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Festivals | | von Stefan Stiletto

Kinderfilme für Erwachsene, Animationen für Kinder, Roboter mit Erinnerungen und vieles mehr

Unsere Berlinale-Generation Pinnwand 2025

Berlinale verpasst? Kein Problem. Hier kommt eine absolut subjektive, partikulare, unvollständige Zusammenstellung von Eindrücken, Gedanken, Beobachtungen rund um Kinder- und Jugendfilme, die im Rahmen der Berlinale 2025 zu sehen waren. In der einschlägigen Sektion Generation und darüber hinaus waren für uns Christian Exner, Thomas Hartmann, Katrin Hoffmann, Verena Schmöller, Ulrike Seyffarth, Kirsten Taylor und Holger Twele unterwegs.

Filmstill aus Christy
"Christy" (c) Sleeper Films, Wayward Films, Nite Owl Film & TV

Das erreichte und das nicht-erreichte Publikum

Gemeinsam gucken

(von Thomas Hartmann)

Montag, 17. Februar, um 12:30 Uhr im Saal 1 des Zoopalast. In der Sektion Generation steht der irische Film „Christy“ (Brendan Canty, 2025) auf dem Programm. Wie immer sind die rund 800 Plätze des Kinos voll besetzt, die Stimmung ist gut, beinah aufgeregt. Das ist besonders den vielen Schulklassen geschuldet, die sich an diesem Morgen gemeinsam auf den Weg gemacht haben, um sich den ebenso bewegenden wie ungemein humorvollen Film über einen 17-jährigen Jugendlichen anzuschauen, der im Norden der irischen Stadt Cork ein unstetes Leben zwischen Familie, Pflegefamilie, Jugendamt und Peers führt. (Am Ende des Festivals übrigens ausgezeichnet mit dem großen Preis der internationalen Jury für den besten Film in Generation 14plus.) Ich nehme meinen Platz ein, warte auf den Start des Films und lausche derweil den Gesprächen der um mich herum sitzenden Schüler*innen. Ein junges Mädchen stellt überrascht fest: „Es sind ja lauter Erwachsene hier?!“ Ich teile ihren Eindruck und verstehe ihre Verwunderung. Im Alltag dürften Jugendliche nur selten die Erfahrung machen, dass sich so viele „alte“ Menschen für ihre Themen interessieren. Hier ist das anders. Die viel beschworene verbindende Kraft des Kinos findet in der Sektion Generation tatsächlich eine reale Entsprechung, quer über alle Altersgrenzen hinweg. Während des Films haben wir alle gemeinsam gelacht und geweint. Diese kollektive Erfahrung war mindestens ebenso bereichernd wie der Film selbst. Zumindest für mich als Erwachsenen...

Kein Platz mehr für die Allerjüngsten

(von Ulrike Seyffarth)

Nein, Generation, die Sektion für Kinder- und Jugendfilm der Berlinale, ist nicht etwa altersschwächelnd in die Jahre gekommen: Das diesjährige Filmprogramm war frisch, herausfordernd und insgesamt überzeugend. Es ist jedoch auffällig, dass sich das Kplus-Angebot für die Allerjüngsten von Jahr zu Jahr reduziert.

Kinder, waren das noch Zeiten, als von 14 Kplus-Langfilmen ganze elf für unter Zehnjährige gedacht waren – zum Beispiel 2019! Immer luden Kurzfilmprogramme ab vier, ab fünf oder ab sechs Jahren die Kleinsten zu ihrer oft allerersten Kinoerfahrung ein, wurde in einer neuen Generation der Keim für eine lebenslange Liebe zu Kino und Film gesät. Seit 2024 umfasst das Kurzfilmprogramm nur noch zwei Schienen: ab 8/9 und ab 12 Jahren, die Schiene für Vorschulkinder wurde gestrichen. Ausgerechnet! Ob das nun an Budgetkürzungen oder einem Mangel an geeigneten Filmen liegt, wie von Generation-Leiter Sebastian Markt zu hören ist – der Verlust schmerzt, mit Spätfolgen ist zu rechnen. Immerhin ein Hoffnungsschimmer: Mit 19 Langfilmen (davon neun bei Kplus und zehn bei 14plus) liegt die Anzahl der Produktionen bei Generation gesamt leicht höher als im Vorjahr (sieben bei Kplus und acht bei 14plus). Mal sehen, wohin die Reise geht.

Passend oder nicht?

Wofür steht das K in Kplus nochmal?

(von Katrin Hoffmann)

Das „K“ in Kplus steht für Kinder, also für das Publikum bei der Berlinale, das unter 14 Jahren ist. Welche Filme sind für dieses Alter geeignet? Jedenfalls nicht der ab zwölf Jahren empfohlene spanische Dokumentarfilm „Only on Earth“ (Robin Petré, 2025), der von brennenden Steppen und Wäldern, fliehenden Pferden und Naturkatastrophen erzählt, ohne dem jungen Publikum einen Hauch von Zuversicht zu vermitteln. Und was ist mit dem 141 Minuten langen „Seaside Serendipity“ (Satoko Yokohama, 2025) über eine Künstlerakademie in Japan, in der sich unterschiedliche junge Talente kreativ ausleben? Ein erratischer Film, den die Kurator*innen der Sektion Generation ab 10 Jahren empfohlen haben. Was will dieser Film Kindern zeigen? Weder in dem einen noch in dem anderen Film gibt es ein Kind, dem das Kinderpublikum als Identifikationsfigur folgen kann. Auch der Eröffnungsfilm ist eher verstörend. „The Nature of Invisible Things“ (Rafaela Camelo, 2025) begleitet zwei Mädchen im Krankenhaus, die dort auf die Mutter beziehungsweise die Oma warten. Ab der Mitte des Films verliert die Geschichte die Kinder aus dem Blick und es geht vor allem um die Mütter und Verwandten. Ab 8 Jahren empfohlen, obwohl eine Operation mitsamt blutigem einsamen Herz auf dem Seziertisch gezeigt wird. Die Kurzfilmprogramme, die per se für kleine Kinder als Einstieg in ihre Kinosozialisation geeignet wären, sind erst ab 9 und ab 12 Jahren empfohlen. Schade. Man hätte sich gewünscht, dass das Zielpublikum Kinder ernsthaft in den Blick genommen worden wäre. Aber die Kleineren sind aus kuratorischer Sicht leider viel zu wenig berücksichtigt worden.

Streitbar, aber auch glänzend

(von Holger Twele)

Ob der japanische Film „Seaside Serendipity“ (2025) von Satoko Yokohama mit seinen drei lose zusammenhängenden Geschichten aus einem von vielen Künstler*innen aufgesuchten Dorf mit seiner Lauflänge von mehr als 140 Minuten wirklich in das Programm von Generation Kplus gehörte, darüber lässt sich streiten. Gerade dieser Film glänzt allerdings mit einem Feuerwerk an fantastischen und geradezu magischen Begebenheiten. Zwei von ihnen sind besonders in Erinnerung geblieben. In der ersten Geschichte fasziniert ein Messerverkäufer auf dem Markt das Laufpublikum, indem er einen kleinen Fisch in die Luft wirft, der durch das akrobatisch eingesetzte Messer in wohlproportionierte Stücke zerteilt akkurat auf einem Tablett landet. So finden die Messer reißenden Absatz, verlieren nach erstem Einsatz allerdings ihren Gebrauchswert. In der dritten Geschichte kann die einer profitorientierten Wohnraum-Spekulantin geschenkte Kanarienvogel-Pfeife nur von echten Künstler*innen zum Ertönen gebracht werden. Hier trennt sich die Spreu der vermeintlichen Künstler*innennaturen auf überraschende Weise schnell vom Weizen.

Filmstill aus Ran Bi Wa
"Ran Bi Wa" (c) Shanghai Animation Film Studio

Feuer, Schnee und Blut

(von Ulrike Seyffarth)

„Ran Bi Wa – Eine Geschichte vom Feuer“ (Li Wenyu, 2025) lautete der Titel des fulminanten Animationsfilm aus China in der Reihe Kplus. Aber „Eine Geschichte vom Fressen und Gefressenwerden“ wäre der vielleicht passendere Titel gewesen, denn um Feuer geht’s erst ganz am Ende. Bis dahin herrscht Schnee auf der Leinwand vor, von dem sich das spritzende Blut der frisch erlegten Tiere als herrlich leuchtendes Rot besonders gut abhebt. Die Berlinale-Sektion Generation ist von jeher ein Garant fürs Ausloten der Grenzen seiner jungen Zuschauer*innen (und involvierter Erwachsener). Von übermäßiger Bewahrpädagogik oder Unterforderung des kindlichen Zielpublikums kann keine Rede sein. Harte Lebensrealitäten, Verlust, Tod und Sterben sind fixe Zutaten, auch bei Kplus. Hier nun schlagen sich ein Affe, der nicht aussieht wie ein Affe (die zugrunde liegende Legende sorgt da für Verwirrung), und sein Kumpel Doggie, ein Wolf, gemeinsam durch die Wildnis, in der wirklich ständig und überall Gefahren lauern. Die beiden sind mal Jäger, mal Gejagte. Irgendwer erfüllt immer sein Schicksal am Ende der Nahrungskette, gnadenlos ist das Gesetz des Dschungels. In der Repetition der Jagen–Töten–Fressen-Szenen liegt ein gewisser Witz, der Zusammenhalt des ungleichen Paars tut gut. Ein Garant für ein Happy End ist das nicht. Die nach der Vorführung befragten Zwölfjährigen fanden den Film „krass spannend“. Alles in Ordnung also.

Zwischendurch

Ich steh auf Berlin

(von Christian Exner)

Es gibt noch eine Stadt und ein Leben jenseits der dunklen Säle. Bei den hektischen Ortswechseln von Kino zu Kino habe ich oft ohrwurmmäßig meinen persönlichen Berlinale-Song im Kopf, um mich innerlich runterzubringen. Dann tönt es auf einmal Love-Parade-mäßig durch die Straßen, denn direkt an meinem Hotel zieht die CSD-Demonstration gegen die AfD entlang. Sie ist laut und sie ist bunt. „Ich fühl mich gut, ich steh auf Berlin“ schießt mir in den Kopf, obwohl das Sound-System eigentlich ganz andere und viel fettere Grooves in den Äther schickt. Ich fühle mich mitgerissen, doch halt – der nächste Film ruft.

Natur und Technik

Seelenspiegel

(von Holger Twele)

Filmszenen vor großartiger Naturkulisse erhöhen seit jeher den ästhetischen Reiz eines Films. In außergewöhnlich vielen Beiträgen von Generation haben Aufnahmen der Natur zugleich eine dramaturgische Funktion, dienen als Spiegel von Befindlichkeiten der Hauptfiguren. Exemplarisch und besonders augenfällig war das in dem dokumentarischen Film „Only on Earth“ (2025) von Robin Petré, in dem mehrere Dörfer und eine Herde von Wildpferden in Galizien durch verheerende Waldbrände bedroht sind. Oder in „Sandbag Dam“ (2025) von Cejen Černić Čanak, in dem ein Fluss über die Ufer tritt und ein kroatisches Dorf zu überschwemmen droht, wobei im Ort eine wieder aufflammende queere Liebesbeziehung ein Chaos aus Vorurteilen und Anfeindungen erzeugt. Ganz anders gelagert sind zwei Filme voller Poesie und stiller Beobachtung. In „The Botanist“ (2025) von Jing Yi findet ein einsamer kasachischer Junge in Nordchina Trost in der Beobachtung der Natur. Aber auch eine chinesische Freundin, die seine Vorliebe für die Natur teilt, bis sie ins ferne Shanghai umziehen muss. Und in „Village Rockstars 2“ (2024) von Rima Das träumt die jugendliche Hauptdarstellerin aus einem Dorf im indischen Assam im Wechsel der Jahreszeiten und bei zahlreichen Sonnenuntergängen von einer Karriere als Musikerin, wird aber immer stärker mit dem harten Alltag, mit Überschwemmungen und anderen tragischen Ereignissen konfrontiert.

Der Roboter als Freund und ständiger Begleiter

(von Christian Exner)

Der Roboter als Freund und ständiger Begleiter. Nach „Robot Dreams“ (Pablo Berger, 2023) kommt nun mit „Space Cadet“ (Eric San/Kid Koala, 2025) der zweite Film mit dieser Plotidee, ebenfalls nach einer Comicvorlage und ebenso ohne Dialoge. Der Roboter in diesem Film steht vor einem Software-Problem und muss sich rebooten. Doch er weiß, dass er damit seine Erinnerungen verlieren wird. Erinnerungen und Erfahrungen prägen uns und unsere Identität. Sie verbinden uns mit anderen Menschen. Das können wir ausgerechnet von der Maschine lernen. Was für ein schöner und ergreifender Film. Wer sagt noch, dass Roboter kein Herz haben?

Filmstill aus El mensaje - The Message
"El mensaje" (c) Iván Fund, Laura Mara Tablón, Gustavo Schiaffino / Rita Cine, Insomnia Films

Über den Tellerrand hinaus

Junge Perspektiven jenseits von Generation

(von Verena Schmöller)

Der Blick von Kindern und Jugendlichen auf die Welt spielt nicht nur im Berlinale-Programm für das junge Publikum, sondern sektionsübergreifend eine Rolle. So nimmt der Wettbewerbsbeitrag „The Message“ (2025) von Iván Fund die Perspektive der jungen Anika beispielhaft in den Fokus, um eine sonderbare und eigenwillig inszenierte Geschichte um die Begabung des jungen Mädchens zu erzählen. Es ist Anikas Herzlichkeit, ihr Lachen wie ihr Lümmeln, die das Berlinale-Publikum in seinen Bann gezogen haben.

Ähnliches gilt für „Olmo“ (2025) von Fernando Eimbcke. Der in der Sektion Panorama gezeigte Film platziert seinen Coming-of-Age-Moment an einem zunächst ganz normalen Samstag Nachmittag für den 14-jährigen Olmo. Ihm steht ein eintöniger Tag bevor, festgebunden ans Zuhause, wo er den bettlägerigen Vater versorgen soll, während die Mutter arbeitet und die Schwester unterwegs ist. Und dann kommt alles anders. Ein Film, leichtfüßig erzählt, mit all den Pannen und Peinlichkeiten des Jungseins, sich unsterblich, allmächtig und unwiderstehlich und gleichzeitig so unsicher wie noch nie zuvor zu fühlen.

Auf dass beide Filme ihre Wege zum jungen Publikum finden mögen, das sich einerseits in den Figuren wiederfinden und mit ihnen lernen, beobachten, welterfahrener werden wird und andererseits sorgsam orchestrierte Kinomomente erleben kann.

Inspirierend

Zirkuskind im Zoopalast

(von Katrin Hoffmann)

Zur Premiere des Dokumentarfilms „Zirkuskind“ von Julia Lemke und Anna Koch verwandelt sich der Zoopalast mit seinen 850 Plätzen in einen Zirkus. Der elfjährige Santino ist das „Zirkuskind“, das mit seinem engen Verhältnis zu seinem Uropa im Mittelpunkt steht. Fast die gesamte Zirkusfamilie ist zur Kinovorstellung angereist, der Saal ist ausverkauft. Während der gesamten Vorstellung ist es mucksmäuschenstill im Publikum, denn die Anstrengungen, die Santino und all die anderen der Großfamilie täglich bewältigen müssen, überträgt sich unmittelbar in die Kino-Manege. Aber auch die Freuden und Erfolge der großen und kleinen Artist*innen sind spannend beobachtet, sodass das Gefühl aufkommt, wirklich mittendrin unter der Zirkuskuppel zu sein. Unter tosendem Applaus kommen Zirkusfamilie und Filmteam schließlich auf die Bühne, die Fragen aus dem Publikum nehmen kein Ende. Die Begeisterung hat sich direkt in den Zuschauer*innenraum übertragen. Viele hier bekunden ihre Absicht, endlich mal wieder in den Zirkus zu gehen. Denn es gibt ihn noch immer, den guten alten Zirkus mit seinen wagemutigen Akrobat*innen. Auf diesen besonderen Kinderfilm hat man wirklich gewartet.

Fimstill aus Maya, donne-moi un titre
"Maya, donne-moi un titre" (c) Partizan Films

Ein Geschenk für alle

(von Kirsten Taylor)

In Paris tobt ein Erdbeben. Alle haben Angst, außer Maya, die sich ihren Fotoapparat schnappt, um das Chaos zu dokumentieren. Die Häuser schwanken, der Asphalt reißt auf, aber die Kleine kann ihre Mutter schnell davon überzeugen, dass keine Gefahr drohe: „Wir sind in einem Film von Papa! Alles ist aus Papier! Schau!“ und sie reißt sich zum Beweis entzwei, um im Nu wieder zusammengeklebt zu sein.

Der Papa heißt Michel Gondry und hat mit einfachen Mitteln – mit Papier, Stiften, Schere, Kleber und einem Tricktisch – so entzückende wie skurrile Geschichten für seine Tochter animiert, wobei sie ihm in knappen Sätzen vorab mitgeteilt hat, was sie gerne sehen möchte: „Maya im Meer mit einer Flasche Ketchup“ zum Beispiel. Oder: „Maya und die drei diebischen Katzen“. Eine kleine Auswahl dieser Stop-Motion-Filme hat er nun in „Maya, donne-moi un titre“ (2024) gebündelt und zusammen mit seiner „fast zehnjährigen“ Tochter, Mitarbeiterin (sie kündigt im Film die Episoden an) und Titelheldin im Kinderprogramm Kplus vorgestellt. Im nachfolgenden Q&A erzählt Maya, dass ihre liebste Geschichte diejenige sei, in der ihr Vater singe. „Mein Papa sagt immer, dass er nicht singen kann, aber das stimmt gar nicht!“ Sie freut sich, dass die Geschichten nun vor großem Publikum gezeigt werden. Was als Geschenk für sie allein gedacht war, ist nun ein Film für alle geworden.

Animierende Animationen

(von Christian Exner)

Kinder im Vorschulalter denken sich fantastische Geschichten aus und lassen sie dann in Legetrickwelten lebendig werden. Das kenne und liebe ich aus dem Deutschen Jugendfilmpreis. Jetzt hat Michel Gondry, der immer schon einen kindlichen Ansatz des Filmens hatte, einen solchen Film mit seiner Tochter Maya gemacht. An alle Familien: schauen und bitte nachmachen. Michel Gondry will das so und er liefert eine inspirierende Vorlage, der man gerne nacheifert.

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