals auch daher, aber so freudvoll und witzig wie der Trailer sind all diese Beiträge nicht, beschäftigen sie sich doch zumeist mit existenziellen Problemen von jungen Menschen in der heutigen Welt.

Das Dokumentarfilmfestival für Kinder und Jugendliche, das in diesem Jahr seine 18. Ausgabe gefeiert hat, gehört nun unter der neuen Leitung von Gudrun Sommer und Christian Koch gleichberechtigt zur Duisburger Filmwoche. Ansonsten hat sich bei doxs! wenig verändert. Nach wie vor erwarten hier die Festivalgäste ein qualitativ hochwertiges Filmprogramm, anspruchsvolle Publikumsgespräche sowie spannende Rahmenveranstaltungen im Vorfeld und während des Festivals.

26 europäische Dokumentarfilme wurden in diesem Jahr bei doxs! präsentiert. Davon griffen gleich mehrere Beiträge die Themen Tod, Sterben und Abschiednehmen auf, andere handelten von Cyber-Mobbing und Swatting, es ging um Diskriminierung, um Fluchterfahrungen und zuvorderst auch um die Suche nach sich selbst und einem Fixpunkt in schwierigen Zeiten.

„Tårene trenger å hvile‟ („Es braucht Zeit‟) (c) Festival

Atmosphärisch dicht am Innenleben der jungen Protagonist*innen

So bewegt die beiden Freundinnen Rania und Samara in dem französischen Film „La vraie vie‟ („Marseille, zum Mond und zurück‟, 2018) nur eine Frage: Wie können sie verhindern, dass sie im nächsten Schuljahr getrennt werden? Denn die 14-jährige Rania wird nach den Sommerferien eine weitergehende Einrichtung besuchen, während die ein Jahr jüngere Samara in der alten Schule bleibt. Regisseur Benjamin Chevallier begleitet die Mädchen während der Ferien mit der Kamera, wie sie in ihrem Wohngebiet herumhängen und in ihrer Phantasie alle möglichen Lösungen für ihr Problem finden. Dabei konzentriert er sich ganz auf die Stimmungen der Mädchen, ihre Angst vor dem Neuen, ihre Traurigkeit. Fakten spielen dabei weniger eine Rolle, es geht um die innere Verfasstheit der Kinder, die hier sensibel aufgezeigt wird.

Ähnlich mutet der mit einer lobenden Erwähnung ausgezeichnete Dokumentarfilm „Dazwischen Elsa‟ (2019) von Katharina Pethke und Christoph Rohrscheidt an. Auch hier wird nur das Notwendigste an Informationen gegeben. Angaben über Alter, Wohnort, Familienverhältnisse oder Zeiten fallen weg, zugunsten von Elsas Konflikt und ihrer inneren Zerrissenheit. Elsa sieht sich einem unglaublichen Druck ausgeliefert, als sie sich nach dem Abitur für eine Ausbildung und einen Beruf entscheiden soll, mit dem sie Geld verdienen kann, der aber vor allem ihrer Selbstverwirklichung Raum lässt. Die Filmemacher*innen sehen darin ein gegenwärtiges universelles Problem, dass sie zur Diskussion stellen, indem sie sich ganz auf ihre junge Protagonistin und deren Suche konzentrieren.

Auch die norwegisch-chinesischen Koproduktion „Last Days of Summer‟ („Die letzten Tage des Sommers‟, 2019) schildert atmosphärisch dicht die Gefühlswelt der kleinen Xinxin, die die Sommerferien bei ihren Großeltern in der chinesischen Provinz verbringt. Wie in den bereits erwähnten Festivalbeiträgen gibt es hier kaum Informationen über das Umfeld des Mädchens, keinen „Faktencheck“, das Publikum weiß noch nicht einmal, wo genau dieser Film spielt. Dafür aber findet Regisseur Michael Mellemløkken Renjo wunderbare stille Bilder für die friedvolle Stimmung, die Xinxin bei den Großeltern erlebt, und die innere Zufriedenheit des Kindes.

Aber auch der bewegende tschechische Animationsfilm „Spolu Sami‟ („Zusammen allein‟, 2018) von Diana Cam Van Nguyen, die drei Menschen im Off von ihrer Trauer um einen geliebten Menschen erzählen lässt, oder aber der norwegische, in Schwarzweiß gedrehte „Tårene trenger å hvile‟ („Es braucht Zeit‟, 2019) von Halvor Nitteberg über ein 18-jähriges Mädchen, das über den Verlust zweier Geschwister nur schwer hinwegkommt, bauen auf die Bildsprache und konzentrieren sich auf die Widerspieglung der Gefühlswelten.

„Spolu Sami‟ („Zusammen allein‟) (c) Festival

Eindringliche Bilder, die keinen Kommentar benötigen

Wie ganz nebenbei erzählt die Koproduktion aus den USA und Großbritannien „Skip Day‟ (2018) eine Geschichte von alltäglicher Diskriminierung, die unter die Haut geht. Die Filmemacher Ivete Lucas und Patrick Bresnan begleiten eine Gruppe schwarzer High School-Schüler*innen, die ihren „Skip Day“ an der Küste verbringen. Ganz nah mit der Kamera bei den ausgelassenen Jugendlichen in Partystimmung schwenkt sie dann ab und zu über den Strand und zeigt weiße US-Bürger*innen, die eilig ihre Sachen zusammenpacken und den Jugendlichen entfliehen, ohne dass irgendetwas vorgefallen ist. Doch es kommt noch ärger, als ein weißer Jogger meint, der Strand gehöre ihm. „Skip Day‟ arbeitet mit Überraschungen, vertraut ganz und gar auf das Gezeigte und verzichtet auf jeglichen Kommentar mit dem Ergebnis, dass dieser Film lange nachwirkt und zu Diskussionen anregt.

„Skip Day“ (c) Festival

Bedrohungen in unserer digitalen Welt

Gleich zwei Filme im diesjährigen doxs!-Programm setzten sich mit beängstigenden Erscheinungen in sozialen Netzwerken und virtuellen Gemeinschaften auseinander. So beschäftigte sich die niederländische Regisseurin Eef Hilgers, die bereits in mehreren Filmen Gewalt im Internet zum Thema gemacht hat, diesmal mit Mobbing auf Facebook und Instagram. Im Mittelpunkt ihrer neuen Arbeit „#Pestverhaal‟ („#Mobbinggeschichte‟, 2018) steht die 13-jährige Rosalie, die sehr genau über ihre Verletzungen sprechen kann und sich zudem Hilfe bei anderen Kindern holt, die ähnliche Erfahrungen gemacht und dabei gelernt haben, sich zu wehren.

Der französische Festivalbeitrag „Swatted‟ (2018) von Ismaël Joffroy Chandoutis beschreibt überwiegend mit Aufnahmen aus dem Netz das so genannte Swatting, bei dem Polizeieinheiten oder Spezialkommandos unter falschem Vorwand zu ausgewählten Personen geschickt werden – ein Phänomen, das seit geraumer Zeit auch unter Online-Gamer*innen Verbreitung findet und bereits Todesopfer gefordert hat. Beides wichtige Filme, die sich brennenden Problemen unserer Zeit zuwenden. Dokumentarische Arbeiten, die sich mit sozialen Problemen von Kindern auseinandersetzen, fehlten allerdings in diesem Jahr.

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