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Festivals | | von Holger Twele

Fallstricke der Vielfalt

Gedanken zu einer Podiumsdiskussion über Diversität im Kinder- und Jugendfilm bei "Lucas" 2019

Vielfalt in jeglicher Hinsicht soll in Filmen abgebildet werden, um Ausgrenzungen, Diskriminierungen und Fremdzuschreibungen zu vermeiden. In einer Podiumsdiskussion auf dem Filmfestival LUCAS wurde darüber diskutiert, wie es um die Darstellung von Diversität im Kinder- und Jugendfilm steht und was die Forderung nach Vielfalt für diesen bedeuten kann.

"Girl" (c) DCM

Im Rahmen des LUCAS-Filmfestivals in Frankfurt diskutierten die Regisseurin Evi Goldbrunner („Auf Augenhöhe“), die Drehbuchautorin Anja Kömmerling („Winnetous Sohn“), die Produzentin Zorana Musikic („Maradonas Beine“), die Casterin Ingrid Stropp und Carolin Fuchs von den Schulkinowochen Hessen über Diversität im Kinder- und Jugendfilm. Ein „weites Feld“, wie sich schnell herausstellte, denn Diversität wird wohl solange „ein Thema bleiben, bis es keines mehr ist“. Wohl auch deshalb, weil sie weit über die soziologische Definition der Unterscheidung und Anerkennung von Gruppen- und individuellen Merkmalen hinausweist und insbesondere bei Kinder- und Jugendfilmen eine Vielfalt von Geschichten, Themen, Stil- und Ausdrucksmitteln wünschenswert macht.

Die Gefahr der Überfrachtung

Drehbuchautor*innen, Produzent*innen, Verleiher*innen, aber auch Fördergremien und Fernsehanstalten stehen vor einem scheinbar unlösbaren Dilemma, wollen sie die öffentliche Forderung nach mehr Diversität wirklich erfüllen. Allein schon die sozialisationsbedingten und kulturellen Unterschiede lassen sich neben dem Geschlecht, der Religion oder der sexuellen Orientierung unmöglich alle in einer einzigen Geschichte unterbringen. Sie wäre hoffnungslos überfrachtet und für das Kino völlig untauglich. Wenn genau das ansatzweise dann doch immer wieder versucht wird, leiden die Geschichten darunter; sie wirken konstruiert und unglaubwürdig, gehen kaputt. Warum etwa sollte man um jeden Preis in einer stimmigen Geschichte über drei Jungen unbedingt noch ein Mädchen integrieren (und umgekehrt!), darunter am besten gleich noch ein gehandicaptes Kind, wenn das der Geschichte abträglich ist? Und wie will man dem jungen Publikum Geschichten aus fernen Ländern und Kulturen nahebringen, wenn unbedingt auch noch ein Kind aus einem anderen Kulturkreis mitwirken soll?

Was soll eigentlich erzählt werden?

"Die Mitte der Welt" (c) Universum

Einigkeit auf dem Podium herrschte immerhin in der festen Überzeugung, dass zu viel Diversität, die manchmal bereits beim Casting mögliche Talente ausschließt, eine Geschichte zerstören kann. Manche Fördergremien tragen dazu bei, wenn die Fördergelder etwa nur an bestimmte Themen und Figurenkonstellationen gebunden sind. Oberste Priorität muss jedoch immer die Geschichte selbst haben und die Frage, was mit dieser Geschichte erzählt werden soll. Das klingt plausibel, ist es in der Realität aber nicht. Interessanterweise haben internationale Koproduktion einen Vorteil, weil mindestens zwei Länder eingebunden sind, die nicht immer derselben Auffassung sein können. Daher achten solche Produktionen manchmal mehr auf die Stringenz einer Geschichte und vermeiden faule Kompromisse.

Unterschiedliche, wenn auch nicht völlig unvereinbare Auffassungen gab es bei der Frage, wie Diversität im Film dargestellt werden soll. Eine Jugendliche aus dem Publikum wünschte sich hier mehr Filme, in denen die Diversität nicht erst hervorgehoben wird, sondern wie selbstverständlich in die Geschichte und in den Lebensalltag der jungen Protagonist*innen eingebunden ist. Demgegenüber hat der pädagogische Ansatz eine lange Tradition in Deutschland, zumal den Autor*innen häufig vermittelt wurde, sie müssten alles immer genau begründen. Diversität soll sich aber aus der Geschichte selbst ergeben. Als positives Beispiel dafür wurde der Film „Die Mitte der Welt“ genannt, eine Liebesgeschichte, bei der die Homosexualität der Hauptfigur gar nicht erst problematisiert werden muss. Als Gegenbeispiel diente der Film „Girl“, in dem es explizit um das Thema Geschlechtsumwandlung geht. Nebenbei lässt sich das kaum erzählen. Offensichtlich haben beide Herangehensweisen, eine Geschichte zu erzählen, also ihre Berechtigung.

Neue Perspektiven durch konventionelle und äußergewöhnliche Geschichten

Bleibt noch das junge Publikum selbst, das die Diversität nicht nur im Hinblick auf den Anteil von Menschen mit Migrationshintergrund längst offen lebt und das man auf keinen Fall unterschätzen darf. Auch wenn die Forderung nicht neu ist, kommt es hier insbesondere darauf an, diesem Publikum eine möglichst große Vielfalt an Filmen und Themen zu bieten, die neue Perspektiven und Vergleiche mit der eigenen Lebensrealität ermöglichen und Erkenntnisprozesse in Gang setzen. Das betrifft sowohl die eher konventionellen Geschichten, in denen Diversität mehr zur Selbstverständlichkeit werden muss, wie auch ganz spezielle Geschichten, die wirklich nur sehr speziell erzählt werden können und die es leider immer noch viel zu selten gibt.

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