Festivals | | von Barbara Felsmann
40 Jahre Goldener Spatz
Ein Rundflug durch die Geschichte des Festivals
Das Deutsche Kinder Medien Festival Goldener Spatz feierte in diesem Jahr sein 40. Jubiläum mit einer großen Festveranstaltung in der Geraer Johanniskirche und der Retrospektive „Anstöße. 40 Jahre Goldener Spatz“, in der vier wegweisende Kinderfilme zu sehen waren, die in der Vergangenheit beim Festival ausgezeichnet wurden und heute bereits zu den Klassikern gehören.
Lebendige Debatten
1979 als „Nationales Festival ‚Goldener Spatz‘ für Kinderfilme der DDR in Kino und Fernsehen“ in Gera gegründet, war es von Anfang an als ein Publikums- und Arbeitsfestival angelegt, als ein Forum der Information, des Austausches und der Diskussion für die Film- und Fernsehschaffenden der DDR. Der Zusammenschluss von Kino- und Fernsehproduktionen für das junge Publikum, die gleichberechtigt in den Kategorien Spiel-, Dokumentar- und Animationsfilm präsentiert wurden, war und ist bis heute einzigartig in der deutschen Kinderfilmfestivallandschaft. Einzigartig, wenn nicht gar legendär, waren auch der temperamentvoll geführte Meinungsaustausch, die hitzigen Diskussionen unter dem Fachpublikum.
Als ein „vitalisierendes Reizklima zwischen DFF- und DEFA-Mitarbeitern, Regisseuren, Dramaturgen und Autoren“, beschreibt Uwe Rosenbaum, der als damaliger Hauptabteilungsleiter Bildung, Wissenschaft, Familie beim SFB 1987 das Festival in Gera zum ersten Mal besuchte, die Atmosphäre in den täglichen Fachgesprächen „mit einer tastend argumentierenden Hierarchie, mit Debatten über Öffnungen des Programms für neue Formen, Diskussionen über die alten Handschriften der älteren Regiekollegen, deren Märchenfilme schon im Entstehen Patina angesetzt hatten, mit heftigem Streit über Dramaturgien, über ‚richtige‘ und ‚falsche‘ Wege, ideologische Erfordernisse und Standpunkte“. Und weiter schreibt er in seinem Aufsatz in der Jubiläumsschrift des Festivals „30 Jahre – 30 Stimmen“: „Mich beeindruckte, jenseits der Flügelkämpfe und politischen Reizzonen, jenseits der Streitigkeiten zwischen Fernsehen und Film, DFF und DEFA, die Leidenschaft, mit der gestritten, verworfen, taktiert, auch geschwiegen wurde.“ Dass der „Spatz“ damals bereits dieses enge Wechselverhältnis zwischen unterschiedlichen Medienformaten für Kinder präsentierte, zeigt gerade aus heutiger Sicht, wo Kinoproduktionen ohne Fernsehbeteiligung kaum noch denkbar sind, ein recht zukunftsorientiertes Denken der Festivalgründer*innen. Diese neuartige Konstruktion sowie die Debatten um Kinderkino und Kinderfernsehen zogen schon bald viele Fachleute aus der Bundesrepublik sowie aus den europäischen Nachbarländern an.
Der Goldene Spatz und die Wiedervereinigung
Zunächst fand der Goldene Spatz alle zwei Jahre statt. Die dort im Wettbewerb präsentierten Film- und Fernsehproduktionen konkurrierten um zwei Hauptpreise: um den „Goldenen Spatz“, der in jeder Kategorie von einer Fachjury vergeben wurde, und den Ehrenpreis, mit dem eine Kinderjury ihre Lieblingsfilme auszeichnete. Außerdem gab es eine Reihe an Sonderpreisen, die von verschiedenen Institutionen verliehen wurden.
Nach dem Zusammenbruch der DDR Ende 1989 stand auch der Goldene Spatz – wie die meisten der bis dahin staatlich organisierten und finanzierten ostdeutschen Festivals – vor dem Aus. Dass das Festival weiter bestehen konnte, ist der Geraer Bürgerschaft zu verdanken, die im Dezember 1990 durch einen Beschluss ihrer Stadtverordnetenversammlung zum Ausdruck brachte, den Goldenen Spatz für die Stadt zu erhalten und regulär durchzuführen. Im Klartext bedeutete dies, dass bis zum Februar 1991, also knapp zwei Monate später, eine neue Ausgabe des Festivals aus dem Boden gestampft werden musste. Dies bewältigte mit einem unglaublichen Engagement der Kinderfilmregisseur Rolf Losansky, der trotz aller Probleme ob der gleichzeitigen Auflösung seiner langjährigen Arbeitsstätte, des DEFA-Studio für Spielfilme, bereit war, die Verantwortung als Festivalpräsident zu übernehmen. „Ich kam mir vor wie ein Pilot, dessen Flugzeug… Pilot! Ach was, wie ein einfacher Rangierer fühlte ich mich, der die Aufgabe hatte, den West-Waggon an den Ost-Waggon anzukoppeln. Und das auf einem Bahnhof, wo einiges durcheinander ging“, erinnerte sich der „Rangierer“ in der bereits erwähnten Festschrift. Unter Losanskys Leitung blieb der Charakter als Publikums- und Arbeitsfestival erhalten, neu war jedoch, dass erstmals eine Kinderjury die Preise vergab und damit ihrer Stimme eine höhere Gewichtung als der der 13-köpfigen Fachjury zugesprochen wurde.
Eine Stiftung für das Festival
Um das Geraer Festival dauerhaft in der gesamtdeutschen Festivalszene zu etablieren, bemühten sich dann eine Reihe engagierter Filmleute, Verantwortliche in den Fernsehsendern und Politiker*innen, vor allem auch aus den alten Bundesländern. Einer, der dies mit einer ambitionierten Idee unterstützte, war eben jener Uwe Rosenbaum vom SFB, der das Festival aus eigenem Erleben kannte. Er entwickelte gemeinsam mit Ronald Trisch, dem ehemaligen Festivaldirektor, den Gedanken, eine Stiftung zu gründen und die Fernsehsender einzubeziehen. So wurde zusammen mit vielen anderen Mitstreitern ein Fundament geschaffen, das das Festival bis heute trägt. Am 23. März 1993 konnte mit der Eröffnung des Festivals, das damals unter der Leitung von Elke Ried stand, die Stiftungsurkunde mit den Gründungsstiftern ARD (vertreten durch den MDR), ZDF, RTL und der Stadt Gera unterzeichnet werden. Heute gehören der Stiftung außerdem die Thüringer Landesmedienanstalt, die Mitteldeutsche Medienförderung sowie die Stadt Erfurt an.
1997 übernahm die Medienwissenschaftlerin Margret Albers die Leitung des Festivals und fungierte zugleich als Geschäftsführerin der Stiftung Goldener Spatz. Sie war in den 20 Jahren ihrer Tätigkeit maßgeblich an der Weiterentwicklung des Goldenen Spatz zu einem Kindermedienfestival beteiligt. 2001 wurde der Wettbewerb zum ersten Mal um Online-Angebote ergänzt, 2005 das gesamte Programm um deutschsprachige Produktionen, also Produktionen auch aus Österreich und der Schweiz, erweitert. Seit 2003 wird das Festival nicht nur in Gera, sondern auch in Erfurt ausgerichtet und seit 2008 sogar im jährlichen Rhythmus. Seitdem trägt es seinen jetzigen Namen: Deutsches Kinder Medien Festival Goldener Spatz.
Viel erreicht und noch viel zu tun
2017 übernahm Nicola Jones, die bis dahin als Referentin des Vorstands der FFA tätig war, die Leitung des etablierten und in seiner Art einzigartigen deutschen Festivals und die Geschäftsführung der Stiftung. Viel wurde erreicht in der Vergangenheit und doch gibt es noch einiges zu tun angesichts der sich weltweit wandelnden Medienlandschaft und Kommerzialisierung mit allen positiven wie negativen Folgen. Was Nicola Jones zunächst am Herzen liegt, ist in ihrem Grußwort im Festivalkatalog 2017 zu lesen: „Die neue Berufung ist Ansporn und Herausforderung zugleich, das Festival als Plattform für qualitativ hochwertige Kindermedien sowie für Vernetzung und Austausch zwischen den Filmemachern, Redakteuren und dem Zielpublikum weiter zu etablieren und zu entwickeln. Darüber hinaus wollen wir Einblicke geben in aktuelle inhaltliche sowie technologische Entwicklungen und Trends und damit Impulse setzen, um auch in Zukunft ein qualitativ hochwertiges, kreatives sowie vielfältiges Medienangebot für Kinder zu fördern.“
Um Trends und Impulse zu setzen, ist Mut erforderlich. Mut, gängige Gewissheiten zu hinterfragen und mit der Zielgruppe zusammen neue Wege zu gehen sowie Experimente zu wagen. So kann man dem Goldenen Spatz nur wünschen, auch in Zukunft am Puls der Zeit zu bleiben, vor allem aber Medienproduktionen für Kinder zu finden und zur Diskussion zu stellen, die nicht immer ihren Sehgewohnheiten beziehungsweise den Vorstellungen der Erwachsenen von dem, was für das junge Publikum gut sei, entsprechen, sondern die jungen Zuschauer*innen herausfordern und ihnen in der Bewältigung ihres (nicht immer leichten) Alltags zur Seite stehen.