Den kenn ich doch | | von Christian Exner

Gezähmte Abenteurer*innen

Piraten im Kinderfilm

Robert Siodmaks „Der rote Korsar“ aus dem Jahr 1952 war einer der Filme, die mich als Kind begeistert haben. Bis heute sehe ich ihn als idealen Film für das Kind im Erwachsenen und als wunderbares Seeabenteuer für ein junges Publikum: unbeschwert, romantisch und mit unverschämter Chuzpe verkörpert in der Sportlichkeit und dem Dauerlächeln von Burt Lancaster – ein Lächeln, das so breit ist, dass man allein dafür Cinemascope hätte erfinden müssen. Die FSK hatte allerdings eine etwas andere Sicht der Dinge und ihn nur für 12-Jährige freigegeben. Es wäre einen Versuch wert, ihn heute noch einmal zur Prüfung vorzulegen.

Ganz harmlos, gezähmt und ohne FSK-Limit kommt dagegen „Käpt’n Sharky“ (2018) von Hubert Weiland und Jan Stoltz daher. Obwohl Piraten ja eigentlich Räuber zur See sind, erscheint Sharky wie ein sehr sparsam animiertes Wesen aus der Playmobil-Kiste. Die Proportionen, die Farbwelten und die limitierten Bewegungen – so sieht ein Film aus, wenn er nichts anderes ist als ein Vehikel des Marketings. Ein weiterer Versuch, mit der „Käpt’n Sharky“-Marke Dublonen zu erbeuten.

Ich frage mich, wie es zu diesem Freibeuter-Derivat kommen konnte und fürchte, mein geliebter Korsar, der wie ein Zauberer mit dem Degen in der Hand an den Masten entlang schwebte, ist ein wenig schuld daran. Denn verkörperte nicht auch Burt Lancaster seine Korsaren-Figur mehr als Akrobat in der Takelage denn als Schrecken der Meere?

Kein Zweifel: Der Pirat ist längst ein Leinwand-Mythos obwohl er auf den Weltmeeren auch heute ganz real Schrecken verbreitet. Doch auf diese Realität möchte gewiss niemand verweisen, der das Klettergerüst auf einem Spielplatz wie eine spanische Galeone aussehen oder sein Kind zu Karneval die obligatorische Augenklappe zusammen mit dem Ringelshirt tragen lässt.

Bei „Pippi Langstrumpf“ (Olle Hellbom, 1969) konnte man noch sagen: Der Pirat steht für die Anarchie, die Ephraim seiner Tochter in die Wiege gelegt hat und die einen tollen Ansatz bietet, der reglementierten Erwachsenenwelt die Stirn zu bieten. In „Käpt’n Sharky“ erkennt man in Ansätzen den Egoisten im Kleinkind, der eine Lektion in Freundschaft und Teamgeist erteilt bekommt. Da war Pippi schon ein anderes Kaliber. Sie war im Grunde das Gegenteil des gezähmten Sharky. Sie stand für den kreativen Eigensinn.

Warum kommt die Kinderkultur nur immer wieder auf den Piraten zurück? In der Welt der Mythen und Legenden verkörpert er die Exotik karibischer Welten, das Abenteuer der Seefahrt und die Verlockung der Schatzsuche. Das sind Motive, die ein Kind schon in ein Reich der Fantasie katapultieren können. Logisch, dass auch die Genre-Recycler in den Aardman Studios nicht an dem Piraten vorbei kommen, die bei diesen – wie könnte es anders sein – ein Haufen merkwürdiger Typen sind.

Sich im Setzkasten des verschärften Genrefilms zu bedienen und dessen Muster mit der naiven Welt der Stoptrickanimation kontrastieren – das ist immer wieder ihr Kniff, egal ob im Ausbruchsfilm „Chicken Run – Hennen rennen“ (Nich Park, Peter Lord, 2000) oder im Horror-Science-Fiction „Wallace und Gromit auf der Jagd nach dem Riesenkaninchen“ (Nick Park, Steve Box, 2005). „Die Piraten! – Ein Haufen merkwürdiger Typen“ (Peter Lord, Jeff Newitt 2012) spielt mit dem Abenteuer und Entdecker-Appeal des Seefahrer-Genres und liefert zugleich köstliche Karikaturen. Kinder können Aardman-Filme auf einer spielerischen Ebene anschauen und sie können sich animiert fühlen, danach direkt eigene Spielfiguren in Szene zu setzen. Für Erwachsene zählen hier eher die extrem witzigen Details, die sich wie kleine Cartoons in die Wimmelbilder der Knetfigurenwelten einschleichen.

Wer Piraten liebt und nach einer Alternative zu „Käpt’n Sharky“ Ausschau hält, der könnte auch den Film „Die Pirateninsel von Black Mor“ noch einmal ausgraben. Jean-François Laguionies Zeichentrickfilm aus dem Jahr 2004 hat eine ganz eigene visuelle Handschrift, die zeichnerisch zwar auf den ersten Blick auch schlicht daher kommt, aber eben nicht jeglichen Charakter neutralisiert. Ganz im Gegenteil: Erzählt wird vom Waisenjungen Kid, der nach einem Goldschatz sucht und erst seinen Aufstieg als Kapitän, dann seinen tiefen Fall als Geächteter und seine glückliche Rückkehr als Schatzsucher durchlebt. Diese Geschichte hat einige Wendepunkte, die clever sind: Ein Mitglied der Mannschaft entpuppt sich als Mädchen, das an Bord vermeintlich Unglück bringt, aber für unseren Piraten Kid eine enge Gefährtin wird. Schließlich findet Kid das Glück ganz anders, als er es erwartet hatte. Wir dürfen gewiss darauf hoffen, dass uns die Piratenfigur weiter begegnen wird im Kinderfilm. Hoffentlich dann auch wieder anders als erwartet.

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