Festivals | | von Holger Twele
"Die meisten Filmemacher*innen sind von der Qualität unserer Kritik überrascht"
Fünf Jahre doku.klasse bei doxs! (2018)
Seit 17 Jahren ist das im Rahmen der Duisburger Filmwoche stattfindende doxs!-Festival Ansprechpartner in Deutschland, wenn es um die Förderung und Rezeption von Dokumentarfilmen für Kinder und Jugendliche geht. 2014 wurde mit der doku.klasse ein weiteres Projekt initiiert, das in Zusammenarbeit mit der Filmredaktion 3sat/ZDF, Deutschlandfunk Kultur, der Grimme-Akademie und der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) entstand. In der doku.klasse tauschen sich junge Filminteressierte im Alter von 16 bis 23 Jahren mit Regisseur*innen aus, die sich für das 3sat-Projekt „Ab 18!“ mit einem Treatment beworben und ihre grundsätzliche Bereitschaft zur Teilnahme an der doku.klasse erklärt haben. Im Rahmen von jeweils eintägigen Workshops werden im Vorfeld des doxs!-Festivals die vorausgewählten Stoffe gemeinsam mit den Jugendlichen diskutiert. Den Stipendiat*innen bietet sich auf diese Weise die Möglichkeit, die Themen und Sehgewohnheiten junger Zuschauer besser kennenzulernen und neue Potenziale in ihren Filmentwürfen zu entdecken. Die jugendlichen Teilnehmenden wiederum sind direkt am künstlerischen Schaffensprozess beteiligt und erfahren aus erster Hand, wie filmisches Arbeiten funktioniert. Joanna Ibsch und Etritane Emini sind schon seit mehreren Jahren mit dabei.
Wie seid ihr zu dem Projekt gestoßen?
Joanna: Ich bin damals über die Schule dazu gekommen. Mein Deutschlehrer hat mich gefragt, ob ich nicht bei der Jugendjury von doxs! mitmachen möchte. Über dieses Projekt bin ich dann vor drei Jahren in die doku.klasse gerutscht und dabei geblieben.
Etritane: Ich bin von Anfang an dabei, also seit fünf Jahren, und kam ebenfalls über die Jugendjury dazu. Mit dieser ist eine Art Netzwerk für filminteressierte Jugendliche entstanden, die sich über die Schule hinaus mit Themen und Filmen beschäftigen und einen tieferen Einblick erhalten wollen.
Warum sind Dokumentarfilme für euch wichtig?
Joanna: Man lernt eine Menge dazu und bekommt eine Sichtweise, die man normalerweise nicht so haben würde. Man befasst sich mit Themen, die im normalen Alltag nicht so häufig vorkommen und über die man sich sonst nicht informieren würde. Auf diese Weise setzt man sich mit diesen Themen ganz anders auseinander und kann sich dadurch auch weiterbilden.
Etritane: Das sehe ich auch so. Es stimmt nicht, dass Jugendliche kein Interesse an Dokumentarfilmen hätten. Allerdings müssen es gute Dokumentarfilme sein, genauso wie wir auf gute Spielfilme und gute Serien stehen. Daher finde ich es schön, wenn man durch Projekte wie die doku.klasse Teil eines Prozesses wird, in dem wir auch für andere Jugendliche und im direkten Austausch mit den Filmemacher*innen mitbestimmen können, was ein guter Dokumentarfilm für uns ist. Beim Dokumentarfilm ist das Einfangen von Realität mit verschiedenen Methoden besonders interessant – und natürlich nicht als „scripted reality“.
Was genau macht für euch einen guten Dokumentarfilm aus?
Etritane: Ich finde den Stil besonders wichtig. Das hat nichts mit schnellen Schnitten zu tun. Mit nur wenigen Schnitten kann ein Film genauso interessant sein. Stil bedeutet, der Film weckt Interesse. Die Geschmäcker sind zwar verschieden und was den einen begeistert, wirkt für den anderen langweilig. Wichtig ist aber, dass man Einblicke bekommt, in eine Person, einen Ort oder eine Sache. Man muss auch nicht immer etwas daraus lernen.
Joanna: Ich finde eine interessante Thematik wichtig, die man gut nachvollziehen kann. Dann muss der Stil dazu passen. Und die Protagonist*innen müssen interessant sein, möglichst authentisch, so dass man sich in sie hineinversetzen kann und es Spaß macht, ihnen zuzuschauen.
Möchtet ihr selbst später einmal (Dokumentar-)Filme machen?
Joanna: Ich selbst studiere Psychologie und interessiere mich nicht für das aktive Filmemachen. Aber ich finde es wichtig, dass man bei der doku.klasse hinter die Kulissen schauen kann. Mich interessiert der Prozess beim Filmemachen, sich damit auseinanderzusetzen und an der Kunst teilzuhaben.
Etritane: Ich komme zwar nicht aus der Filmbranche, drehe aber schon lange eigene kleine Filme. Beispielsweise habe ich die Schulfahrten dokumentiert, mache privat Imagefilme und Musikvideos, wenn auch keine Dokumentarfilme. Durch den Kontakt mit doxs! ist bei mir der Wunsch entstanden, einmal selbst einen Dokumentarfilm zu drehen. Und es gibt auch schon zwei Themen, die ich einmal auf die Leinwand bringen will, sei es im eigenen Wohnzimmer oder im Kino. Und natürlich möchte ich es besser machen als manche der Älteren. Zugleich habe ich Respekt vor den Jüngeren, die mit der Technik aufgewachsen sind und schon Sachen können, die ich erst viel später gelernt habe.
Wie läuft der Workshop doku.klasse genau ab?
Joanna: Zunächst haben wir ein Treffen, bei dem wir die Exposés durchlesen und auswählen, welche wir interessant finden. Danach treffen wir uns separat mit den jeweiligen Filmemacher*innen. Wir sprechen dann noch einmal das Exposé durch, schauen uns vorherige Arbeiten von ihnen an, diskutieren diese gemeinsam mit ihnen. Später gehen wir dann das Exposé gemeinsam durch, schildern unsere Sichtweisen, lernen die der Filmemacher*innen anhand von Arbeitsproben kennen, erfahren eine Menge über die Planung und die weiteren Arbeitsschritte. Und wenn alles gut geht, können wir ein Jahr später den fertigen Film auf dem Festival sehen.
Etritane: Die meisten Filmemacher*innen sind von der Qualität unserer Kritik überrascht. Einige von uns sind erst um die 16 Jahre alt. Da erwartet man oft nicht, dass die Kritik an den Exposés und an der Form so differenziert ausfällt. Aber wenn vierzig Augen aus unterschiedlichen Blickwinkeln etwas beurteilen, kommt das auch den Filmschaffenden zugute, insbesondere dann, wenn es um konstruktive Kritik geht und um Details etwa bei ihren Materialien, die ihnen selbst noch gar nicht aufgefallen sind.
Joanna: Schließlich entsteht der Film gerade erst und da bringen andere Sichtweisen und Anregungen oft einen wirklichen Erkenntnisgewinn. Ich glaube, vielen Filmemacher*innen hat das echt geholfen, dass wir erst noch mal darüber gesprochen haben.
Was waren eure wichtigsten Erfahrungen bei den Workshops?
Etritane: Die gesamte Bandbreite einer Filmproduktion mitzuerleben und die Regisseur*innen selbst kennenzulernen war für mich besonders wichtig. Dabei gibt es auch immer wieder Überraschungen, etwa wenn das Exposé selbst nicht so interessant klingt, dann aber die ersten Arbeitsproben zeigen, was wirklich dahintersteckt.
Joanna: Genau. Wenn man etwa von seinen eigenen Vorstellungen über ein Thema abrückt oder man sich bereits eine eigene Meinung gebildet hat und diese sich durch die gemeinsame Diskussion plötzlich verändert. Durch solche Einsichten wächst man selbst ein bisschen, setzt sich mit den Themen auf ganz andere Weise auseinander. Das bereichert einen und regt dazu an, auch andere Themen mit einer anderen Perspektive zu sehen und zu lernen, zuzuhören.
Inwieweit setzt das Projekt auf Nachhaltigkeit?
Etritane: Es ist zwar nicht fest geplant, aber es war schon mehrfach der Fall, dass wir uns nach der doku.klasse noch mal mit den Regisseur*innen getroffen haben, etwa bei der Rohfassung des Films, um zu sehen, in welcher Form unsere Anregungen berücksichtigt worden sind.
Joanna: Für dieses Jahr ist das in einem Fall sogar schon fest geplant.