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Festivals | | von Barbara Felsmann

Die große Ungewissheit

Filmfestivals für das junge Publikum in Zeiten der Pandemie

Unsicherheit überall, aber trotzdem ein großes Engagement und eine Experimentierfreude, die weitreichende Folgen für die Zukunft haben wird. Die Coronavirus-Pandemie hat die Organisator*innen der Kinder- und Jugendfilmfestivals vor große Herausforderungen gestellt. Nun gehen mit dem „Goldenen Spatz‟, mit „Lucas‟ und dem „Schlingel‟ gleich mehrere Festivals der Herbstsaison an den Start, mit gewohnt spannenden Programmen und unter ungewohnten Bedingungen. Ein Blick auf die Kinder- und Jugendfilmfestivallandschaft in der Krise, zwischen notwendigen Präsenzveranstaltungen und Online-Erweiterungen.

Die "Goldener Spatz"-Gesichtsmaske (c) Deutsches Kinder Medien Festival Goldener Spatz

Die Coronavirus-Pandemie hat auch das Kulturgeschehen und damit die Kinder- und Jugendfilmfestival-Landschaft hart getroffen: Am 20. März 2020 etwa verschickte das „Deutsche Kinder Medien Festival Goldener Spatz‟ eine Pressemitteilung mit der Entscheidung, dass das Festival „nicht wie geplant vom 24. bis 30. Mai vorbereitet und durchgeführt werden kann“. Weiter hieß es dort: „Wir bedauern die Situation sehr und arbeiten momentan mit Hochdruck an einem Konzept, den ’Goldenen Spatz’ im Herbst 2020 stattfinden zu lassen. Denn das Kino als Kulturort für die junge Generation, die nominierten Wettbewerbsbeiträge und die ausgewählten Jurykinder sollen auch in diesem Jahr eine Plattform erhalten.“ Nun ist zumindest der meteorologische Herbst angebrochen und was ist mit dem „Goldenen Spatz‟? Wie reagieren andere Filmfestivals für das junge Publikum, die regulär im September und Oktober stattfinden, auf diese für uns alle besondere Situation?

Erste gute Nachricht: „Lucas‟, das Internationale Festival für junge Filmfans wird planmäßig vom 24. September bis 1. Oktober in Frankfurt/Main und in Wiesbaden durchgeführt. Danach folgt – wie auch in den letzten Jahren – das Internationale Filmfestival für Kinder und junges Publikum „Schlingel‟, das vom 10. bis 17. Oktober in Chemnitz stattfindet, übrigens zum 25. Mal. Und auch der „Goldene Spatz‟ wird nachgeholt, vom 20. bis 26. September als physisches Festival in „entzerrter Fassung“, dazu aber auch online.

„Unter Vorbehalt, aber innovativ‟

Was bedeutet „entzerrt“ beim SPATZ konkret? Das Festival wird nicht wie sonst das gesamte Programm in Gera und in Erfurt präsentieren können. Diesmal findet es hauptsächlich in Gera statt, in Erfurt werden lediglich die Preisverleihung gefeiert und die Preisträger-Filme gezeigt, auf die geplanten Fachveranstaltungen muss verzichtet werden. In den Kinosälen findet durch die Hygienebestimmungen nur maximal ein Drittel der sonstigen Zuschauer*innen Platz, für das Publikum werden „Spatz‟-Masken produziert, es werden Pläne erarbeitet, wie die Besucher*innenströme im Kino gelenkt werden können. Ähnlich ist die Situation bei „Lucas‟ und beim „Schlingel‟, wobei das Chemnitzer Festival bereits im Vorfeld neue Veranstaltungsorte akquiriert hat, um der Nachfrage der Schulen gerecht werden zu können. Außerdem gibt es für Parallelveranstaltungen versetzte Anfangszeiten, um Gedränge zu vermeiden.

Und da sind wir auch schon bei einem anderen Problem: Gibt es überhaupt solch großen Andrang? Können die Schulen nach dem langen Unterrichtsausfall überhaupt an Außenveranstaltungen teilnehmen? Schulklassen und Gruppen bilden ja bei solchen Festivals die hauptsächliche Zielgruppe. Beim „Goldenen Spatz‟ sind fast alle Vorstellungen ausgebucht, sicher auch wegen der geringen Platzkapazität in Gera zu Corona-Zeiten. Auch der „Schlingel‟ hatte vor den Sommerferien positive Rückmeldungen von der Stadt und den Bildungseinrichtungen. In Hessen gibt es die Bestimmung, dass Schulen bis zum Ende der Herbstferien keine längeren Ausflüge unternehmen dürfen. Außerschulische Tagesaktivitäten sind erlaubt, aber ob diese Ausnahme seitens des Lehrpersonals angenommen wird, ist noch offen. „Unser Team arbeitet sozusagen die ganze Zeit unter Vorbehalt, muss ständig umplanen“, meint „Lucas‟-Leiterin Julia Fleißig, „aber dafür bleiben wir innovativ im Kopf“. Alles in allem hatten und haben die Festivalteams einen riesigen organisatorischen Aufwand und unglaubliche Mehrarbeit zu bewältigen.

Festivalatmosphäre mit online zugeschalteten Gästen?

Mitmischen! - Filmgespräch auf Distanz (c) DFF

Das Besondere bei Filmfestivals ist der Austausch und die Interaktion der Kreativen mit dem Publikum. Das wird in diesem Jahr schwierig. Der SPATZ mit Beiträgen und damit Gästen lediglich aus Deutschland, Österreich und der Schweiz hat es nicht ganz so schwer, die beiden internationalen Festivals können kaum mit Filmemacher*innen aus dem Ausland rechnen. Bei „Lucas‟ werden Gäste aus Deutschland und der Region erwartet, die internationalen Filmleute werden im Kino per Zoom dazu geschaltet, wobei das Gespräch mit dem Publikum live moderiert wird. Außerdem wurde eine Workshop-Reihe mit „Lucas‟-Alumni ins Leben gerufen. Kinder und Jugendliche, die dem Festival verbunden sind, haben im Vorfeld „Q & A“s mit den Filmemacher*innen, die nicht nach Frankfurt/Main und Wiesbaden kommen können, erarbeitet. Außerdem gibt es die einstündigen „Leinwandgespräche“, bei denen Schulklassen sich nach der Vorführung mit den Filmgästen in einer Online-Konferenz austauschen können. Auch in Chemnitz wird es moderierte Live-„Q & A“s in den Kinos geben und in der sogenannten Eventebene des CineStar ist für angemeldete Gruppen eine Video-Wall für „Q & A“s installiert.

Juryarbeit über den Monitor

Beim „Goldenen Spatz‟ werden die 25 Jurykinder aus Deutschland und den deutschsprachigen Nachbarländern, die ja bereits im Januar ausgewählt wurden, alle anreisen. Allerdings müssen sie während der Wettbewerbsvorführungen aufgrund der Abstandsregelungen im Kino unter sich bleiben, zusammen mit der Jury des MDR Rundfunkrates. Beim „Schlingel‟ ist es von der jeweiligen Besetzung der verschiedenen Jurys abhängig. Die Jurys mit deutschen Kindern und Jugendlichen beziehungsweise Fachleuten aus Deutschland werden vor Ort arbeiten. Die europäische Kinderjury, in der in der Regel 15 bis 20 Kinder aus deutschsprachigen Schulen in ganz Europa arbeiten, wird in diesem Jahr online tagen. Es gibt Bewertungsgespräche mit jeder Schule einzeln und Meetings, bei denen alle zusammengeschaltet sind. Auch die internationalen Fachjurys werden sich online kurzschließen. Ähnlich geht das „Lucas‟ vor. Seine Spezialität, die Jurys 8+ und 13+ paritätisch mit Kindern, Jugendlichen und Branchenprofis zu besetzen, hat diesmal zur Folge, dass nur die jungen Juror*innen aus der Region die Filme im Kino sichten und via Zoom mit den deutschen und internationalen Filmexpert*innen diskutieren. Alle international besetzten Branchenjurys beraten ganz und gar online. Das ist wohl einer der größten Corona-Verluste, denn gerade die physische Präsenz, das gemeinsame Sichten und Erleben der Filme und das direkte Gespräch macht die Juryarbeit zu einem unvergesslichen Erlebnis und übt einen großen Einfluss auf die Preisentscheidung aus.

Zum ersten Mal online

Einige Filmfestivals, wie beispielsweise das „DOK.fest München‟, mussten durch den plötzlichen Lockdown im Frühjahr ganz schnell umdisponieren und haben es erfolgreich vorgemacht, ihr Programm online zu präsentieren. Allerdings sind ihr Zielpublikum Erwachsene. Wie das bei Kindern, Familien und Schulklassen funktioniert, probieren nun „Lucas‟ und der „Goldene Spatz‟ aus. Da beide Festivals dieselbe Streaming-Plattform benutzen, machen sie auch gegenseitig Werbung für ihr Online-Angebot. Bei „Lucas‟ können Eltern wie Schulen gegen Bezahlung einen Großteil der Wettbewerbsfilme buchen, insgesamt werden 40 Filme aus dem Programm online gestellt. Die Preise orientieren sich im Prinzip an den Festivalpreisen. Der „Goldene Spatz‟ stellt sein gesamtes Programm ins Netz. Ein Klassenticket kostet 19,99 Euro, ein Spielfilm für Einzelabonnenten so viel wie eine Kinokarte beim Festival, nämlich 3,50 Euro, und Fachbesucher*innen bezahlen für eine Online-Akkreditierung 9,99 Euro. Interessant wird es sein, wie diese spezielle Zielgruppe das Angebot letztendlich nutzt.

Highlight bei "Lucas" 2020, im Kino und online: "Ma Famille et le Loup"/"My Family and the Wolf" © Charades, Quelle: DFF

Die Film-Ebbe kommt erst noch

Immerhin das Horror-Szenario „Filmfestival ohne Filme‟ setzt nicht ein, zumindest noch nicht. Beim Kinder Medien Festival „Goldener Spatz‟ wurde lediglich ein Langspielfilm zurückgezogen, beim „Lucas‟-Festival gibt es hingegen ein paar „Verluste“. Einige Filme wurden zurückgestellt, andere dürfen nur im Kino, aber nicht online präsentiert werden. Durch das Reiseverbot, berichtete Michael Harbauer vom Chemnitzer Festival „Schlingel‟, war es allerdings schwierig, „kleine“ Filme, die nicht über große internationale Vertriebe gehandelt werden, in den Ländern selbst zu entdecken. Im kommenden Jahr wird sich die Verfügbarkeit von Filmen wahrscheinlich problematischer darstellen, als Folge des langen Produktionsstopps während des Lockdowns in diesem Frühjahr und Sommer. Apropos nächstes Jahr: Konnte sich aus der Krise heraus auch Positives für die Zukunft der Filmfestivals entwickeln?

Präsenzfestivals sind nicht zu ersetzen – aber Online-Ergänzungen sind ab jetzt nicht mehr wegzudenken

„Das Kino wird bei der nächsten „Lucas‟-Ausgabe wieder absolut im Mittelpunkt stehen, der direkte Austausch muss bleiben“, meint Festivalleiterin Julia Fleißig, „aber es ist nun endlich die Hürde genommen worden, das Digitale nur als Notlösung zu sehen.“ Nicht nur, dass mit Online-Angeboten mehr Menschen erreicht werden können, so ist es auch möglich, bestimmte filmpädagogische Projekte des Festivals übers Jahr auszuweiten. Für Michael Harbauer besitzt das physische Festival die oberste Priorität. Ein Filmfestival „kann nicht in die Wohnzimmer delegiert“ werden, „das wird dem Anspruch eines Festivals nicht gerecht“. Und Nicola Jones begrüßt zwar, dass durch die Online-Präsentation und -Interaktion mehr Teilhabe möglich ist und nicht mehr so viel gereist werden müsse, betont aber auch, dass „der Festivalraum ein wichtiger sozialer Raum ist, den man durch nichts ersetzen kann“.

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